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Die Vorständin der Verbraucherzentrale Dörte Elß hört, was die Menschen umtreibt, und berät sie.

© Henning Kunz

Kolumne „Mein guter Rat“: Das wünschen sich Bürger und Verbraucherschützer von Berlins neuer Koalition

Steigende Energiepreise, Altersvorsorge, Schwachstellen bei der Lebensmittelkontrolle treiben viele Bürger um. Die 100. Folge unserer Verbraucherkolumne.

Wenn wir besonders glücklich sind, rufen wir bisweilen aus: „Ich fühle mich wie im Märchen.“ Genauso geht es mir heute, da Sie diesen Text lesen, denn es handelt sich dabei um meine 100. Kolumne hier im Tagesspiegel.

Eine wahrhaft märchenhafte Zahl ist sie, die 100. Einige von Ihnen lässt sie vielleicht an das Grimm'sche Märchen Dornröschen denken, welches von einer Königstochter erzählt, die ein ganzes Jahrhundert verschläft, nachdem sie sich an einer Spindel gestochen hat. Um seiner Tochter die Erfüllung dieser Prophezeiung zu ersparen, hatte der König eigentlich alle Spindeln im Land verbrennen lassen, was eine Entscheidung gewesen sein dürfte, die auf großes Unverständnis im Volk stieß.

Auch des Kaisers neue unsichtbare Kleider sind sicherlich eine Investition, welche die wenigsten von uns als lohnenswert ansehen. Ich erzähle Ihnen dies, weil auch die Kaiser und Könige im Märchen letztendlich politische Entscheidungsträger sind, um die es heute hier gehen soll, nämlich um die neuen und wiedergewählten Abgeordneten Berlins und das, was wir uns von ihnen wünschen.

Sie müssen nicht alles Geld den Armen geben wie Robin Hood oder gegen Windmühlenflügel kämpfen wie Don Quijote, aber sie sollen verlässlich sein, nachvollziehbare Entscheidungen treffen und sinnvolle Gesetze erlassen, die den Menschen in Berlin nutzen und ihren Verbraucheralltag erleichtern. Deshalb freue ich mich sehr darüber, dass viele von Ihnen meinem Aufruf aus der vergangenen Woche gefolgt sind und ein paar Anregungen zusammengetragen haben.

Steigende Energiepreise und Energiearmut

Derzeit bewegt ein vorherrschendes Thema stark Ihre Gemüter. Steigende Energiepreise und die Gefahr der Energiearmut werden von vielen Berlinerinnen und Berlinern als bedrohlich wahrgenommen. Hier muss noch viel mehr passieren, um Energiesperren zu verhindern und Energieschuldnern zu helfen.

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Ich freue mich, dass unser Fachforum Energiearmut hier schon viel bewegen konnte, weil es alle lokalen relevanten Akteure, die am Mahn- und Sperrprozess beteiligt sind, versammelt, wozu sowohl die Grundversorger, Netzbetreiber, Jobcenter und Bezirksämter als auch die Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung; die Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales sowie die Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe gehören.

Auch verschiedene Sozial- und Schuldnerberatungsstellen sind in den Dialog einbezogen. Ich wünsche mir, dass die Reduzierung der Energiesperren in Berliner Haushalten erreicht werden kann, indem beispielsweise die Kommunikation zwischen den beteiligten Institutionen in betroffenen Fällen optimiert wird.

Erste direkte Kommunikationswege zwischen den Grundversorgern sowie den Beratungs- und Unterstützungsangeboten in Form der Jobcenter, Bezirksämter und Beratungsstellen konnten bereits eingerichtet werden, was mich sehr stolz macht. Die generelle und dynamische Erhöhung der Sozialsätze für Energiekosten wäre ein nächster wichtiger Schritt, insbesondere auch angesichts der steigenden Energiepreise. Viele Beschwerden erreichten uns schon darüber, dass die Energieversorger nach Preiserhöhungen den Vertrag kündigen oder in Insolvenz gehen.

Die Altersvorsorge ist für viele ein existenzielles Problem

Für die meisten von Ihnen ist die Altersvorsorge ein existenzielles Problem, weil mit Renteneintritt eine drastische Absenkung des Lebensstandards droht – und das oft auch unter die Armutsgrenze. Die Höhe der gesetzlichen Rente sinkt, und viele Hauptstädter können während ihrer Berufslaufbahn keinen hohen Anspruch an gesetzlicher Rente aufbauen. Dies liegt nicht nur an unsteten Erwerbsbiografien, sondern auch am Status als Solo-Selbständige oder Künstler mit unregelmäßigem Verdienst.

Leider ist das System der privaten Altersvorsorge komplex und voller Fallstricke sowie ungeeigneter Produkte. Hier braucht es endlich ein von Provisionsinteressen unabhängiges, sachkundiges und möglichst niedrigschwelliges Beratungsangebot. Zudem muss es möglich sein, eine kostengünstige und gewinnbringende Anlage zu tätigen, um im Alter über mehr Geld zu verfügen.

Es eignet sich das Modell der Extrarente als öffentlich-rechtlich organisiertes Standardprodukt, bei dem Verbraucher über ihren Arbeitgeber automatisch in die Extrarente einbezogen werden aber auch die Abwahlmöglichkeit haben. Ab dem Renteneintritt kann dann frei über das Geld verfügt werden. Auch Selbstständigen wird es dabei ermöglicht, proaktiv in die Extrarente einzuzahlen, welche durch Ausschreibungen über die öffentliche Hand organisiert wird.

Schwachstellen in der Lebensmittelüberwachung

In der Lebensmittelüberwachung Berlins gibt es leider noch immer viele Schwachstellen. Flache Hierarchien und eine ausreichende Ausstattung würden dazu beitragen, dass diese schnell und effektiv arbeiten kann. Die Aufsicht der bezirklichen Lebensmittelüberwachung durch eine weisungsbefugte, oberste Landesbehörde könnte Interessenkonflikten vorbeugen.

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Anzahl und Häufigkeit der Kontrollen müssen endlich über ausreichend Personal sowie eine angemessene technische Ausstattung sichergestellt werden. Zusätzliche Kapazitäten für die Überwachung des Onlinehandels mit Lebensmitteln gehören dringend bereitgestellt. Im Rahmen unserer Rundfunkbeitragsberatung wird oftmals Unmut über diese Abgabe geäußert, was auch damit zusammenhängt, dass Sie sich vom Programm nicht immer angesprochen fühlen.

Ich selbst vermisse beispielsweise Themen des Verbraucherschutzes. Öffentlich-rechtliche Fernseh- und Rundfunkanstalten haben den Auftrag, auch solche Inhalte zu kommunizieren, weshalb die entsprechenden Kompetenzen auch personell im Rundfunkrat vertreten sein sollten.

Unabhängig. Die Verbraucherzentrale berät und hilft, ihr Sitz ist in der Ordensmeisterstraße in Tempelhof.
Unabhängig. Die Verbraucherzentrale berät und hilft, ihr Sitz ist in der Ordensmeisterstraße in Tempelhof.

© Sigrid Kneist

Viel weniger Menschen würden sich beispielsweise von windigen Staubsaugervertretern übervorteilen und ungewollte Verträge unterschieben lassen, wenn sie besser über die entsprechenden Methoden Bescheid wüssten. Dafür, dass dies geschieht, trägt auch seit diesem Jahr unser Beratungsangebot im Osten der Stadt bei, was dringend weiter ausgebaut werden sollte, um die Beratungsabdeckung in der Hauptstadt zu gewährleisten.

Die verantwortliche Kollegin ist dazu Woche für Woche direkt in den Kiezen in der Gegend und begeistert vom Engagement der Stadtteilzentren und -organisationen, die sie dabei unterstützen. Dass solche Berlin belebenden Projekte weitergeführt werden können, wünsche ich mir persönlich sehr und weiß, dass es den Ratsuchenden ebenso geht.

Kürzlich habe ich erst wieder begeisterten Zuspruch aus Köpenick erhalten. Einige Veränderungen können direkt auf Landesebene vorangebracht werden, bei anderen muss die Umsetzung gemeinsam mit den anderen Bundesländern auf Bundesebene erfolgen, wozu das bereits genannte Modell der Extrarente und auch die Anhebung der Sozialsätze für Energiekosten gehören.

Bitte keine 100 Jahre für Veränderungen

Kennen Sie Hodscha Nasreddin? Im orientalischen Raum gilt er als Volksheld und ähnelt ein wenig der Figur des Till Eulenspiegel, wenn auch nicht eindeutig belegt ist, dass er im 13./14. Jahrhundert lebte. Er hatte immer ein Ohr am Volk und das rate ich auch den politischen Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträgern in Berlin.

Ich hatte bereits die passende Gelegenheit, mit einigen von ihnen zu sprechen und bin dabei auf solche offenen Ohren gestoßen, was den Verbraucherschutz angeht. Das freut mich sehr und lässt mich im Hinblick auf die kommende Legislaturperiode auf positive Entwicklungen hoffen. Schlussendlich können sie ja auch selbst davon profitieren, wenn Berlin noch verbraucherfreundlicher wird, denn Verbraucher sind wir schließlich alle.

Und wenn ich noch eine Bitte äußern dürfte: Märchenhafte 100 Jahre müssen diese positiven Veränderungen nun wirklich nicht dauern, denn sonst werden wichtige Entwicklungsschritte für unsere Stadt womöglich verschlafen.

Dörte Elß

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