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Klaus Laschner (l.) engagiert sich für die Kolonie Bocksfelde. Rainer Spitalny (r.) ist der heutige Pächter der Parzelle.

© Kitty Kleist-Heinrich

Kleingarten in Berlin: Einsteins grünes Glück in Spandau

Der Physiker hatte einst in Spandau eine Laube. Dort fand er Erholung und Inspiration. Heute gibt es dort einen, der ihm ähnelt – und immer wieder Fans.

Auf der Bundesallee rauscht ein Krankenwagen mit heulenden Sirenen vorbei. Eine Radfahrerin klingelt Passanten aus dem Weg, ein Anzugträger hetzt die Stufen runter zur U-Bahn. Der ganz normale Großstadtwahnsinn an der Grenze zwischen Wilmersdorf und Schöneberg. Vor fast hundert Jahren hat hier um die Ecke Albert Einstein gewohnt. Schon damals war ihm Berlin oft zu hektisch. Wie soll man sich in dieser Hast auch konzentrieren, auf geniale Gedanken kommen?

„Tiefe des Denkens gedeiht nicht neben Geschäftigkeit. Deshalb ist das Leben in der Großstadt nichts für Forscher und Studenten“, notierte der Nobelpreisträger 1924.

Was aber tun, wenn man, wie Einstein, in der Großstadt seinen Arbeitsplatz hat? Sich einen Fluchtort suchen, gut erreichbar, aber idyllisch gelegen. Mit Bäumen, von denen im Herbst rotbackige Äpfel fallen. Sonnenblumen, die im August ihre Köpfe zum Licht drehen. Und am besten einem Gewässer, zum Reinspringen oder am Ufer sitzen, den Blick endlich weiter als bis zur nächsten Hauswand schweifen lassen. Einsteins Lösung: eine Gartenlaube.

Einzig die Gartenarbeit bereitet Einstein keine Freude

Anfang der 20er Jahre mietet sich der Physiker in der Kolonie Boxfelde in Spandau ein. Die Siedlung, die sich heute Bocksfelde schreibt, gibt es damals erst wenige Jahre. Die Gärten liegen an der Scharfen Lanke, einer Bucht der Havel. Einstein bezieht ein rotes Häuschen im Burgunderweg 3. Dort verbringt er Zeit mit seiner zweiten Frau Elsa. Spielt Violine und denkt in Ruhe nach.

In den Sommerferien kommen seine Söhne aus erster Ehe zu Besuch. Bei gutem Wind macht er seine Segeljolle startklar und schippert, risikoreich, weil er nicht schwimmen kann, über die Havel in die Villa Lemm nach Gatow. Dort lebt sein Freund Janos Plesch, ein ungarischer Arzt und Forscher.

Anfang der 20er Jahre mietet sich der Physiker Einstein in der Kolonie Boxfelde in Spandau ein.
Anfang der 20er Jahre mietet sich der Physiker Einstein in der Kolonie Boxfelde in Spandau ein.

© Kitty Kleist-Heinrich

Die Gartenarbeit aber bereitet ihm keine Freude. Das Bezirksamt Spandau schreibt im Sommer 1922 einen wütenden Brief. Ohne Ansprache geht die Schimpftirade direkt los: Er habe seine Parzelle nicht gepflegt. Wenn es ihm weiterhin an Zeit dafür mangele, dann solle er sie doch bitteschön aufgeben. Einstein antwortet zwei Wochen später: Er bitte um Entschuldigung ob des vielen Unkrauts und hohen Grasstandes, er sei gesundheitlich nicht in der Lage gewesen. Aber nun komme ja der Winter und nehme ihm die Arbeit ab. Und im kommenden Frühjahr, da werde er sich kümmern.

Bis heute sieht die Laube von außen aus wie zu Einsteins Zeiten

Von all diesen alten Geschichten weiß Klaus Laschner, 74, hellblaues Hemd unter gelbem Pullover. Jahrelang war er Vorsitzender des Vereins der Wochenendsiedlung und Wassersportvereinigung Bocksfelde. Laschner ist mehrfach als Einstein-Double aufgetreten. Mit seinem rundlichen Gesicht und dem Schnäuzer kann man sich das gut vorstellen. „Ich habe mir dafür extra die Haare wachsen lassen“, erzählt Laschner. Mittlerweile sind sie wieder geschnitten, als Doppelgänger tritt er nicht mehr auf. Über Einstein unterhält sich Laschner trotzdem noch gerne, vor allem mit dem heutigen Pächter von Einsteins Laube, Rainer Spitalny.

Dessen Eltern erwerben die Laube Anfang der 50er Jahre – ohne Ahnung, welche Prominenz hier früher das Unkraut sprießen ließ. Bis Spitalnys Vater eines Abends mit Freunden im historischen Weinkeller in Alt-Pichelsdorf sitzt. Die Wirtin fragt: „Wissen Sie eigentlich, dass Sie die alte Einstein-Laube haben?“ Später trifft Spitalny senior einen Mann, der den Physiker kannte.

Der erzählt ihm, wie sie sich in der Gartensiedlung trafen. Spitalnys Eltern bauen auf der rechten Seite der Laube einen Raum an, installieren einen Ofen und verändern die Einrichtung. Von außen bleibt die Laube im Originalzustand, bis heute. Von seinen Eltern hat Rainer Spitalny, 71, die Laube geerbt.

Von außen hat sich die Laube seit Einsteins Zeiten nicht verändert.
Von außen hat sich die Laube seit Einsteins Zeiten nicht verändert.

© Kitty Kleist-Heinrich

Auch die ARD war schon zu Besuch

Spitalny, Ingenieur, wie sein Vater und Sohn, hat auf der Kommode in der Laube verschiedene Einstein-Biografien aufgereiht. Gerne erzählt er Anekdoten vom berühmten Physiker, als hätte er ihn selbst gekannt. „Einstein hasste Socken und Krawatten“, sagt er. Und er sei kein Freund von großen Festen gewesen. „Ein Gast muss sich immer den Gewohnheiten des Gastgebers anpassen“, soll er gesagt haben. Und an seinem eigenen Geburtstag nach dem Essen lieber alleine spazieren gegangen sein, als sich um seine Festgesellschaft zu kümmern.

Spitalny schenkt Kaffee in goldumrandete Porzellantassen, stellt eine Packung Kekse auf den Tisch und nimmt auf der Eckbank Platz. Noch in den 80ern sei eine alte Dame vorbeikommen, die habe sich an Einstein erinnert, erzählt der Herr in kariertem Hemd und schwarzem Ledermantel. „Immer wieder führe ich Gespräche mit Interessierten an meinem Gartenzaun“, erzählt er. Neulich sei eine Ärztin vorbeigekommen, die habe ihm von Einsteins Krankheiten erzählt. Vor zwölf Jahren war sogar die ARD hier und drehte für eine Dokumentation.

In dieser Laube fand Albert Einstein Entspannung und Ruhe, aber auch Schutz.
In dieser Laube fand Albert Einstein Entspannung und Ruhe, aber auch Schutz.

© Kitty Kleist-Heinrich

Die Laube war auch Zufluchtsort vor den Nazis

Spitalny und Einstein-Double Laschner haben sich dafür eingesetzt, dass Bocksfelde an den Nobelpreisträger erinnert. Unweit des Havel-Ufers steht seit fünf Jahren eine Gedenktafel. Eingraviert in Metall raucht Einstein darauf Pfeife. Darunter steht: Seine Laube habe er liebevoll sein Schloss genannt.

Für Einstein war die Laube aber nicht nur Platz der Erholung. In der antisemitischen Stimmung der 20er Jahre nutzt der jüdische Einstein sie auch als Zufluchtsort. Im Sommer 1922 ermordeten Nationalisten Reichsaußenminister Walther Rathenau. Auch Einstein erhielt Morddrohungen, monatelang mied er öffentliche Auftritte.

Ende der 20er Jahre gab er Wohnung und Laube in Berlin auf und zog nach Caputh im Süden Potsdams.

Direkt an der Scharfen Lanke in Spandau hatte Albert Einstein seine Gartenlaube.
Direkt an der Scharfen Lanke in Spandau hatte Albert Einstein seine Gartenlaube.

© Tsp/Schmidt

Berliner Lauben sind wohl im Trend

Einstein ist nicht der einzige berühmte Berliner Laubenbesitzer. Schriftsteller Wladimir Kaminer, bekannt geworden mit der „Russendisko“, hat mit „Mein Leben im Schrebergarten“ ein ganzes Buch über seine Laube in Prenzlauer Berg geschrieben. Später bewirtschaftete Kaminer einen Garten in Brandenburg, in „Diesseits von Eden“ nennt er das Dorf Glücklitz. Auch Schriftsteller Erwin Strittmatter war Laubenbesitzer, genauso wie Erich Honecker. Und sogar Bundeskanzlerin Angela Merkel soll ein Gärtchen in der Uckermark pflegen.

Die Berliner Lauben scheinen Trend zu sein. Nach Auskunft der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung führt jeder Bezirksverband für Kleingärten mittlerweile Wartelisten, so viele Hauptstädter sehnen sich nach einem Ort, an dem die „Tiefe des Denkens“, um es in Einsteins Worten zu sagen, abseits der Stadt gedeihen kann. Manche warten nur zwei Monate, andere fünf Jahre auf ihre Laube. In den Gärtchen verbringen keineswegs nur Senioren ihre Wochenenden, sondern auch viele junge Berliner. Jeder dritte Neupächter ist jünger als 40 Jahre alt.

In Bocksfelde an der Scharfen Lanke verlieren die Bäume ihre braun gefärbten Blätter. Beim Kanuklub nebenan werden Boote geputzt und über den Winter eingelagert. Für Pächter Rainer Spitalny ist die Saison nicht vorbei. Er freut sich auch auf den Winter. „Mit dem Ofen schaffen wir hier Hüttenatmosphäre“, erzählt er. Sein Sohn habe schon gefragt, wann es den ersten Glühweinabend gebe. Für den Rückweg in den Großstadtwahnsinn gibt Spitalny Proviant mit: Äpfel aus dem Garten, er hat sie bereits gepflückt und in Holzkisten verstaut.

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