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Tobias Bauer, Landesvorsitzender der Freien Wähler, hat mit der Partei viel vor.

© Kai-Uwe Heinrich

Kleine Partei in Berlin und Brandenburg: Was den Freien Wählern so vorschwebt

In Brandenburg sind die Freien Wähler gerade ins Parlament eingezogen. In Berlin sind sie noch bedeutungslos – aber voller Tatendrang.

Von Ronja Ringelstein

Tobias Bauer weiß ja selbst, viele sind sie noch nicht. Politisch irrelevant? „Ja“, sagt er, „für die anderen Parteien sind wir quasi noch nicht da“, dann lächelt er leicht. Die Betonung liegt auf dem Wort „noch“. Der 37-jährige Mann – dunkles kurzgeschorenes Haar, schwarzes Jackett, Jeans – ist der Landesvorsitzende der Freien Wähler Berlin.

In Brandenburg haben die Freien Wähler gerade den Einzug ins Parlament geschafft, in Bayern sind sie Juniorpartner der CSU in der Regierung, stellen fünf Staatsminister. Bei der Europawahl im Mai haben ihnen 806.590 Wähler ihre Stimme gegeben, das machte 2,2 Prozent, so konnten sie zwei Kandidaten nach Brüssel schicken. Und in Berlin? Sind es gerade mal 17 Mitglieder in der Landesvereinigung, davon drei Frauen. Aber man stehe hier erst am Anfang, sagt Bauer.

Seit Mai 2019 gibt es die Freien Wähler in Berlin – nun sind sie in jedem Bundesland vertreten. Im Gegensatz zu den Freien Wählern in Brandenburg um Peter Vida gehört die Berliner Vereinigung der Bundespartei an. Der Gründungsprozess des Berliner Ablegers lief bereits, als ein beruflicher Bekannter, mit dem Tobias Bauer gern über Politik diskutierte, ihm vorschlug, gemeinsam in die Partei einzutreten.

Dann ging alles ganz schnell. Bauer, der früher mal SPD-Mitglied war, wurde klar, wie gut die Freien Wähler zu seinen politischen Ansichten passten. „Dann fiel uns auf, dass es hier noch gar keinen Landesverband gab“, erzählt Bauer. Beim Gründungsparteitag in einem gemieteten Seminarraum in den Wilmersdorfer Arkaden stellte er sich zur Wahl.

„Man ist niemandem verpflichtet“

Im April war Bauer Parteimitglied geworden, im Mai Landesvorsitzender. In seiner Bewerbung vor den sieben Gründungsmitgliedern und einigen Mitgliedern der Bundesvereinigung betonte er, dass er sein Netzwerk und seine beruflichen Erfahrungen nutzen möchte, um die Landesvereinigung in Berlin aufzubauen. Und bekam den Job.

„Die Freien Wähler haben den Vorteil, dass sie keine etablierten Parteistrukturen haben. Man ist niemandem verpflichtet“, sagt Bauer beim Treffen in einem Café am Leipziger Platz in Mitte. Nicht weit von hier, Unter den Linden, ist seine Arbeitsstelle. Bauer ist Angestellter in einer IT-Sicherheitsberatungsfirma. Er ist verheiratet, hat eine zweijährige Tochter.

Seit 2015 lebt er in Berlin. Geboren wurde er in Zwenkau bei Leipzig, hat in Leipzig sein Abitur gemacht, dann Wehrdienst, eine Offiziersausbildung, verbunden mit einem Studium der Elektro- und Informationstechnik. Er ist noch Hauptmann der Reserve. 14 Jahre war er bei der Bundeswehr, war in Afghanistan im Auslandseinsatz. Und sagt: „Man kann von der Bundeswehr halten, was man möchte, aber schon die Zeit beim Wehrdienst hat mich geprägt, ich musste Verantwortung für andere übernehmen. Das ist wichtig.“

Der mündige Bürger im Mittelpunkt

Die Verantwortung des Einzelnen, der mündige Bürger, steht bei den Freien Wählern im Mittelpunkt. Eine Idee ist deshalb beispielsweise die Einführung eines „Berliner Jahres“. Ein soziales Jahr, das Jugendliche nach der Schule verpflichtend absolvieren. „Vor dem Berufseinstieg sollten junge Menschen sehen, welche Gesellschaftsschichten es gibt, da reingehen, wo es Bedarf gibt und Verantwortung übernehmen“, sagt Bauer. Aber das ist nur eine Idee von vielen.

Im Abgeordnetenhaus sind derzeit sechs Parteien vertreten. Es regiert ein Mitte-Links-Bündnis aus SPD, Linken und Grünen. Die FDP und die CDU als bürgerliche Oppositionsparteien können, zumindest laut aktuellen Umfragen, nicht mal ein Viertel der Berliner von ihren Positionen überzeugen, und die AfD ist für die überwiegende Mehrheit der Berliner unwählbar.

Braucht es in diesem Spektrum die Freien Wähler? „Die Lücke, in die wir reinspringen, ist Bürgernähe. Wir machen nicht die großen Versprechungen, malen nicht das Bild vom ,Berlin 2040’ an die Wand, in dem dann alles gut ist“, sagt Bauer. Die Probleme seien ja alle identifiziert. Es gehe darum, jetzt im Kleinen anzufangen und konkrete Schritte zu gehen.

Ein Beispiel, wie sich Tobias Bauer seine pragmatische Politik der kleinen Schritte vorstellt: Menschen in der Gesellschaft zusammenbringen. Etwa ältere Menschen mit großen Wohnungen, die einsam sind, und junge Familien oder Studenten, die Platz zum Wohnen brauchen. Die mieteten sich also bei Senioren ein und seien gleich eine Haushaltshilfe.

Wohnungsbau statt Enteignung

Die Freien Wähler sind außerdem gegen Enteignungen, Grundstücke sollten für den Wohnungsbau „schneller und in größerem Umfang“ bereitgestellt werden, allerdings auch mehr Kiezräume und Sportplätze für die Vernetzung „über soziale Schichten und Filterblasen hinweg“ geschaffen werden. Sie wollen mehr Stadtgrün, die Einhaltung von Schadstoffgrenzwerten, den Ausbau des ÖPNV, neue Ausrüstung für Polizei und Feuerwehr und die Wiedereinsetzung der Kontaktbereichsbeamten.

Die Berliner Verwaltung sollte moderner, Zuständigkeiten zwischen Senatsverwaltungen und Bezirken sollten klarer geregelt werden. Lehrer wollen sie wieder verbeamten – eigentlich fordern die Freien Wähler, dass künftig der Bund das Thema Bildung regeln soll, nicht mehr die Länder. Ihr Grundsatzprogramm haben sie überschrieben mit „Gemeinschaft und Respekt für Berlin“. Bauer sagt: „Wir wollen die Gesellschaft dahingehend stärken, dass man auch mal wieder nach dem Nachbarn guckt.“

„Aus Brandenburg können wir lernen“

Jetzt gilt es, mit diesen Forderungen noch die potentiellen Wähler zu erreichen. In Brandenburg hatten die Freien Wähler eine Volksinitiative zur Abschaffung der Straßenausbaubeiträge gestartet, so wurde aus einer Bürgerbewegung der Motor für den Einzug ins Parlament. „Aus Brandenburg können wir lernen“, sagt Bauer. Welches Thema sie hier zur Initiative machen wollen, ist noch nicht klar. Im kommenden Jahr soll es einen Landesparteitag geben.

Bis dahin hofft Bauer, dass die Landesvereinigung – bei den Freien Wählern spricht man nicht wie bei anderen Parteien vom Landesverband – noch wächst. Durch den Wahlerfolg in Brandenburg und durch prominente Gesichter wie dem TV-Richter Alexander Hold, der 2017 für die Freien Wähler fürs Amt des Bundespräsidenten kandidierte und seit 2018 Mitglied des Bayerischen Landtags ist, erhoffen sie sich Zuwachs.

Eine Geschäftsstelle gibt es bislang nicht. „Die wird dann eingerichtet, wenn wir eine Mitgliederzahl haben, die das rechtfertigt“, sagt Bauer. Davon ist man mit 17 Mitgliedern noch ziemlich weit entfernt.

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