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Berlin: Kleine Paradiese, große Poesie

Ein neues Buch stellt 16 Dichter und ihre Lieblingsorte in Brandenburg vor.

Eva Strittmatter und Lola Landau machten aus dem Duft der Gräser Gedichte und liebten die Bäume vor ihren Häusern. Günter Eich widmete der Oder seine schönsten poetischen Zeilen. Peter Huchel schwärmte von der „traumhaften Weite“ des Nuthetals bei Trebbin, Johannes R. Becher schrieb in seinem „Traumgehäuse“ in Bad Saarow eine Liebeserklärung für den Scharmützelsee. „Das Wasser tiefblau. Lapislazuli. Enzian. Ein kleines Paradies.“ Und Gerhart Hauptmann erinnerte sich in späteren Jahren an seinen Umzug 1885 von Berlin nach Erkner mit den Worten: „Ich musste aufs Land, das war mir klar.“

Etliche Dichter und Schriftsteller des 20. Jahrhunderts waren fasziniert von den wald- und wasserreichen Landschaften Brandenburgs und suchten sich dort ihre Refugien – in Dörfern, Kurorten, Villenkolonien. Als Freizeitsitz oder fürs ganze Leben. 16 dieser Autoren stellt Edda Gutsche in ihrem soeben erschienen Buch über Schriftstellerorte in Brandenburg vor. Darunter auch Bertolt Brecht in seiner „Eisernen Villa“ in Buckow in der Märkischen Schweiz, Einsiedler Franz Fühmann in seiner Waldhütte bei Märkisch Buchholz, Peter Hacks auf seinem burgähnlichen Landsitz bei Mittenwalde, Eva Strittmatter in Schulzenhof im Ruppiner Land, wo sie seit 1954 zusammen mit Erwin Strittmatter lebte und Verse auch aus der Stille schöpfte. Oder der Erfinder der „Heiden von Kummerow“, Ehm Welk. An seinem Geburtshaus in Biesenbrow steht einer von Welks Sinnsprüchen: „Heimat ist nicht immer dort, wo wir zur Welt kommen – Heimat ist, wo wir lieben.“

Gleich am Morgen nach ihrer Hochzeit in Rheinsberg wanderten Lola Landau und Armin T. Wegner, beide Lyriker und Schriftsteller, am 10. November 1920 durch den Herbstwald nach Neuglobsow am Stechlinsee. Das Paar war auf Stadtflucht, träumte vom Landidyll, sehnte sich nach dem „Haus der sieben Wälder“, wie die beiden ihr künftiges Heim nannten. „Wir wölbten über uns das sanfte Haus, tief eingemauert in beglückte Wände“, schrieb Lola Landau später. Doch zuvor war der Umzug von Berlin in ein arg heruntergekommenes Bauernhaus ohne Strom und fließendes Wasser für die in einer jüdischen Berliner Bürgerfamilie aufgewachsene 28-Jährige ein „großes Abenteuer.“ Zumal ihr Hausmädchen gleich das Weite suchte. Doch als der Salon „von Büchern umschlossen war, wurde es unser Haus“, erinnert sie sich.

Als im Frühling 1933 über dem Ortseingang von Neuglobsow ein Spruchband hing mit der Aufschrift „Juden kehren hier um!“ musste das Paar Abschied nehmen „von der Rosenterrasse, dem Zischen der Gräser im Mittagswind.“ Aber heute wird die 1936 nach Palästina emigrierte Lyrikerin dort wieder geehrt. Es gibt einen Lola-Landau-Ring und auch noch das „Haus der sieben Wälder“, das aber durch einen Umbau viel von seinem Zauber verloren hat. In der Allee jedoch, die beide oft zum Großen Stechlinsee hinabspaziert sind, ist die Zeit stehen geblieben. „Man glaubt sich im Kreuzgang eines Doms zu befinden. Und in der Tiefe der Krypta verbirgt sich der See,“ schreibt Buchautorin Edda Gutsche.

Sie nimmt ihre Leser auf eine empfindsame literarische Reise durch Brandenburg mit. Besucht die Orte, an denen die Dichter einst ihr Zuhause fanden, fahndet nach Spuren und Zeugnissen – und bringt dabei auch weniger bekannte oder fast vergessene Namen wie Berta Lask oder Gertrud Kolmar in Erinnerung. Edda Gutsche erzählt, wie ihre Protagonisten auf dem Land lebten, wie sie Naturerlebnisse reflektierten und all das Eingang in ihre Werke fand. Geschickt webt sie Biografien ein, gibt lyrische Kostproben.

„Tage vergehen im Boot auf dem See“, schrieb der Dramatiker Georg Kaiser in den frühen 20er Jahren. 1921 war er mit seiner Familie nach Alt-Buchhorst/Grünheide an der Löcknitz-Seenkette bei Erkner gezogen und genoss dort mit Chauffeur und Villa ein recht mondänes Landleben. Kaiser, der von 1922 bis zum Verbot seiner Stücke durch die Nazis 1933 einer der meistgespielten Theaterautoren Deutschlands war, fand die Gegend „wunderschön und einzigartig“, zumal der Peetzsee vor seiner Wohnung lag. Der See war Vorbild für sein musikalisches Drama „Silbersee“, das er mit dem Dreigroschenoper-Komponisten Kurt Weill auf die Bühne brachte. Nach der Premiere wurde das Stück von den Nazis abgesetzt, Kaiser flüchtete 1938 in den Tessin. Doch selbst der Lago Maggiore schien ihm nicht vergleichbar mit dem Peetzsee. Jedes Mal, wenn er eine Kiefer erblickte, vermisste er die Wälder und Gewässer der Mark.

Heute führt um den Peetzsee der Georg-Kaiser-Weg. Und sein erstes Haus an der Waldpromenade 10 ist noch erhalten. Es ist Sitz der Reederei Kutzker. Sie schippert mit Zwanziger-Jahre-Ausflugsdampfern über die Löcknitz und Müggelspree. Christoph Stollowsky

„Ich musste auf’s Land, das war mir klar ....“, Schriftstellerorte in Brandenburg von Edda Gutsche, vbb-Verlag, 19.95 Euro.

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