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Berlin: Klaus Korn (Geb. 1931)

Er schreibt Briefe an Günter Mittag. Eine Antwort bekommt er nicht.

In dem Jahr, in dem Klaus Korn geboren wird, tritt sein Vater Vilmos in die KPD ein. Zwei Jahre später, die Nazis sind an der Macht, taucht der Vater unter. Klaus wächst bei seiner Mutter Hannah in Lichterfelde auf. Nach dem Krieg ziehen sie nach Ost- Berlin.

Seit 1952 arbeitet Klaus im Bergbau bei Zwickau. Er lernt Ursula kennen, sie heiraten und bekommen eine Tochter. Die Ehe wird 1958 geschieden. Ein Jahr später holt Klaus auf der Arbeiter- und Bauernfakultät sein Abitur nach. Das anschließende Medizinstudium schmeißt er bereits nach einem Jahr.

Die DDR ist für Klaus Korn das bessere Deutschland. Seine Arbeit als Baggerfahrer im VEB Tiefbaukombinat ist für ihn sein Beitrag für Wiederaufbau und Sozialismus. Den Bau der Mauer hält er für richtig: Sein Staat werde sonst nur weiter vom Westen ausgebeutet und würde bald nicht mehr existieren. Er führt einen Bautrupp an, der die Häuserfenster an der Grenze zumauert. Stolz ist er, dass keiner seiner Leute flieht – im Gegensatz zu ein paar Soldaten, die die Arbeit überwachen sollen.

1962 heiratet er Maria, die er zwei Jahre zuvor beim Tanzen im Jazzklub „Kleine Melodie“ kennengelernt hat. Sie ist medizinische Assistentin im Krankenhaus der Volkspolizei. Das Paar zieht in eine kleine Neubauwohnung nach Köpenick. 1963 wird Hans-Jürgen geboren, benannt nach einem von Klaus Korns Brüdern, die im Krieg gefallen sind. Der zweite Sohn Martin kommt 1968 zur Welt.

Nach Feierabend arbeitet Klaus mit seiner Baubrigade für das Nationale Aufbauwerk. Er organisiert die Einsätze und wird mit einer Moskaureise ausgezeichnet. Schließlich aber wirft man ihm vor, die Sache „wie ein Kapitalist“ angegangen zu sein. Im November 1971 wird er verhaftet und aus der SED ausgeschlossen. Er sitzt zehn Monate in Untersuchungshaft, dann der Prozess. Das Strafmaß von dreieinhalb Jahren steht schon vorher fest.

Einen Monat später kommt er wieder frei – eine Amnestie anlässlich des 23. Jahrestages der DDR-Gründung. Weil er Widerspruch gegen das Urteil eingelegt hat, gilt er als nicht vorbestraft. Mit dem System hadert er nicht: Ein sozialistischer Staat hat das Recht zu derartigen Schritten, findet er. Doch in die Partei tritt er nicht wieder ein.

Er interessiert sich weiter für die politischen Belange, er vergleicht Karl-Eduard von Schnitzlers Kommentare mit denen des Westens. Er schreibt Briefe an Günter Mittag, ZK-Sekretär für Wirtschaftsfragen. Klaus unterbreitet Vorschläge, wie man den Autoverkauf besser organisieren könnte. Eine Antwort erhält er nie.

Klaus arbeitet jetzt beim VEB Baureparaturen. Seine Spezialität ist der Abriss von Industrieschornsteinen bei laufendem Betrieb. Als Bauleiter steht er fast 100 Arbeitern vor und kommt viel herum in der DDR. Überall sieht er, was in der Industrie schiefläuft.

1986 darf er mit Maria zu Besuch in den Westen. Ihr Bruder in Ludwigshafen feiert silberne Hochzeit. Klaus sieht die BASF-Werke und ist beeindruckt. Hat er seine Energie für den falschen Staat verschwendet? 1989 ist er bei den Montagsdemonstrationen dabei.

Sein Sohn Martin ist im August mit seiner Frau über Ungarn in den Westen abgehauen. Am 10. November kommt er zurück und macht mit seinen Eltern West- Berlin unsicher. Die Familie erlebt eine der schönsten Nächte. Wahnsinn!

Der Betrieb VEB Baureparaturen wird aufgelöst, und Klaus gründet mit seinem Trupp eine eigene Firma. Nach einem Jahr schwinden die Aufträge. Wer braucht schon Spezialisten für den Abbruch von Schornsteinen bei laufendem Betrieb, wenn die Betriebe schon stillgelegt sind?

Die Söhne steigen in die Firma des Vaters ein, sie erweitern gemeinsam das Spektrum. Statt um Abbruch kümmert man sich fortan um Aufbau – und lernt dabei die Schattenseiten des Kapitalismus kennen. Großkunden zahlen nicht, und an die Möglichkeit, im Winter Mitarbeiter freizustellen, denkt niemand. 1994 der Konkurs. Ein schwerer Schlag für Klaus.

Doch er entdeckt eine neue Leidenschaft, das Schreiben. Sein erster Roman ist ein utopischer, „Der Himmel ist für immer offen“: Nach einer Naturkatastrophe suchen die Menschen nach einem neuen Planeten.

In seinem zweiten Roman, der vor einem Jahr herausgekommen ist, wird die Bundesrepublik zum islamistischen Gottesstaat. Klaus veröffentlich das Buch unter Pseudonym. Und das große Echo bleibt aus.

Klaus muss mehrfach in die Klinik. Für den Urlaub mit der Familie fehlt ihm die Kraft. Seine Lebenslust lässt nach. Nur die Besuche der Enkel können ihn noch erfreuen. Sein Herzschlag gerät immer häufiger aus dem Takt, bis er drei Wochen vor seinem 80. Geburtstag ganz aufhört. Thilo Bock

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