zum Hauptinhalt

Berlin: Klaus Achterberg

Geb. 1949.

Mai 1967, „Neue Welt“, Hasenheide. Jimi Hendrix spielt sein erstes Berlin-Konzert. Die Fotos schießt Klaus Achterberg, gerade 18 Jahre alt, und verkauft sie an die Presse. In diesen Wochen erscheint die erste Nummer des „music report“, ein 20-seitiges Heft, das aussieht wie eine Schülerzeitung, aber nicht nur anders sein will als die Hochglanzmagazine, sondern viel, viel besser. Herausgeber, Autor und Fotograf ist Klaus. Er schreibt Lobeshymnen auf neue Bands, seine Musik soll die Musik aller werden.

18 Jahre später. „Music Scene Berlin“, ein kostenloses Veranstaltungsmagazin, voll mit Werbung – Herausgeber: Klaus Achterberg. Ein altes Foto zeigt ihn im Interview mit dem „Bluesbreaker“ John Mayall auf den Stufen des Flughafens Tempelhof, Bildunterschrift: „A Hard Road“, ein Songtitel Mayalls, der auch gut zum Leben des Interviewers passt. Der Fotograf des Bildes wird als Jim Rakete eine große Karriere machen.

Geboren wurde Klaus in Spandau, wo die Uhren anders tickten als im Rest der Frontstadt. Nach dem Abitur verlässt er das spießige Elternhaus in Richtung Großstadt. Zur Erleichterung der Eltern spukt nicht nur die neue Musik durch seinem Kopf, sondern auch ein klares Ziel: Journalist will er werden. Nach einem Volontariat beim „Tagesspiegel“ hat er die Wahl – und will den festen Arbeitsplatz nicht. Zu groß ist sein Freiheitsdrang, zu klein die Fähigkeit, sich einzuordnen. Als „Freier“ schreibt er für den „Abend“ und das „Spandauer Volksblatt“. Konzertkritiken, Rezensionen, wenn es sein muss, auch mal Lokales.

Jazz-Musik wird zu seinem großen Thema, aber nicht in verrauchten kleinen Clubs. Als Veranstalter bringt er alles mit: Visionen, Größenwahn, Chuzpe, Zockermentalität. Er hat Erfolg, er organisiert Veranstaltungsreihen wie „Jazz in July“ und „Jazz in the Garden“, bucht den Kammermusiksaal der Philharmonie, das „Tempodrom“, „Quartier Latin“, „Haus der Kulturen der Welt“, „Quasimodo“. Sein größter Coup ist die Nutzung der Passionskirche als Konzertraum, ganz ohne Orgel und Weihrauch. Beste Adressen, Musiker wie Jan Garbarek und Rabih Abou-Khalil füllen die Säle und finanzieren unbekannte Künstler mit.

Aber Saalmiete, Technik, Hotels und Reisen verschlingen Unsummen. Ständig unter Vollgas findet Klaus’ Einmann-Imperium selten zur Ruhe. Seine Kreuzberger Wohnung, deren Tür allen offen steht, ist sein Büro. Man trifft ihn aber auch oft in seinen Lieblingskneipen, wo er trinkt, Schach spielt, Zahlen- und Worträtsel löst und philosophiert. Immer im Mittelpunkt. Eine Mischung aus Entertainer, Denker und Diktator. Das können wenige aushalten.

Es bleibt ohnehin wenig Raum für Privates. Annabelle, seine Tochter, verliert er nach dem Bruch mit ihrer Mutter, sehr früh aus den Augen. Auch nach der Trennung ist er mit den Kreditkarten seiner Ex unterwegs gewesen. Denn trotz allen Wirbelns steht er finanziell mit dem Rücken zur Wand. Schon Ende der Achtziger der Offenbarungseid, zwei Jazz-Open-Airs floppen bei schlechtem Wetter, er hat keine Rücklagen und scheint am Ende. Aber einer wie Klaus kann nicht loslassen, auch wenn alles ausweglos erscheint.

Weiter geht die Irrsinnsfahrt, er bleibt als Veranstalter aktiv. Seine Freundinnen müssen nun den Kopf hinhalten, die Geldtransfers laufen auf ihre Namen und über ihre Konten. Es bleibt die Hoffnung, ein Konzert würde so erfolgreich, dass er aus dem Gröbsten rauskommt.

Wenn seine Tochter Annabelle ihn trifft, schämt sie sich für den freakigen Vater mit Künstlerhut und Zopf, der gar nicht aufhören will, zu erzählen und zu zeigen, was für ein toller Kerl er ist. Aber es gibt auch Freunde wie Jan und Werner, die seine Arbeit unterstützen, weil sie die Pionierleistung sehen. Die über seine Rechthaberei, seine fehlende Empathie für normale Menschen, die keine Musiker sind, hinwegsehen können. Eine Zeit lang jedenfalls. Sie verteilen seine hellblauen Flyer mit den Bleiwüsten von Text, die er teuer in einer Druckerei herstellen lässt, sie machen Werbung, Catering und andere Hilfsdienste. Wenn er Geld hat, zahlt er was, wenn nicht, bekommen sie Freikarten.

Auch nach dem Mauerfall scheint alles so weiterzugehen. Seine Konzerte füllen nun auch den Berliner Dom. Eine junge Griechin liebt ihn – und er hat eine neue Strohfrau für seine Unternehmungen gefunden. Seine Agentur heißt nun „Konzert Kontor Kreuzberg“, der Nachfolger von „Major Minor Music“, aber die Namen sind eigentlich egal, über allem steht: Prinzip Hoffnung. Das Warten auf den großen Coup, auch wenn Künstler wie das „Kronos Quartet“ mit 30-seitigen Technikforderungen aufwarten und er sich über ein Nullsummenspiel freuen kann, selbst wenn das Haus voll ist.

Die Frau an seiner Seite, von allen Nancy genannt, gleicht vieles aus. Sie erduldet es lächelnd, wenn er in aller Öffentlichkeit ihre Deutschfehler korrigiert. Die Sprache ist ihm wichtig, er sammelt Aphorismen, liebt Ringelnatz und Tucholsky. Nancy vermittelt mit Menschen, die von seiner arroganten Art vor den Kopf gestoßen sind. Und lernt Deutsch bis zur Perfektion.

Erfolgsjahre sind die Neunziger aber nicht, die Jazz-Szene dümpelt vor sich hin, trotz gehobener Eintrittspreise und Busladungen voll Touristen. Bei Presse und Funk ist Klaus der Schrecken der Kulturabteilungen: Er lässt sich nicht reinreden, zieht seine Beiträge mit großer Hartnäckigkeit durch. Redakteure lassen sich verleugnen, wenn er anruft. Dem abgeschotteten Star-Gitarristen Mark Knopfler reist er bis nach Köln hinterher, um ihn zu einem Lied zu interviewen, in dem es um einen Berliner Autogrammsammler geht. Es wird ein großartiges Gespräch und läuft im Radio. Fürs Schweizer Fernsehen entwirft er Rätselfragen für Quizsendungen, er betreut Szenemagazine.

Vieles passiert, wenig kommt rein. Deswegen das Projekt Gastronomie. Erfahrung hat Klaus vor allem von der anderen Seite des Tresens. Nancy und er übernehmen 2002 das „Charlott“, eine Kneipe am Schlesischen Tor. Eine Kulturinstitution soll es werden, Live-Konzerte, Brecht-Abende. Jazz-Musik bis Mitternacht ruft die Nachbarn auf den Plan. Die Stammkundschaft wird verprellt mit dem Verbot, Bier aus Flaschen zu trinken, weil das kulturlos sei. Wer das nicht einsieht, fliegt raus. Oft schläft Klaus in der Kneipe, er ist sein bester Gast. Nach einem Jahr voller Suff, Frust und Streit ist Klaus die Kneipe los und Nancy weg.

Es wird ruhiger um ihn. Natürlich macht er weiter als Konzertveranstalter, seine Künstler halten ihm die Stange. Vieles gelingt auch, nur nicht der große Wurf. Auf Zetteln notiert er Aphorismen, er löst die kompliziertesten Rätsel. Vom Tresen seiner Lieblingskneipe „Zeughof“ aus ruft er nachts stolz Bekannte an, wenn er eine besonders knifflige Frage gelöst hat. Doch trotz aller Klugheit hat er im Leben keinen Ort gefunden. Wenn man mal von seiner geliebten kleinen Wohnung absieht, im Herzen Kreuzbergs, ein Sammelplatz von Gegenständen. Er kann sie gerade noch halten.

Irgendwann, in großer Not, eine letzte Idee: Er hat doch so viel Kram, warum nicht einen Flohmarkt organisieren? Direkt vor der Kreuzberger Postfiliale stehen seine liebevoll dekorierten Stände, er ist Organisator, Händler und ein letztes Mal der Impresario. Ein altes Grammofon dudelt Jazz, er hat sich in Schale geworfen, verkauft Bücher, Platten und mehr. Viele Perlen hat er mit sicherem Blick aus Wohnungsauflösungen davongetragen. Er wirkt glücklich und zufrieden in der neuen Rolle. Und die kleine Kundschaft vergöttert ihn.

Aber viel Zeit bleibt ihm nicht, denn er hat Krebs. Aus einem Monat Lebenserwartung macht er zwei Jahre, immer im Dauerstress mit Ärzten und Personal. Wenn er Cidre am Krankenbett fordert, will er vor allem eins: Respekt.

Nun ist seine Tochter für ihn da, sie hat den Kontakt doch noch gesucht. Er erzählt von seinen großen Taten, von der Musik, die er vermittelt hat. Die Zeit, die ihnen bleibt, ist knapp. Gemeinsam besuchen sie Konzerte, jedes ist ein Abschied. Das letzte: Paul McCartney. Dann bleibt nur noch die Angst, ins Koma zu fallen. Nicht denken können, keine Lösungen entwickeln. Es bleibt ihm erspart. Wenige Stunden der Agonie, dann ist es vorbei. Bis zu seinem Geburtstag hat er es nicht mehr geschafft.

Zurück bleiben die, die Kerzen anstecken und reden. Ein Abschied von einem Schwierigen, aber das heißt nichts in Kreuzberg. Hier leben viele irgendwo dazwischen, halb Kotzbrocken, halb Gott. Erik Steffen

Zur Startseite