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Spieglein, Spieglein. Im Osthafen ankern Pontons, die bei Unwettern Abwasser zwischenspeichern, damit es nicht ungeklärt in die Spree rauscht. 

© Christoph Soeder/dpa

Klares Wasser in Spree und Landwehrkanal: Warum die Berliner Gewässer jetzt so sauber sind

Selbst die Flüsse und Kanäle in der Berliner City lassen gerade tief blicken. Das liegt an Wetter, Pflanzen, Muscheln und indirekt wohl auch am Virus.

So gut wie zurzeit ist die Unterwasserwelt nicht oft zu sehen: Fische in der Spree, Muscheln im Müggelsee, Fahrradleichen im Landwehrkanal – Erstaunliches zeigt sich, das sonst meist verborgen bleibt. Sind die Berliner Gewässer tatsächlich gerade so außergewöhnlich klar, wie sie Betrachtern seit einigen Tagen scheinen? Und wenn ja: Bleiben sie so?

„Kommt darauf an“, ist in jedem Fall eine zutreffende Antwort. Zum einen kommt es darauf an, wo man schaut: Für den Großen Müggelsee meldet die schwimmende Messstation des Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) in Friedrichshagen gerade knapp vier Meter Sichttiefe. Das liegt im für April üblichen Bereich: Im Winter sind es manchmal fast acht Meter (so tief wie der See), im Sommer eher zwei.

Wenn die hoch stehende Sonne in den Großen Müggelsee scheint, sind zurzeit Einblicke wie dieser hier möglich.
Wenn die hoch stehende Sonne in den Großen Müggelsee scheint, sind zurzeit Einblicke wie dieser hier möglich.

© Klaus Jacobs

Die Dahme ist mit sporadischen Ausnahmen im Winter immer recht trübe. Für die innerstädtischen Gewässer gilt – nein: galt – das erst recht. Das klarste unter den größeren Gewässern ist der Tegeler See, seit die 1985 in Betrieb gegangene Oberflächenwasser- Aufbereitungsanlage (OWA) der Berliner Wasserbetriebe sowohl den Ablauf des Klärwerks Schönerlinde als auch umgeleitetes Wasser aus der Oberhavel reinigt. Hauptsächlich werden Phosphorverbindungen beseitigt, die sonst als Dünger die Algen wachsen lassen – je wärmer das Wasser, desto stärker. Phosphor und der ebenfalls düngende Stickstoff stammen sowohl aus Klärwerken als auch aus der intensiven Landwirtschaft.

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„Im Frühjahr haben wir in allen Gewässern ein Klarwasserstadium“, erklärt der Fischökologe Christian Wolter vom IGB: Kieselalgen, die selbst kaum sichtbar sind, fressen Schwebstoffe aus dem Wasser, sodass es klarer wird. In den innerstädtischen Gewässern ist dieser Effekt nach Auskunft von Wolter wegen des insgesamt höheren Nährstoffgehaltes geringer. Dort spielt eher das Wetter eine Rolle: Da es seit vielen Monaten nicht mehr heftig geschüttet hat – der Winterniesel zählt nicht –, ist auch die innerstädtische Mischkanalisation sehr lange nicht mehr übergelaufen. So kommt es, dass das Flussbad an der Museumsinsel theoretisch gleich eröffnen könnte – und sofort wieder schließen müsste, sobald ein Unwetter verdünnte Hausabwässer und Straßendreck über Dutzende Notauslässe in die Spree schwemmt.

Die Müggelspree - hier vor der historischen Brauerei in Friedrichshagen - ist zurzeit ebenfalls ungewöhnlich klar.
Die Müggelspree - hier vor der historischen Brauerei in Friedrichshagen - ist zurzeit ebenfalls ungewöhnlich klar.

© Stefan Jacobs

Zwar ist die Zahl dieser Überläufe durch ein mehr als 150 Millionen Euro teures Umbauprogramm – Wehre, Speicher, Drosseln – der Wasserbetriebe schon deutlich gesunken, aber nach einem einzigen Gewitter kann die Menge von Keimen und Dünger im Wasser wieder explodieren. Wobei zu den Keimen neben vielen anderen auch Coronaviren gehören können, die aber nach Ansicht von Fachleuten im Wasser nicht infektiös sind. In den Berliner Klärwerken werden sie laut den Wasserbetrieben „zu mehr als 99 Prozent eliminiert“; in ein paar Jahren soll auch das restliche Prozent weitgehend beseitigt werden.

„Für die Fische in Spree und Havel ist die Wasserqualität nicht mehr der limitierende Faktor“, sagt der Ökologe Wolter vom IGB. Von den sauberen Flüssen und Seen profitierten automatisch auch die innerstädtischen Kanäle als Teile des Berliner Gewässerverbundes – auch wenn der Wasseraustausch sehr gering ist, weil Spree, Havel und Dahme während der immer längeren Trockenperioden nur wenig Nachschub bringen und fast nicht vorhandene Gefälle in Kombination mit Schleusen die Flüsse und Kanäle praktisch zum Stillstand bringt.

Die Ente bleibt sauber. Hier ein ungewöhnliches Exemplar auf der Müggelspree in Köpenick.
Die Ente bleibt sauber. Hier ein ungewöhnliches Exemplar auf der Müggelspree in Köpenick.

© Stefan Jacobs

Allerdings galt das bereits für die vergangenen beiden Jahre, in denen das Wasser zumindest in der City selten so klar war wie jetzt. Wolter vermutet als weiteren Grund, dass im Müggelsee – also spreeaufwärts – seit zwei Jahren aus Südosteuropa eingewanderte Quagga-Muscheln siedeln, die permanent Schwebstoffe aus dem Wasser filtern. Außerdem habe sich das Wachstum von Wasserpflanzen deutlich verstärkt – und die vom Kraut aufgenommenen Nährstoffe fehlen dann den optisch unschönen Algen.

Bleibt noch eine naheliegende Vermutung, warum Spree und Landwehrkanal so klar sind: Die Abwesenheit der Ausflugsdampfer. Für die Stadtspree hat Wolter das Phänomen vor Jahren untersucht – und „überrascht festgestellt, dass dort kaum noch feine Sedimente aufzuwirbeln sind“, weil die starken Schiffsantriebe praktisch alles, was sich sonst auf dem Kies der Gewässersohle sammeln würde, wegblasen. Diese Wirbel seien auch für die meisten Fische zu heftig.

An Stellen mit normalerweise etwas geringerem Schiffsverkehr – etwa im Landwehrkanal – kann die coronabedingte Einstellung des Dampferverkehrs aber durchaus eine Rolle spielen. Derk Ehlert, Naturexperte bei der Umweltverwaltung, sieht in der Abwesenheit der Schiffe auch einen Nachteil: „Die Schrauben schaufeln auch ordentlich Sauerstoff ins Wasser. Wenn die fehlen, werden wir bald wieder unser Belüftungsschiff losschicken müssen.“

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