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Noch was frei? Kitaplätze sind fast überall in Berlin schwierig zu finden. Dass sich daran etwas ändert, ist eher unwahrscheinlich.

© Christian Charisius/dpa

Update

Kita-Navigator in Berlin: Wenn die Erzieherin am Telefon nur lacht

Ein neues Online-Portal der Bildungsverwaltung soll Eltern die Kitaplatz-Suche erleichtern – doch die Suchergebnisse haben mit der Realität noch wenig zu tun.

Die Frau am Telefon lacht herzlich. „Da steht, dass wir Plätze frei haben?", fragt die Leiterin einer Kita in Schöneberg. „Das überrascht mich sehr." Sie hat noch gar nicht reingeschaut in den neuen Kita-Navigator, den die Berliner Bildungsverwaltung am Mittwochfrüh freigeschaltet hat. Das Angebot kita-navigator.berlin.de soll Eltern - online und per App - die Suche nach einem Kitaplatz erleichtern.

Eine Stichprobe allerdings zeigt: Die meisten Kitas haben ein grünes Häkchen, das heißt: Plätze frei im November 2019. Die Realität sieht allerdings völlig anders aus.

So erklärt sich das Lachen. „Wir haben nicht die volle Auslastung, das stimmt“, sagt die Leiterin, die namentlich lieber nicht genannt werden möchte. Ihre Kita hat eine Betriebserlaubnis für gut 150 Kinder, derzeit könne sie allerdings nur 120 Kinder betreuen - weil sie partout kein Personal findet. „Vielleicht werden die Plätze deswegen frei angezeigt“, sagt sie.

Bei einem Rundruf in mehreren Kitas in der Umgebung zeigt sich ein ähnliches Bild: Keine der grün angezeigten Kitas im kinderreichen Akazienkiez hat derzeit tatsächlich einen Platz frei, die meisten nicht einmal im nächsten Jahr. „Wir sind froh, wenn wir überhaupt noch die vielen Geschwisterkinder unterkriegen können", heißt es mehrfach.

Wie sollen die Kitas den zusätzlichen Verwaltungsaufwand schaffen?

Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) lobte am Mittwoch die „großen Vorteile für Eltern und Kita-Leitungen“ und sprach von einem „zeitgemäßen Online-Angebot zur Kita-Suche“, das „schnell einen aktuellen Überblick über das vielfältige Berliner Kita-Angebot und über freie Plätze“ ermögliche.

Doch wie kommt die Diskrepanz zustande? Iris Brennberger, Sprecherin der Senatsverwaltung für Bildung, sagt: Die Kita-Betreiber beziehungsweise die Träger seien selbst verantwortlich dafür, die Daten in das System einzutragen und zu aktualisieren. Sie melden freie Plätze oder den Abschluss neuer Verträge über das die „Integrierte Software Berliner Jugendhilfe“ (ISBJ). „Das ist das System, mit dem alle Kitas und das Land Berlin ohnehin ihre Geschäftsbeziehungen regeln“, sagte Brennberger. Die Senatsverwaltung hat demzufolge keinerlei Einfluss auf die im Navigator angezeigten Daten. „Wenn der Navigator falsche Meldungen macht, dann weil eine Kita ihrer Pflicht zur aktuellen Meldung nicht nachgekommen ist“, sagt Brennberger.

"Wahrscheinlich wird jetzt heftig aktualisiert"

Wahrscheinlich werde jetzt, wo das Portal freigeschaltet ist, heftig aktualisiert. Dazu seien die Kitas verpflichtet. „Die Senatsverwaltung wird sehr genau hinsehen, ob Kitas ihre Daten aktuell halten. Der Navigator wurde entwickelt, um endlich das Wartelistenchaos beenden.“

Dabei helfen soll unter anderem die Funktion des Vormerkens: Die Kitaleitung kann der Senatsverwaltung zufolge fest zugesagte Plätze auch in das System eintragen, selbst wenn noch kein Vertrag zwischen Kita und Eltern geschlossen wurde. Dies soll in Zukunft verhindern, dass sich Eltern – wie derzeit üblich – auf unzählige Wartelisten schreiben lassen. „Die Entscheidung, ob ein Kind in einer Kita aufgenommen wird, trifft weiterhin die Kita-Leitung“, sagte Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) beim Start des Angebots am Mittwoch. „Er ist jedoch keine zentrale Platzvergabe.“

Und hier liegt das Problem: Wenn die Kitas weiterhin selbst entscheiden, wird das Wartelistenproblem nicht gelöst werden können. Der Navigator kann dann lediglich - wie auch Scheeres betont - einen Überblick über das Kita-Angebot liefern. Eltern könnten mit Hilfe des Navigators Schritte wie die Kontaktaufnahme mit der Kita und den Antrag für den Kita-Gutschein online organisieren.

Das Portal bietet einen guten Überblick und eine Suchfunktion

Diesen Überblick gab es bislang nicht. Das Portal bietet eine gut funktionierende Suche nach Standort, aber auch Parameter wie pädagogisches Konzept, Altersstruktur, Öffnungszeiten, thematische Schwerpunkte und Mehrsprachigkeit können als Kriterien ausgewählt werden. Die Angebote im Umkreis können zudem miteinander verglichen werden.

Jörg Nolte, Geschäftsführer der IHK Berlin, nennt den Kita-Navigator einen wichtigen Schritt in die richtige Richtung. „Die dringlichste Aufgabe bleibt aber die Schaffung von Kinderbetreuungsplätzen in ausreichender Anzahl.“ Nolte wies auf eine Umfrage hin, nach der Fachkräfte in Berlin häufig ihre Elternzeit verlängerten, weil der Kitaplatz nicht zum gewünschten Termin verfügbar gewesen sei. In der Berliner Realität trifft das meistens die Frauen, denen der Berufseinstieg dadurch erschwert wird.

Maren Jasper-Winter, bildungspolitische Sprecherin der FDP-Fraktion und kritische Begleiterin des Projekts Kita-Navigator, stört sich an dessen Bedienkomfort. „Peinlich“ nennt sie es, „wenn für eine eigentlich einfache, digitale Anwendung ein Handbuch von 32 Seiten nötig ist.“ Tatsächlich hat die Senatsverwaltung zeitgleich mit dem Kita-Navigator eine umfangreiche „Bedienungsanleitung“ veröffentlicht. „Für so eine Anwendung aus der digitalen Steinzeit sind sechs Jahre Wartezeit einfach zu viel“, sagt Jasper-Winter.

Auf den Internetseiten der Kitas steht: Wir haben keine Plätze frei

Für die Kitas könnte das Angebot im Gegenteil zu noch mehr Anfragen führen: Die vielen grünen Häkchen auf der Seite des Kita-Navigators, übersichtlich mit Telefonnummern und Mail-Adressen präsentiert, regen dazu an, bei den Kitas anzurufen. „Jetzt muss ich wahrscheinlich noch mehr Leute am Telefon enttäuschen“, sagt eine Kita-Leiterin resigniert. Schon jetzt verbringe sie sehr viel Zeit damit, Eltern zu vertrösten. „Es ist nicht so, dass mir das Spaß macht. Und es bindet sehr viel Arbeitskraft, die ich gern für die Kinder frei hätte.“

Denn auf den Internetseiten der meisten Kitas nämlich findet sich gut sichtbar, häufig rot und fett markiert, weiterhin der Hinweis: Wir haben derzeit keine Plätze frei.

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version des Textes wurde eine Kita-Leiterin namentlich zitiert. Dafür gab es keine Einwilligung. Wir haben die Passage deswegen anonymisiert.

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