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Johann Heiss: Der Auszug der Israeliten aus Ägypten (um 1693).

© Mike Wolff / Staatsbibliothek zu Berlin

Kirchenkunst in Berlin: Jeder nur ein Kreuz: Wo man Ostern besichtigen kann

Vier Kunstwerke aus drei Jahrhunderten zeigen Ostergeschichten zwischen Marzahn und Charlottenburg. Wir beschreiben die besonderen Berliner Bildnisse und empfehlen vier Ausflüge mit Geschichte.

Das erste Bild: Der Auszug der Israeliten

Dass der erste Abend des achttägigen Pessachfestes auf einen Karfreitag, also mit christlichen Festtagen zusammenfällt, kommt selten vor. An Pessach, was mit „Vorüberschreiten“ übersetzt werden kann, feiern Juden die Überlieferung vom Exodus ihrer Vorfahren: von der Ausreise aus jenem Land, wo Israeliten Zwangsarbeit leisten mussten. Das erste der zehn Gebote formuliert diese Befreiung als zentrale Ausbruchserfahrung: „Ich bin der Herr, dein Gott, der dich aus Ägypten geführt hat, aus dem Sklavenhaus.“ Auf einem barocken Gemälde, das sich in einem kleinen Museum nahe dem Gendarmenmarkt befindet, versetzt der Historienmaler Johann Heiss dies Aufbruchs-Szenario in eine zeitgenössische Stadt. Links starten Gastarbeiter mit Gepäck und Viehzeug in ihre ungewisse Freiheit. In der rechten Bildhälfte nehmen ihre Ausbeuter, die ihre Nachbarn waren, Abschied. Einige der Aufbrechenden blicken unschlüssig zurück, unter den Zurückbleibenden herrscht Verwirrung. Manche liegen zusammengebrochen am Boden, über ihnen agiert bereits, wie eine Science Fiction-Figur, der graublaue Todesengel. Trotzdem zeigt „Der Auszug der Israeliten“ einen schwierigen Entscheidungsmoment, denn die Flüchtenden lassen für den Weg ins Freie nicht nur ihre Sklavenhalter zurück, sondern auch Sicherheiten der Zivilisation: jene „Fleischtöpfe Ägyptens“, nach denen sie sich später manchmal zurücksehnen werden. 

Dem schwäbischen Maler Heiss (1640 – 1704) hat sein graublauer Todesengel so gut gefallen, dass er ihn auf einer weiteren Variante des Exodus-Motivs einsetzte, die in Memmingen ausgestellt wird. Das Berliner Bild gelangte als Geschenk der 1795 verstorbenen Reichsgräfin Elisabeth von Schwerin an die Königliche Bibliothek. Als Leihgabe der Staatsbibliothek ist es in der Dauerausstellung der Mendelssohn-Remise zu sehen.

(Ausstellung in der Mendelssohn-Remise, Jägerstr. 51; tgl. geöffnet 12 bis 18 Uhr)

Ein expressionistischer Cruzifix

Aufgehängt und abgehängt. Dieses expressionistische Kruzifix ist jetzt in Marzahn zu sehen. Skulptur: Hans Perathoner: Cruzifixus (1930).
Aufgehängt und abgehängt. Dieses expressionistische Kruzifix ist jetzt in Marzahn zu sehen. Skulptur: Hans Perathoner: Cruzifixus (1930).

© Frank Vetter / Erzbischöfliches Ordinariat Berlin

Am Karfreitag steht für Christen die Kreuzigung ihres Rabbis Jesus im Mittelpunkt, dessen Festnahme und Sterben zur Zeit der Pessach-Feiern stattgefunden hat. Bilder von diesem schändlichen Galgentod, der Anderen schwer zu vermitteln war, sind aus der Frühzeit des Christentums nicht bekannt. Die erste erhaltene Abbildung dieser Art, eine Karikatur, zeigt um 125 n.Chr. über der Schrift „Alexamenos betet Gott an“ einen Mann vor einem Gekreuzigten mit Eselskopf. In späteren Jahrhunderten ist das Entsetzen vor dem barbarischen Akt der frommen Sehgewohnheit gewichen.

Als im Sommer 1930 für die neue katholische Kirche in Kaulsdorf ein expressionistischer Cruzifixus geschaffen wurde, hatte der Tiroler Bildhauer Hans Perathoner (1872 – 1946), Professor an der Charlottenburger Kunstgewerbeschule, keineswegs Provokation Sinn. Der vier Meter hohe, gekrümmte Korpus, den er an einem Backsteinkreuz fixierte, war mit dem Beil aus einem Eichenstamm gehauen und roh belassen worden. Befürworter erkannten in der monumentalen Figur eine Illustration des Klagepsalms 22 („Ich bin ein Wurm und kein Mensch“), einen Appell zum Mitleiden. Kritiker fühlten sich durch die „Missgestalt“ abgestoßen, assoziierten „Gotteslästerung“ und darwinistische Ansichten, die Abstammung des Menschen vom Affen. Der Bischof des neugegründeten Bistums Berlin, Christian Schreiber, setzte sich für eine Entfernung des Aufregers ein, was man nach 13 Monaten der Auseinandersetzung schließlich durchgeführt hat. Perathoners drastischer Christus wurde weggeräumt, von 1964 bis 1986 erhielt er Asyl in der Evangelischen Hoffnungskirche (Pankow). Seit dem Jahr 2000 hängt er als Leihgabe aus Kaulsdorf in einem katholischen Kirchbau der späten DDR: dem Gotteshaus „Von der Verklärung des Herrn“, am Rand Marzahner Wohnblöcke .

(Kath. Kirche „Von der Verklärung des Herrn“, Neufahrwasserweg 8: Ostermessen 5.4. um 5 Uhr / 10 Uhr; 6.4. um 18 Uhr.)

Der Auferstandene in Siegerpose

Sein Fest der Auferstehung. Auf diesem Bild, zu sehen in der Kirche St. Canisius am Lietzensee, lungern Security-Leute um Jesus herum und verpassen das Unglaubliche. Ercole Ramazzani: Auferstehung Christi (1559 / 1570).
Sein Fest der Auferstehung. Auf diesem Bild, zu sehen in der Kirche St. Canisius am Lietzensee, lungern Security-Leute um Jesus herum und verpassen das Unglaubliche. Ercole Ramazzani: Auferstehung Christi (1559 / 1570).

© Frank Vetter / Erzbischöfliches Ordinariat Berlin

Aus der Feuersbrunst, die 1995 das erst vierzig Jahre alte Kirchengebäude St. Canisius am Lietzensee vollständig zerstört hatte, war ein  Eisenblech-Cruzifixus geborgen worden. Die verformte Skulptur fand 2002 auf einer Rückwand im Neubau von St. Canisius ihren Platz. Und seit 2006 gehört zu dem hellen Raum aus Holz, Glas und Beton, wo jedes Element stark zur Geltung kommt, auch ein Oster-Gemälde aus dem 16. Jahrhundert.

Das Zentrum dieses Bildes, Öl auf Holz, bildet der von unwirklich weißem Licht durchstrahlte Auferstandene in Siegerpose: vor einer schwarzen Grabesloch, einem Marmorsarkophag, einer italienischen Stadt am See. Hier berühren sich zwei Parallellwelten – fast. Vier  Security-Leute hocken vor der düsteren Höhle, um Zwischenfälle abzuwehren: Der Vorgang Jesus ist abgeschlossen. Ein  Gepanzerter döst, seine Kollegen merken irgendwie, dass etwas Seltsames vorgeht. Sie verrenken sich wie Betrunkene, stieren am Geschehen vorbei, wedeln mit den Waffen. Einer kauert zu Füßen des lebenden Hingerichteten mit der Schramme an der Brust, als suche er Blickkontakt zum Unvorstellbaren. Aber der Sarg ist zu. Das Umwälzende findet vor den offenen Augen routinierter Angestellter statt, die – „Keine besonderen Vorkommnisse“ – ihre Schicht absitzen, das Neue nicht wahrnehmen: dass ein Totgefolterter das letzte Wort erhält und die Ordnung der Welt sich, vielleicht, von Grund auf ändert.

Auf welche Weise diese spätmittelalterliche Reflexion zum Oster(un)glauben in Berliner Privatbesitz gelangte, ist unbekannt. Zugeschrieben wird das Kunstwerk Ercole Ramazzani (1530 - 1598). Beim Pfarrer von St. Sebastian im Wedding, Georg Auditor, prangte es im Esszimmer. Seinen Kaplan beeindruckte das Bild; als Pfarrer Auditor starb, erhielt er den Schatz zur Erinnerung. Inzwischen ist aus dem jungen Priester, Otto Riedel, ein emeritierter Domprobst geworden, der sein Erbstück dem Domkapitel von St. Hedwig vermacht hat: für ein künftiges Museum an der Kathedrale. Weil aber daran derzeit nicht zu denken ist, gelangte es als Leihgabe nach St. Canisius.

(Kath. Kirche St. Canisius, Witzlebenstr. 30: Ostermessen 4.4. um 21 Uhr, 5.4. um 11 Uhr / 18 Uhr; 6.4. um 11 Uhr.)

Der Plötzenseer Totentanz

Alfred Hrdlicka: Tafeln Emmaus-Abendmahl-Ostern (1972) des Plötzenseer Totentanzes in der Ev. Gedenkkirche Plötzensee.
Alfred Hrdlicka: Tafeln Emmaus-Abendmahl-Ostern (1972) des Plötzenseer Totentanzes in der Ev. Gedenkkirche Plötzensee.

© Ev. Kirchengemeinde Charlottenburg-Nord

Auf 16 Tischlerholzplatten, dreieinhalb Meter hoch, knapp einen Meter breit, hat der österreichische Künstler Alfred Hrdlicka (1928 – 2009) von Mitte der 1960er Jahre bis 1972 für eine evangelische Gedenkkirche im nördlichen Charlottenburg den „Plötzenseer Totentanz“ geschaffen: Zeichnungen mit Bleistift, Kohle, Deckweiß und Rötel. Man erkennt auf den Bildern – an abgebildeten Rundbogenfenstern und eisernen Haken – den Schuppen beim nahen Strafgefängnis Plötzensee, in dem während des „Dritten Reiches“ fast 2900 Menschen hingerichtet worden sind. Manche der Zeichnungen sind so grausam, dass sie an dieser Stelle kaum abzudrucken wären; dazu zählt eine Kreuzigungsszene, auf der nackte Männer mit verrenkten Armen an Haken hängen.

Die zuletzt fertiggestellten Holztafeln gelten als Interpretation einer Oster-Erzählung aus dem Lukas-Evangelium. In dieser Geschichte begegnen zwei Anhänger Jesu, verschreckt vom Kreuzestod ihres Messias und verstört durch Gerüchte vom leeren Grab, einem Fremden, der sie auf dem Weg von Jerusalem ins Dorf Emmaus begleitet. Er erklärt ihnen vieles. Sie erkennen ihn beim gemeinsamen Essen und daran, dass „unsere Herzen brannten“, dann verschwindet er vor ihren Augen. Auf Hrdlickas „Emmaus-Tafel“ des Vorüberschreitens und des Übergangs ins Neue hocken fünf Delinquenten im Streifenanzug unter Fleischerhaken und hellen Bogenfenstern. Links wird einer von Uniformierten weggeführt. Zwischen den Fünfen sitzt eine ähnliche, andere, helle Gestalt, die ein Brot bricht.

(Ev. Gedenkkirche Plötzensee, Heckerdamm 226; Ostergottesdienste am 4.4. um 23 Uhr, am 6.4. um 11 Uhr.)

Die Gottesdienste zu Ostern in Berlin und Brandenburg finden Sie hier.

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