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In dieser symbolisch nachgestellten Szene verlässt ein Mann eine katholische Kirche. Auch die evangelische Kirche hat mit Austritten zu kämpfen.

© PICTURE ALLIANCE

Kirchenaustritte steigen um rund 50 Prozent seit 2016: Immer mehr Berliner verlassen bewusst die Kirchen

Jahr für Jahre treten mehr Berliner aus katholischer und evangelischer Kirche aus. 30 Euro nimmt das Land pro Austritt. Die Grünen wollen das jetzt ändern.

Kirchenbänke bleiben leer, der Klang der Orgel verhallt im Gemäuer. Besonders die evangelische Kirche verliert in Berlin seit Jahren konstant Mitglieder. Die katholische Kirche bleibt, vor allem durch Zuzüge aus Osteuropa, stabil – auf niedrigem Niveau.

Alarmieren dürfte die Kirchen aber, dass nicht nur der demografische Wandel auf ihre Mitgliederzahl einwirkt. Auch die Austritte steigen seit Jahren. Das geht aus Zahlen der Justizverwaltung hervor, die dem Tagesspiegel vorliegen.

Kirchenaustritte in Berlin – das sind die Zahlen

  • Zwischen 2016 und 2019 stieg die Zahl der Austritte aus der katholischen Kirche in Berlin um 60 Prozent – von 5.298 Menschen (2016) auf 8.719 im vergangenen Jahr.
  • Insgesamt verlor das Bistum, dass auch Brandenburg und Teile von Mecklenburg-Vorpommern umfasst, seit 2016 allein in der Hauptstadt 26.524 Menschen, die sich bewusst gegen eine Mitgliedschaft entschieden.
  • Die evangelische Kirche verlor im gleichen Zeitraum sogar 38.520 Menschen. Die Zahl der Austritte stieg bei den Protestanten seit 2016 um 34 Prozent – auf 11 632 Menschen, die das Kreuz Kreuz sein lassen wollen.
  • Damit verlieren die in der Hauptstadt eher mitgliederschwachen Kirchen weiter an Bindungskraft.
  • Anfang 2019 waren noch 558 992 Menschen in der evangelischen Kirche Mitglied – etwa 15 Prozent der Berliner.
  • 326 095 sind in der katholischen Kirche organisiert; knapp neun Prozent der Bevölkerung.

Kirchen spekulieren über Gründe für Austritte

Die Kirchen sehen ganz unterschiedliche Gründe für den Anstieg der Austritte. Stefan Förner, Sprecher des Erzbischöflichen Ordinariats des Bistums Berlin, sieht viele der Austritte als „letzten Schritt eines langen Distanzierungs- und Entfremdungsprozesses“. Das Bistum kämpft seit Jahren mit der höchsten Austrittsquote in ganz Deutschland.

Es gebe einerseits einen generellen Vertrauensverlust gegenüber der Institution Kirche. Konkrete Anlässe seien die „Berichterstattung über Missbrauch oder die Rolle der Frau in der Katholischen Kirche“, sagte Förner dem Tagesspiegel.

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Andererseits führten auch ganz lebenspraktische Gründe zum Austritt. „Wir wissen, dass viele Menschen ihren Umzug nach Berlin tatsächlich zum Anlass nehmen, aus der Kirche auszutreten.“ Da die Austritte in Berlin aber nicht in einer kirchlichen Stätte, sondern in den Amtsgerichten stattfinden, wisse man wenig über die konkreten Gründe, sagte Förner.

Während die Hauptstadtkatholiken noch über den Antrieb der Abkehrer rätseln, hat die evangelische Kirche Berlin-Brandenburg Oberlausitz (EKBO) erste konkrete Schritte getan, nach Gründen für den Austritt zu fragen. Auch die Protestanten haben nirgendwo sonst eine so hohe Austrittsquote.

Es ist eine Sache des Geldes

Im Kirchenkreis Stadtmitte, mit rund 79 000 Mitgliedern der größte in der EKBO, hat Pfarrer Alexander Brodt-Zabka allen Abkehrern einen persönlichen Brief und einen Fragebogen zukommen lassen, mehr als 2600 Menschen allein im Jahr 2018. 20 Prozent antworteten.

Eine große Mehrheit gab ganz weltliche Gründe für ihren Austritt an: 61,2 Prozent nannten finanzielle Aspekte als Grund. Oft sei gar nicht klar, wohin etwa die Kirchensteuer fließe, wofür sie verwendet werde. 31,8 Prozent erklärten, mit dem christlichen Glauben abgeschlossen zu haben, und rund 20 Prozent wollten so gegen Äußerungen der Kirche in politischen oder gesellschaftlichen Fragen protestieren.

Dafür nehmen Austrittswillige auch in Kauf, Geld zu bezahlen. In vielen deutschen Bundesländern kann man die Kirche nur gegen Gebühr verlassen – auch in Berlin. 30 Euro kostet der Austritt in der Hauptstadt. Die Grünen wollen das jetzt - wiederholt - ändern. Werner Graf, Landesvorsitzender seiner Partei, sagte dem Tagesspiegel: „Der Kirchenaustritt muss kostenlos sein – es darf keine finanzielle Frage sein, ob man Mitglied einer Glaubensgemeinschaft ist.“

Werner Graf ist Landesvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen in Berlin.
Werner Graf ist Landesvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen in Berlin.

© Rasmus Tanck

In Berlin wurde erst im Jahr 2014 eine solche Gebühr für den Austritt eingeführt: Mit den Stimmen von Klaus Wowereits rot-schwarzer Koalition wurde das „Gesetz zur Einführung einer Verwaltungsgebühr für den Kirchenaustritt“ damals beschlossen. Dagegen stimmten im Abgeordnetenhaus damals die Fraktionen der Grünen, Linken und Piraten.

Das Gesetz begründet die Zahlung mit der „Dienstleistung der Amtsgerichte, indem sie eine Bestätigung der Austrittserklärung aushändigen“. Die Kosten dafür stiegen durch „zunehmende Austritte“. Mit 30 Euro liegt Berlin im Ländervergleich im oberen Drittel. Bremen und Brandenburg erheben zum Beispiel gar keine Gebühren.

Kirchen reagieren verhalten auf Forderung der Grünen

Werner Graf von den Grünen hält es für absurd, Kirchenabkehrer zahlen zu lassen. „Niemand darf für einen Kirchenaustritt bestraft werden“, sagte Graf. Es sei klar, dass ein solcher Verwaltungsakt Geld koste, dies sollten aber von der jeweiligen Kirche, nicht von ihren Mitgliedern gezahlt werden.

Die Kirchen reagieren erwartungsgemäß verhalten auf den Vorschlag des Landesvorsitzenden der Grünen. Jörg Antoine, Präsident des Konsistoriums der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, sagte dem Tagesspiegel: „Gegen eine Gebührenbefreiung haben wir nichts einzuwenden.“

Allerdings sei es unüblich, dass der Staat solche Verwaltungsausgaben auf eine gemeinnützige Organisation wie die Kirche umlegt. „Das widerspricht dem Gebührenbefreiungsgesetz für öffentlich-rechtliche Körperschaften“, sagte Antoine. Stefan Förner, Sprecher des Bistums Berlin, teilte lediglich mit: „Die erwähnte Forderung von Bündnis 90/Die Grünen richtet sich nicht an die Kirchen, sondern an den Gesetzgeber.“ Einen weiteren Kommentar gab es nicht.

Kultursenator sieht keinen Bedarf, die Gebühr abzuschaffen

Aus beiden Kirchen ist aber zu hören, dass sie sich durch den Vorstoß der Grünen, die Gebühren selbst zu tragen, vor den Kopf gestoßen fühlen. Es widerspreche „gesundem Menschenverstand“ eine Organisation zu bestrafen, wenn Mitglieder sie verlassen, hieß es.

Nun liegt es an Kultursenator Klaus Lederer (Linke), diese Debatte zu moderieren. Sein Haus hat die Federführung für das Gesetz, das die Austrittsgebühr regelt.

Berlins Kultursenator Klaus Lederer (Die Linke)
Berlins Kultursenator Klaus Lederer (Die Linke)

© Wolfgang Kumm/dpa

Die Linke hatte gegen die Regelung gestimmt. Auf Tagesspiegel-Anfrage ließ Lederer über einen Sprecher mitteilen: „Wir sind in der Frage der Abschaffung/Beibehaltung der Verwaltungsgebühr für den Kirchenaustritt derzeit nicht aktiv.“

Die Verwaltungsgebühr in Höhe von 30 Euro für den Kirchenaustritt sei gerichtlich bestätigt, eine Lenkungswirkung nicht feststellbar.

Das bedeutet: Die Gebühr hindere Austrittswillige nicht daran. Somit gebe es aus „fachlicher Sicht derzeit keine Notwendigkeit“ für eine Abschaffung. Einer gesellschaftlichen Debatte zu dem Thema stehe der Kultursenator jedoch offen gegenüber.

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