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Alice Brauner, Tochter des Filmproduzenten Artur Brauner, ist Geschäftsführerin der CCC-Filmstudios in Spandau.

© Thilo Rückeis

Kino-Erbin Alice Brauner: „Wie viele von denen, die unterschrieben haben: Wann waren die zuletzt im Colosseum?"

Alice Brauner, Tochter des verstorbenen Filmemachers Artur Brauner, rechtfertigt die Schließung des Kinos Colosseum. Das Haus hat seit Jahrzehnten Probleme.

Unfair sei es, die „bösen Kapitalistenkinder“ für die Schließung des Kinos Colosseum verantwortlich zu machen, findet Alice Brauner. Sie hält es für heuchlerisch vom Bezirk Pankow, die Brauner-Erben als Vernichter einer Kulturstätte darzustellen. Denn sie hätten alles versucht, um zum Erfolg des Colosseums beizutragen. 

Und es sei ja nicht das einzige Kino, das in Deutschland aus wirtschaftlichen Gründen schließen muss. Der erste Schlag sei die Eröffnung des Kinos in der benachbarten Kulturbrauerei gewesen. Jahre später kamen die Streamingportale. Und der letzte Dolchstoß sei Corona gewesen.

Die Nachricht, dass das Traditionskino in Prenzlauer Berg nicht mehr öffnet, sorgt immer noch für Entsetzen in Berlin. Mehr als 8000 Menschen haben eine Petition zum Erhalt des Colosseums unterzeichnet. „Wie viele von denen, die unterschrieben haben, wann waren die zuletzt im Colosseum, und wie häufig?“, fragt Alice Brauner. 

Ihr Bruder Sammy Brauner hatte für das Kino Insolvenz angemeldet, nachdem sein Vater, Filmlegende und Immobilienmogul Artur Brauner, 2019 verstorben war. Sammy Brauner betonte, das Kino sei nicht zu retten gewesen. Die Erbengemeinschaft ist sich nun uneins, was aus dem Areal werden soll. Alice Brauner sagt klar: „Nicht alle in der Erbengemeinschaft sind Cineasten.“ Ein Bauvorbescheid für einen Bürokomplex wurde bereits erteilt.

Über 40 Kinomitarbeiter verlieren ihre Jobs und demonstrieren jeden Donnerstag vor ihrem Colosseum für den Erhalt. Alice Brauner findet, ihr Bruder hätte anders mit dem Personal umgehen sollen: „Es wäre zwar nicht zu vermeiden gewesen, aber man hätte Empfehlungsschreiben für andere Kulturstätten schreiben können oder Ähnliches.“ 

"Das Colosseum gehört sicherlich nicht zu seinem Vermächtnis"

Was das Kino angeht, teilt sie aber die Meinung ihres Bruders: „Ich bin mega-dankbar, in diese Familie reingeboren zu sein. Ich werde alles tun, um die Filme meines Vaters aufrechtzuerhalten, aber das Colosseum gehört sicherlich nicht zu seinem Vermächtnis. Das waren seine Filme, Produktionen und seine Studios.“

Brauner betreibt die CCC Filmkunstkinos in Spandau. Es laufe gut, seit vier Jahren verbuche man Rekordumsätze mit der Filmproduktion. Der Erbpachtvertrag für die Studios läuft 39 Jahre. So rosig lief es nicht immer bei Brauners: 2014 wurde Artur Brauner beschuldigt, Steuern hinterzogen zu haben, die Staatsanwaltschaft Köln ermittelte wegen eines Kontos in Israel. Brauner wies die Anschuldigungen zurück, einigte sich mit dem Finanzamt und zahlte einen rückständigen Steuerbetrag.

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2007 hatte sich angeblich ein Schuldenberg von über 400 Millionen Euro angehäuft, Immobilien sollten zwangsversteigert werden. Artur Brauner ging gegen entsprechende Berichte vor. „Es gibt Probleme mit Feinden, der einen oder anderen Bank, aber auch mit öffentlichen Institutionen“, wird er 2007 zitiert. 

Einer seiner Gegner bewirkte sogar einen Haftbefehl gegen ihn. Brauner sollte eine eidesstattliche Versicherung über die Vermögensverhältnisse einer seiner Grundstücksgesellschaften abgeben. Brauners Anwalt zufolge lief der Gerichtsstreit bereits seit 1995 und sei reine Schikane.

2008 übernahmen Finanzgruppen Brauner-Schulden. Er war nicht nur Produzent von über 250 Filmen, sein Immobilienportfolio umfasste zahlreiche Häuser und Wohnungen in Berlin. 53 Grundstücke hatte er 2007 an die Sparkassengruppe in Österreich verkauft, um den Schuldenberg klein zu halten. Das Colosseum gehörte nicht dazu. 

2. Juli 2020: Demonstration gegen die Schließung des Kinos Colosseum an der Schönhauser Allee teil.
2. Juli 2020: Demonstration gegen die Schließung des Kinos Colosseum an der Schönhauser Allee teil.

© Wolfgang Kumm/dpa

Auch sechs Filetgrundstücke auf dem Kurfürstendamm gehören noch zur CCC Grundstücksverwaltungs GmbH. Laut Handelsregister hatte Geschäftsführer Artur Brauner seinen Söhnen und Prokuristen Sammy und Heinrich Brauner, Prokuristen der GmbH, 2018 die Veräußerung und Belastung der Grundstücke untersagt. Noch im selben Jahr verbucht das Amtsgericht Charlottenburg einen Gesellschaftsvertrag. Nach dem Tod von Artur Brauner bilden seine vier Erben einen Gesellschafterstamm.

2018 forderte das Finanzamt Wilmersdorf 73 Millionen Euro von Artur Brauner, wie der „Stern“ berichtete. Brauners Anwalt hatte dem Magazin gesagt, die Steuerschuld sei beglichen. Gestritten werde über Nebenforderungen wie Säumniszuschläge. Wie es damit 2020 aussieht, ist bisher nicht bekannt. Brauner sagte einmal, er habe nie betrogen, sondern bestimmt 100 Millionen Steuern gezahlt. „Ich verdiene Respekt.“

Artur Brauner nannte Colosseum sein Lieblingskino

Brauner hat das Kino Colosseum wohl nie als „Lebenswerk“ bezeichnet, aber immerhin hat er seinen 80. Geburtstag dort gefeiert. „In seinem ‚liebsten Spielzeug‘, dem Cinemaxx Colosseum, feierte er am Sonnabend mit 500 Gästen bis in den Morgen“, steht in einem Tagesspiegel-Text von 1998. Die Party hatten seine Kinder Alice und Sammy organisiert, unter anderen tanzte Klaus Maria Brandauer übers Parkett. 

Und 1994 schrieb Artur Brauner selbst einen „Berlin-Tipp“ im Tagesspiegel: „Mein Lieblingskino? Eine einfache Frage. Natürlich das ,Colosseum‘ in der Schönhauser Allee, es gehört mir nämlich. Insgesamt will ich im Osten von Berlin 17 oder 18 Kinos bauen lassen, ich investiere mehr als 100 Millionen.“

Damals war der „Kino-Krieg“ entbrannt. 1997 hatte die Bezirksverordnetenversammlung Pankow gegen ein Kino in der Kulturbrauerei gestimmt. Ein Jahr später kippten dann CDU und SPD einen Antrag der Grünen gegen den Bau in der Kulturbrauerei: die Bezirkspolitik erteilte doch die Baugenehmigung. 

Grund für die Kehrtwende war eine drohende Millionenklage des Investors, der Treuhandliegenschaftsgesellschaft (TLG). Denn 1996 hatte die Bezirkspolitik dem Kinobau zunächst zugestimmt. Brisant auch, dass Artur Brauner im Jahre 2000 Geld an Helmut Kohl spendete, das dieser an seine CDU weitergab.

Nicht nur dieses Hin und Her, sondern vor allem das letztendliche Ergebnis brachte Artur Brauner im benachbarten Colosseum zum Toben. Er drohte, rechtlich gegen die Eröffnung des Kinos in der Kulturbrauerei vorzugehen. Chef seines Gegners, der TLG, war Thilo Sarrazin. Dieser ist seit 1973 Mitglied der SPD und war von 2002 bis 2008 Finanzsenator. Sarrazin fiel durch rassistische Thesen und Aussagen auf, die SPD will ihn seit Jahren aus der Partei werfen.

"Kino-Krieg" in Berlin

Zur Zeit des „Kino-Kriegs“ investierte Sarrazin 100 Millionen Euro in das Kino in der Kulturbrauerei, Brauner 60 Millionen ins Colosseum. Es war die Zeit der „Muliplexschwemme“, auch an der Landsberger Allee und an anderen Orten in Berlin eröffneten Großkinos. 

In einer Anzeigenkampagne griff Artur Brauner die TLG scharf an. Sarrazin verbreite Unwahrheiten und arbeite mit unseriösen Marktanalysen. Für Brauner bleibe es dabei: Ein Kino in der Kulturbrauerei bedrohe die wirtschaftliche Existenz des Colosseums und bringe damit sein gesamtes Lebenswerk in Gefahr.

Ein ähnliches Hin und Her scheint es nun um die Schließung des Colosseums zu geben. Nachdem das Bezirksamt den Bauvorbescheid für einen Bürokomplex erteilt hatte, will es sich nun für eine kulturelle Nutzung und den Erhalt des Kinos einsetzen. Der große Saal steht unter Denkmalschutz. Auch Sammy Brauner sagt, etwas anders als Theater oder Kino sei hier nicht möglich.

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