zum Hauptinhalt
Seit den sechziger Jahren im Geschäft. Lothar Bellmann betreibt das Traditionskino Cosima am Varziner Platz in Friedenau.

© Sven Darmer

Kino-Drama in Berlin-Friedenau: Viel Aufregung um das traditionsreiche Cosima

Nach knapp 60 Jahren erhält ein Kinobetreiber die Kündigung. Ein Jüngerer soll übernehmen. Eine Unterstützungsaktion startet im Kiez. Hilfreich war sie nicht.

Draußen am Cosima ist in großen Buchstaben zu sehen, welcher Film vor dem Lockdown gezeigt wurde: „Vergiftete Wahrheit“ – ein Gerichtsdrama über einen Umweltskandal, ausgelöst durch kontaminierten Schlamm. Der Titel könnte auch ein Sinnbild dafür sein, was sich derzeit rund um das traditionsreiche Kino abspielt, das seit beinahe 90 Jahren zum Kiez am Varziner Platz in Friedenau gehört. Es ist ein Lehrstück, wie vermeintliche Wahrheiten teils gut gemeint, aber unbedacht, teils taktisch über Kommunikationsmittel wie Social Media oder Online-Petitionen ein Klima vergiften können.

Kündigung nach knapp 60 Jahren. In der vergangenen Woche wurde bekannt, dass der Betreiber des Kinos, Lothar Bellmann, die Kündigung für die Räume erhalten hat. Am 31. Mai soll dort für ihn Schluss sein – nach knapp 60 Jahren. Sein Mietvertrag hatte eine Klausel, dass er jährlich Ende November mit einer sechsmonatigen Frist gekündigt werden kann. Trotzdem ist Bellmann – 81 Jahre alt – zutiefst verletzt. „Ohne Begründung“ sei dies geschehen.

Ein Gerücht macht im Kiez die Runde

Er legt Widerspruch ein. Auch wenn er weiß, dass juristisch offenbar nichts zu machen ist. In all den Jahren habe es nie Probleme gegeben, sagt er. Im Kiez macht per Mail-Aktion das Gerücht die Runde, der langjährige Cosima-Betreiber solle herausgedrängt werden , ein anderer Kinobesitzer – Karlheinz Opitz vom Wilmersdorfer Eva – wolle an Bellmann vorbei das Filmtheater übernehmen.

Schnell ist die Friedenauer SPD unter den Protestierern. Der Bezirksverordnete Orkan Özdemir startet eine Online-Petition und fordert die Eigentümerin auf, die Kündigung zurückzunehmen. Mit der Vermieterin und Opitz war zuvor nicht gesprochen worden. Die Petition trifft aber einen Nerv. Nach nur zwei Tagen haben 1316 Menschen unterzeichnet. Noch an diesem Tag wird sie geändert, sie enthält nun vor allem einen Appell, Bellmann bei einer einvernehmlichen Lösung einzubeziehen. Denn ganz so eindeutig scheint die Sache nicht zu sein.

Das letzte Programm. "Vergiftete Wahrheit" wurde kurz vor dem zweiten Lockdown gezeigt.
Das letzte Programm. "Vergiftete Wahrheit" wurde kurz vor dem zweiten Lockdown gezeigt.

© Sven Darmer

Am darauffolgenden Tag wird auf der Seite „Open Petition“ die Petition mit den Worten für erfolgreich beendet erklärt: „Wir freuen uns, dass wir dazu beitragen konnten, dass hier zwei Parteien wieder in gemeinsame Gespräche eintreten, und hoffen auf eine einvernehmliche Lösung.“ Ähnliche Posts finden sich auf Facebook. Am Montag sind sie nicht mehr auffindbar. Inzwischen fühlen sich Unterzeichner der Petition getäuscht.

[350.000 Leute, 1 Newsletter: Die Autorin dieses Textes, Sigrid Kneist, schreibt den Tagesspiegel-Newsletter für Tempelhof-Schöneberg. Den gibt es hier:leute.tagesspiegel.de]

Und eine „einvernehmliche Lösung“ ist nicht in Sicht. Ein von Özdemir geplantes Gespräch am Wochenende, wie man eine Übergabe gestalten könne, sagt Bellmann kurz vorher ab. „Das hätte nichts gebracht“, sagte er am Montag dem Tagesspiegel. Inzwischen hatte sich auch Opitz öffentlich zu Wort gemeldet. „Ich wurde von Herrn Bellmann als Nachfolger empfohlen und nach einigen Gesprächen sowohl von der Hausverwaltung wie auch von der Eigentümerin gerne akzeptiert und auch präferiert”, schreibt er in einer Stellungnahme.

Dass ihm zudem in E-Mails vorgeworfen wurde, Geld aus einer Spendenkampagne für einen neuen Projektor im Eva zu benutzen, um das Cosima zu übernehmen, sei „natürlich Quatsch“; er sieht das als Verleumdung. Seine ausführlichen Stellungnahmen können Sie hier und hier lesen. 

Bellmann bestätigt, dass er Opitz als Nachfolger vorgeschlagen habe, aber nur für den Fall, dass er nicht mehr könne und plötzlich ausfalle, keinesfalls unter Druck. Er hätte sowieso zum Jahresende aufgehört, sagt er. Nach diesem Zeitpunkt scheint es jetzt nicht auszusehen.

Retro-Ambiente im Kino. Am Tresen gibt's Süßes.
Retro-Ambiente im Kino. Am Tresen gibt's Süßes.

© Sven Darmer

Wie soll es weitergehen? Opitz möchte das Cosima, das in den letzten Jahren Umsatzrückgänge zu verzeichnen gehabt habe, behutsam modernisieren. Er hat Bellmann angeboten, gemeinsam die Räume zu begehen und über eine angemessene Ablösung zu verhandeln, wie er sagt. Das könnte ein Problem werden, denn die Vorstellungen der beiden liegen weit auseinander. Die Hausverwaltung, die die Vermieterin vertritt, äußert sich zu den Verträgen nicht; diese gingen nur die Vertragsparteien an. Sie bekräftigt aber, dass die Eigentümerin das Kino auf jeden Fall im Haus erhalten möchte.

Das Kino gehörte zu einer kleinen Kette namens Polygon

Farbfernsehen verursachte Kinokrise. Bellmann und das Cosima haben eine lange gemeinsame Geschichte. Das Kino war im Familienbesitz, ebenso wie fünf weitere Filmtheater, auch das Eva gehörte dazu. Die kleine Kette nannte sich Polygon. Vom Eva trennte man sich schon Anfang der sechziger Jahre, als es wegen der Einführung des Farbfernsehens eine Kinokrise gab. Bereits als Jugendlicher in den fünfziger Jahren war Bellmann kinobegeistert, überlegte sich ständig, in welchen Film er denn gehen könne. Da war es zwangsläufig, dass er auch ins Kinogeschäft einstieg. Im darauf folgenden Jahrzehnt übernahm er das Cosima von seiner Mutter.

"Spiel mir das Lied vom Ton" war der erfolgreichste Film

Italo-Western als Kassenschlager. Der erfolgreichste Film, der dort je gezeigt wurde, war in den siebziger Jahren „Spiel mir das Lied vom Tod“ mit Charles Bronson. „Der Saal war damals ständig voll“, sagt Bellmann. An ausverkaufte Vorstellungen in dem Kino, das heute 170 Plätze hat, sei in den letzten Jahren nicht mehr zu denken gewesen. Wenn 50 bis 60 Besucher kämen, sei es gut besucht.

Allerdings gab es im vergangenen Jahr wieder einen äußerst erfolgreichen Film. „Parasite“ des südkoreanischen Regisseurs Bong Joon-ho. Das sei eine richtige Überraschung gewesen, kurz bevor Bellmann wegen des ersten Lockdowns schließen musste. Wann das Cosima wieder öffnen wird, weiß in diesem zweiten Lockdown noch niemand.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false