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Malen, basteln, reden, singen, springen: Ohne Anregungen wie diese bilden Kinder keine basalen Fertigkeiten aus.

©  Julian Stratenschulte/dpa

Kinderbetreuung in der Coronakrise: Eltern fordern mehr Entlastung, Erzieherinnen bessere Abstimmung

Ab Montag gilt die erweiterte Notbetreuung in Kitas. Viele Kinder müssen trotzdem zu Hause bleiben. Eltern und Erzieher berichten, wie sie damit umgehen.

Am Montag, 27. April, wird die Notbetreuung in Schulen und Kitas deutlich erweitert. Auf der Liste der systemrelevanten Berufe stehen jetzt deutlich mehr Professionen – circa 100 in 14 Berufsgruppen.

So können nun beispielsweise auch Logopäden, Zahntechniker oder das Frachtpersonal auf Flughäfen ihre Kinder betreuen lassen. Neu ist zudem, dass die Zwei-Eltern-Regelung wegfällt. Es reicht also, wenn ein Elternteil in einem der aufgelisteten Berufe tätig ist.

Das nur, sofern glaubhaft gemacht wird, dass die Eltern keine andere Möglichkeit zur Betreuung haben. Eine wichtige Neuerung ist zudem, dass Alleinerziehende ihre Kinder tagsüber wieder abgeben können.

Unumstritten ist diese Form der Lockerung nicht. Virologen warnen vor neuen Infektionen. Auf der anderen Seite fordern Elternverbände die Politik auf, mehr auf die Bedürfnisse der Familien einzugehen und berufstätige Eltern in irgendeiner Form zu entlasten.

Wir haben mit Eltern, einem Kita-Geschäftsführer und einer Erzieherin gesprochen, wie sie die neuen Regelungen beurteilen und wie sie mit der Situation jetzt umgehen.

Eine bessere Abstimmung wäre gut

„Wir hatten uns eigentlich darauf eingestellt, dass wir die Notbetreuung schrittweise ausbauen und Kleingruppen mit maximal fünf Kindern beibehalten. Momentan sind nur rund sieben Prozent der Kinder in der Notbetreuung.

[In unseren Leute-Newslettern berichten wir wöchentlich aus den zwölf Berliner Bezirken, unter anderem über die aktuellen Entwicklungen in der Coronavirus-Pandemie. Die Newsletter können Sie hier kostenlos bestellen: leute.tagesspiegel.de]

Wir haben ausgerechnet, dass wir rund 33 Prozent der Kinder betreuen können, das geben die Gruppenräume und die verfügbaren Erzieherinnen und Erzieher her. Ein Teil unseres Personals kann momentan nicht arbeiten, weil das Risiko zu groß wäre.

Grundsätzlich ist es gut, dass die Notbetreuung schneller ausgebaut werden soll. Wir sehen das aber auch mit einer gewissen Sorge, weil wir befürchten, dass sich das Infektionsgeschehen verstärkt und dann in ein paar Wochen alles wieder zurückgefahren werden muss.

Wir hätten uns als Träger gewünscht, dass das Hochfahren in Schritten erfolgt und jeweils die Folgen auf das Infektionsgeschehen überprüft werden. Generell sollten solche Entscheidungen im Vorfeld mit den Akteuren abgestimmt werden.

Stefan Spieker
Stefan Spieker

© Fröbel e.V.

Für eine Betreuung, die über ein Drittel der Kinder hinausgeht, brauchen wir zwei bis drei Wochen Vorlauf. Wir müssen jetzt erst mal schauen, wie man ein gutes Schutzkonzept in den Kitas umsetzen kann, beispielsweise wie man die Gruppen zueinander auf Abstand halten kann. 1,5 Meter Abstand wahren, das geht in Kitas nicht.

Einige unserer Fachkräfte haben Angst, sich anzustecken, und wir müssen auch diese berechtigten Sorgen berücksichtigen, so gern wir Eltern und Kindern helfen wollen.

Wir haben Masken bestellt, diese kann man aber bei Kindern unter drei Jahren nicht einsetzen, weil die Mimik der Erzieher bei kleinen Kinder ganz wichtig ist. Bei älteren Kindern können Erzieher eventuell Schutzmasken tragen, wenn das pädagogisch gut erklärt wird.

Wir denken auch über Wechselmodelle nach, zum Beispiel, dass feste Gruppen jeweils nur zwei oder drei Tage kommen. Das ist zwar kompliziert in der Organisation, würde aber vielen Familien helfen. Dafür müsste es aber breitere Absprachen mit mehreren Trägern und der Verwaltung geben.“

Stefan Spieker, (50), Geschäftsführer des Kitaträgers Fröbel Bildung und Erziehung, der in Berlin 27 Kitas betreibt.

Ich komme an meine Grenzen

„In den vergangenen Wochen habe ich versucht, mich so gut es geht mit der Situation zu arrangieren. Ich bin alleinerziehend und bekomme keinen Unterhalt. Meine Tochter und ich sind also auf mein Einkommen angewiesen. Deshalb war es keine Option, nichts mehr zu verdienen.

Gleichzeitig arbeiten und betreuen geht aber nicht. Ich kann auch nicht nur nachts arbeiten, sonst komme ich ganz schnell an meine Grenzen, und das tut auch meiner Tochter nicht gut. Also habe ich mit einer Babysitterin kooperiert, die nur meine Tochter betreut. So konnte ich täglich drei Stunden arbeiten. Ich arbeite als Coach für kreative Menschen.

Clara Hahn
Clara Hahn

© Katja Hentschel

Ab Montag soll die Notbetreuung für Alleinerziehende geöffnet werden, das werde ich auch nutzen. Elternsein ist ein Job, und Alleinerziehende können sich mit niemandem abwechseln. Aber kein Mensch kann wochenlang ohne Pause durchhalten.

Ich habe für mich entschieden, die Regeln etwas flexibler zu handhaben, weil mir meine psychische Gesundheit wichtig ist und weil ich weiß, dass ich lange durchhalten muss. Deshalb haben wir die Babysitterin und gehen regelmäßig in die Natur.

Von anderen Müttern, die sich noch mehr isolieren, höre ich, dass sie mittlerweile wirklich nicht mehr können. Ich denke, dass die Politik uns Alleinerziehende nicht genügend mitdenkt.“

Clara Hahn (27), Prenzlauer Berg, alleinerziehend, eine Tochter (2).

Meine Tochter braucht andere Kinder

„Seit bekannt gegeben wurde, dass die Kitas noch längere Zeit nicht regulär öffnen, bin ich ziemlich wütend. Ich verstehe ja, dass mit den Schulen angefangen wird. Aber ich verstehe nicht, warum bei den Kitas nicht auch etwas passieren kann. Kitas sind ja keine reinen Betreuungsanstalten, sondern vor allem Bildungseinrichtungen, in denen die Kinder lernen und sich entwickeln.

Meine Tochter ist fünf Jahre alt. Ihr fehlen vor allem die anderen Kinder. Wenn sie morgens aufwacht, fragt sie als erstes, wann sie wieder in die Kita kann. Am Anfang konnte ich ihr dann noch sagen, dass es jetzt zwar eine Weile nicht geht, aber bald wieder. Aber mittlerweile sind die Zeiträume so lang, dass ein Kind das nicht mehr kapiert.

Sandra Thiemann
Sandra Thiemann

© privat

Sie versteht auch nicht, warum sie niemanden zum Spielen treffen darf. Mein Mann und ich können zum Glück beide zu Hause arbeiten. Ich arbeite in der Studienorganisation einer Hochschule, mein Mann in einer IT-Abteilung. Wir teilen uns die Betreuung auf. Trotzdem leidet die Qualität der Arbeit, und auch meine Tochter kommt zu kurz.

Ich würde mein Kind in der jetzigen Situation gar nicht fünf Tage die Woche acht Stunden lang in die Kita geben wollen. Aber tage- oder stundenweise, mit genügend Platz in der Kita, damit hätte ich kein Problem. Ich mache mir vor allem Sorgen, was mit den Kindern passiert, wenn sie so lange isoliert sind.“

Sandra Thiemann, 35, Köpenick, ein Kind (5 Jahre)

Zehn Kinder pro Etage

„In unserer Kita gibt es seit Mitte März eine Notbetreuung. Es kommen aber bisher nur sieben Kinder. Normalerweise betreuen wir 120 Kinder. Jetzt bereiten wir uns darauf vor, dass ab Montag deutlich mehr Kinder kommen werden. Wir haben entschieden, dass wir vorerst maximal zehn Kinder pro Etage betreuen können.

Wir werden auch das Abholen und Bringen nach draußen verlagern. Wir haben ein Video gedreht, in dem wir das den Kindern erklären.

Maja Miljenovic
Maja Miljenovic

© privat

Bisher mussten wir keine älteren oder vorerkrankten Kollegen in der Notbetreuung einsetzen. Manche Kolleginnen haben Angst, sich anzustecken und lassen sich krankschreiben. Ich selbst komme mit der Situation klar, aber es ist schon manchmal ein mulmiges Gefühl, wenn man weiß, dass Eltern der notbetreuten Kinder mit Erkrankten zu tun haben.

Die üblichen Schutzmaßnahmen funktionieren in einer Kita nur bedingt: Älteren Kitakindern kann man das mit dem Abstandhalten vielleicht erklären, aber bei kleineren Kindern geht das nicht. Ein eineinhalbjähriges Kind würde nicht verstehen, warum es nicht auf den Arm genommen wird.

Ich weiß, dass die Situation für viele Eltern und Kinder momentan sehr hart ist. Wir versuchen, sie zu unterstützen, so gut wir können. Wir machen zum Beispiel regelmäßig einen digitalen Morgenkreis, telefonieren mit Familien und stellen ihnen Tipps für Beschäftigungen zusammen. Ich bin froh, dass es jetzt auch möglich ist, dass Familien in Notlagen ihre Kinder zu uns schicken können.“

Maja Miljenovic (29) ist Erzieherin in einer Kita in Wedding

Wir helfen uns gegenseitig

„Ich bin Friseurin, mein Mann arbeitet in einem Betrieb, der Reinigungschemie vertreibt. Wenn die Friseursalons ab dem 4. Mai wieder öffnen, darf ich zwar arbeiten, aber wir dürfen unsere fünfjährige Tochter trotzdem nicht in die Kita geben, da wir beide nicht systemrelevant sind.

Am Anfang hat mich das sehr geärgert, wie sollen wir das schaffen? Meine Tochter kommt nach dem Sommer in die Schule. Die Kitareise, alle Ausflüge, die für die Entwicklung so wichtig sind, fallen aus.

Claudia M.
Claudia M.

© privat

Als Einzelkind braucht sie den Kontakt zu anderen Kindern. Andererseits hätte ich auch Bedenken, sie jetzt wieder mit zig anderen Kindern in eine volle Kita zu stecken. Deshalb finde ich die Möglichkeit, dass nachbarschaftliche Hilfe wieder möglich ist und die Kinder in einer Gruppe mit bis zu drei Kindern betreut werden können, sehr gut.

Wir werden uns die Betreuung jetzt mit einer anderen Familie aufteilen. Fürs erste kommen wir damit zurecht. Aber eine Dauerlösung ist das natürlich nicht.“

Claudia M., 36, Tempelhof, eine Tochter

Wir fordern ein Corona-Elterngeld

„Durch die jüngsten Senatsentscheidungen wird vielen Eltern geholfen, das ist eine gute Entwicklung. Vor allem, weil jetzt erlaubt ist, dass sich Eltern nachbarschaftlich bei der Kinderbetreuung in kleinen Gruppen unterstützen. Das macht es für viele leichter und wird auch den Kindern guttun. Es ist auch wichtig, dass die Notbetreuung für Alleinerziehende geöffnet wurde.

Aber für viele Eltern bleibt es bei der momentanen Doppelbelastung, dass sie arbeiten und gleichzeitig Kinder betreuen müssen. Nicht alle arbeiten in systemrelevanten Jobs, und es haben auch nicht alle nachbarschaftliche Netzwerke. Deshalb bleiben wir dabei, dass wir ein Corona-Kindergeld von 1000 Euro beziehungsweise 1500 Euro für Alleinerziehende fordern.

Katharina Mahrt.
Katharina Mahrt.

© Caroline Bennewitz

Unsere Petition (Change.org/ElterninCoronakrise) haben schon über 38.000 Menschen unterschrieben. Wir Eltern haben auch noch immer keine Planbarkeit, wie es in den nächsten Monaten weiter geht. Der Senat sagt zwar, dass die Kitas deutlich vor dem 1. August wieder öffnen sollen, aber genauer wissen wir es nicht.

Auch von Erzieherinnen hören wir, dass sie sich allein gelassen fühlen. Es fehlt ein Fahrplan, wie die erweiterte Notbetreuung ablaufen soll und wie die Erzieher und Kinder geschützt werden sollen.

[Alle aktuellen Entwicklungen in Folge der Coronavirus-Pandemie finden Sie hier in unserem Newsblog. Über die Entwicklungen speziell in Berlin halten wir Sie an dieser Stelle auf dem Laufenden.]

Uns ist klar, dass es eine Normalität wohl erst geben wird, wenn ein Impfstoff zur Verfügung steht. Wir wollen, dass bis dahin die Bedürfnisse von Familien berücksichtigt werden, dass Eltern entlastet werden, so gut es geht, und dass gleichzeitig auf den Gesundheitsschutz der Fachkräfte geachtet wird.“

Katharina Mahrt, 32, Mitinitiatorin des Bündnisses Kitakrise, ein Kind (3)

Hintergrund: Kinderbetreuung in Krisenzeiten – Eltern fordern mehr Hilfe

Neue Modelle: Der Berliner Landeselternausschuss Kita (LEAK) ruft die Politik auf, in der Coronakrise neue Modelle der Betreuung zu entwickeln. Basierend auf einer Umfrage macht der LEAK Vorschläge: „Pädagogische Fachkräfte könnten einige Tage in der Woche für mehrere Stunden Kita-Gärten öffnen. Wir könnten Spielplätze mit Einschränkungen öffnen. Wir könnten Nebenstraßen zu Spielstraßen umwidmen. Wir könnten Notbetreuung in Kitas für Kleinstgruppen tageweise oder vor- und nachmittags getrennt anbieten. Wir könnten Eltern ermöglichen zwei bis drei Vor- oder Nachmittage pro Woche Betreuung in Anspruch zu nehmen.“

Notbetreuung: Die Auflistung der Berufe, mit denen Eltern Notbetreuung ihrer Kinder in Anspruch nehmen können, findet sich auf der Internetseite der Senatsbildungsverwaltung. Dort gibt es auch ein Formular, das Eltern der Kita aushändigen können: www.berlin.de/sen/bjf/coronavirus/aktuelles/notbetreuung.

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