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Jung und Alt. Fips (9) liest Katze Mausi (7) vor – gekuschelt wird auch.

© Sven Darmer

Kinder lesen Tierheim-Katzen vor: Lesestunde für Mausi und Männlein

Manche Katzen sind menschenscheu, manche Kinder haben Probleme beim Lesen. Das Tierheim in Lichtenberg bietet jetzt eine Lösung für beides.

Der neunjährige Fips schlägt sein Kinderbuch auf und beginnt, aus „Luzifer junior“ vorzulesen. Seine Zuhörer sind Mausi, sieben Jahre alt, und Männlein, neun Jahre alt. Ein Fenster in der Tür ermöglicht Einblick in die private Lesestunde. Jeden Donnerstag und Freitag können Kinder zwischen sieben und zwölf Jahren im Tierheim Berlin in Hohenschönhausen für eine halbe Stunde Katzen vorlesen. Das Projekt wurde vom Tierschutzverein in Berlin eingeführt. Es soll den Tieren die Angst vor Menschen und den Kindern die Angst vorm Laut-Lesen nehmen.

Vorgelesen wird im Seniorenkatzenhaus. Es befindet sich etwas abseits des Tierheims. In dem kleinen achteckigen Haus wohnen rund zwölf der Tiere in sechs großen Räumen, ausgestattet mit Kratzbäumen, Spielzeug und Höhlen aus Fleece-Decken. Als Seniorenkatzen gelten Katzen, die mindestens acht Jahre alt sind. Sie leben hier, weil ihre ursprünglichen Besitzer krank wurden oder gestorben sind.

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Für das Tierheim ist es schwieriger, ältere Katzen zu vermitteln als jüngere. Die meisten der Tiere sind misstrauisch, brauchen Ruhe und spezielles Futter, etwa wegen Blasen- und Nierenerkrankungen. Für das Vorleseprogramm seien die Seniorenkatzen aber besonders gut geeignet, sagt Tierheimsprecherin Beate Kaminski, denn sie seien oft besonders scheu, wenn sie ins Tierheim kommen.

„Man könnte den Katzen auch aus einem Telefonbuch vorlesen“

Der Kontakt zu den Kindern soll den Katzen helfen, sich an neue Menschen zu gewöhnen. Studien zeigen außerdem, dass die rhythmischen Stimmen die Katzen beruhigen. „Man könnte ihnen aber auch aus einem Koch- oder Telefonbuch lesen – das ist den Katzen egal“, sagt Kaminski. „Wenn die Kinder aus ihren eigenen Büchern vorlesen, haben aber beide etwas davon.“

Das Projekt richtet sich gezielt an Schüler, die Schwierigkeiten beim Lesen haben. Darauf achten die Verantwortlichen auch bei der Vorauswahl aus den Anmeldungen der Eltern. Beim Vorlesen ist das Kind mit den Katzen allein – weder die Eltern noch Pfleger dürfen dabei sein, erläutert Kaminski –, niemand soll das Kind beim Lesen beurteilen.

Das soll den Schülern den Druck nehmen. „Die Katzen stört es nicht, wenn sich das Kind mal verhaspelt oder ein Wort falsch ausspricht“, sagt Kaminiski. Der Viertklässler Fips liest den Tieren zum sechsten Mal vor. Er setzt sich in einen Sessel mitten im Raum und sofort springt Katze Mausi auf seinen Schoß und schnüffelt an seinem Buch.

Auch Kater Männlein kommt herunter vom Kratzbaum, hält aber etwas Abstand. Fips achtet beim Vorlesen nicht darauf, dass die Katze sich an ihn schmiegt. Zwischendurch streichelt er Mausi, liest aber weiter konzentriert.

Die Vorlesezeit ist keine Spielstunde: Die Kinder müssen sich an Regeln halten, dürfen den Katzen nicht hinterherlaufen oder sie festhalten. Streicheln darf ein Kind die Katzen erst, wenn sie von selbst auf das Kind zukommen.

Er habe vor den Lesestunden mit den Katzen nie Lust zu lesen gehabt, erzählt Fips. Sein Vater Axel Didzsun aus Hoppegarten stimmt zu und berichtet von den Schwierigkeiten beim Vorlesen. Doch jetzt falle es seinem Sohn leichter, auch komplizierte Wörter vorzulesen.

Inzwischen gibt es eine Warteliste für das Vorleseprogramm

Auch Christina Krieger aus Lichtenberg sieht Fortschritte bei ihrem Sohn Finn. Der Siebenjährige sei sehr schüchtern und gehe auf eine Sprachförderschule. Für Finn ist es das vierte Mal im Tierheim. Inzwischen berichte er ihr jedes Mal stolz, wie viele Seiten er gelesen habe, erzählt die Mutter. Zehn Mal dürfen die Schüler zum Vorlesen kommen. Dafür erhalten sie jeweils einen Stempel auf einer Karte.

Durch das Programm lernen auch die Tierpflegerinnen und Tierpfleger die Katzen neu kennen, obwohl sie sich jeden Tag um sie kümmern. Eine Pflegerin erzählt, dass Mausi und Männlein vor zehn Monaten gemeinsam ins Tierheim gebracht wurden, weil ihr Besitzer an Demenz erkrankte.

Doch beide Katzen blieben misstrauisch gegenüber Menschen. Ursprünglich war geplant, die beiden an ältere Besitzer zu vermitteln. Doch während des Vorleseprogramms beobachteten die Pfleger, dass Mausi und Männlein Kinder mögen. Daher wird jetzt auch versucht, sie an Familien zu vermitteln.

Die Warteliste für das Leseprogramm ist lang, deshalb bietet das Tierheim nun auch Lesestunden am Donnerstag an. Eine Ausweitung sei vorerst nicht geplant, sagt Kaminski. Die Ruhe und Ungezwungenheit solle beibehalten werden. Daher werde man auch nicht jedes Kind aufnehmen können. Gedacht sei es für Kinder, die es wirklich brauchen – sodass beide, Katzen wie auch Kinder, am Ende davon profitieren. Lisa Nguyen

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Hintergrund: Berlin auf dem Weg zur Katzenschutzverordnung

Auch in diesem Jahr stellt das Berliner Tierheim die vor den Feiertagen Vermittlung komplett ein: „Tiere sind als Weihnachtsgeschenk ungeeignet“, heißt es vom Tierheim. Durch den Vermittlungsstopp, der vom 20. Dezember bis 1. Januar gilt, soll verhindert werden, dass Hunde, Katzen oder Kleintiere unterm Baum landen – und möglicherweise später wieder im Tierheim oder auf der Straße landen, weil sie etwa nicht gewollt werden.

Schätzungen des Tierschutzvereins zufolge gibt es mehr als 10.000 freilebende Katzen auf Berlins Straßen. Der Verein, der das Tierheim betreibt, betreut nach eigenen Angaben mehr als 245 Futterstellen für Katzen, an denen Ehrenamtliche monatlich 15.000 Dosen Katzenfutter ausgeben.

Im Koalitionsvertrag der rot-rot-grünen Regierung ist vorgesehen, dass Berlin eine sogenannte Katzenschutzverordnung bekommen soll. Ein Entwurf wird derzeit rechtlich überprüft und angepasst, heißt es aus der Justizverwaltung.

Die Katzenschutzverordnung sieht eine Kastrationspflicht für Freigänger-Katzen sowie eine Kennzeichnungs- und Registrierungspflicht vor. Weil die Verordnung sich auf die Grundrechte der Tierhalter auswirkt, müsse zwischen Tierschutzinteressen einerseits und den Rechten der Halter andererseits abgewogen werden, erläutert ein Justizsprecher. Ein genauer Zeitpunkt, zu dem die Verordnung in Kraft tritt, könne momentan noch nicht genannt werden.

Der Tierschutzverein kümmert sich um die Kastration freilebender Katzen und erhält dafür auch Mittel vom Land. Der Verein begrüßt die Verordnung: „Wir wünschen uns das sehr dringend und freuen uns auf baldige Umsetzung“, sagte eine Sprecherin. „Die Kastration von privaten frei laufenden Katzen ist deshalb so wichtig, weil wir sehen, wie sehr die Katzen leiden, die in Berlin auf der Straße leben.“ Durch Kastration soll unkontrollierte Vermehrung verhindert werden.

Der Tierschutzbund geht mit Stand November von mindestens 788 Städten und Gemeinden mit Kastrations-, Kennzeichnungs-, und Registrierungsverordnungen für Katzen aus.

„Für uns sind zwei Punkte elementar“, betont die Sprecherin: „Dass private Halter, deren Katzen Freigang genießen, ihre Katzen kastrieren, damit sie sich nicht mit freilebenden Tieren vermehren, und dass sie sie auf jeden Fall chippen und mit ihrer Adresse registrieren, denn ohne Registrierung ist der Chip sinnlos.“ Durch das Einsetzen eines Transponders ("Chip") durch einen Tierarzt können die Tiere im Vermisstenfall wieder dem Halter zugeordnet werden. skr

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