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Und jetzt? Am besten nicht schreien, sondern sich erst mal einen Tee einschenken. Und dann gemeisam die Wand wieder in Ordnung bringen.

© Jacob Wackerhausen/iStock

Kinder erziehen ohne Schreien und Schimpfen: Eltern sollten den Alarmmodus ausschalten

Schreien und Schimpfen kann einen ähnlichen Effekt haben, wie eine Ohrfeige. Eltern können ihren Kindern vorleben, wie man friedlich Konflikte löst.

Der wichtigste und einfachste Grund, ein Kind nicht auszuschimpfen, ist: Es funktioniert nicht. Alle Studien weisen darauf hin, dass Schimpfen, Schreien oder gar Strafen nicht funktionieren. Nichts davon vermag Kinder davon abzuhalten, verbotene Dinge zu tun.

Wenn wir unseren Kindern soziale Regeln beibringen wollen, müssen wir es anders angehen. Eine Erziehung mit Druck, Strafen und Kontrolle ist das, was viele Menschen selbst in ihrer Kindheit erlebt haben. Autoritäre Erziehung erzeugt nachweislich Menschen, die mit den Herausforderungen unserer Zeit überfordert sind.

Wir brauchen Menschen, die flexibel denken, sich Herausforderungen stellen, mit anderen auf Augenhöhe zusammenarbeiten können und für die Fürsorge, Solidarität und Gemeinschaft wichtige Werte sind. Mit einem Kind nicht zu schimpfen, kann die Welt verändern.

Ein Kind auszuschimpfen hat einen klaren Vorteil: Es geht schnell, wenn wir heftig genug schimpfen, ist auch sofort Ruhe und wir haben es erledigt. Es hat aber auch eine Menge Nachteile. Schimpfen schafft uns nur sehr kurz Erleichterung. Der Streit oder das negative Verhalten verschwinden dadurch nicht.

Kinder haben ein Recht darauf, zu sagen „Ich will das nicht“

Wir erziehen die Kinder vielmehr dazu, aus Angst vor Strafe zu lügen. Wir bringen ihnen bei, dass man kleinere Menschen maßregelt, und zementieren so das Recht des Stärkeren. Wenn wir sehr laut, sehr heftig oder verletzend mit den Kindern schimpfen, erreichen wir einen ähnlichen Effekt, wie wenn wir sie körperlich züchtigen würden – mit allen negativen Folgen.

Man muss keine wissenschaftlichen Abhandlungen über die Effekte von harscher verbaler Zurechtweisung gelesen haben, um sich nach einer Schimpftirade schlecht zu fühlen. Es ist uns unangenehm, wenn wir geschrien haben, wir schämen uns, wenn wir unsere Kinder weinen sehen.

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Unsere Kinder kippen vor Wut die Legokiste aus und weigern sich vehement, sie wieder einzuräumen? Sie ziehen ihre Geschwister an den Haaren und wollen sich nicht entschuldigen? Sie verweigern frische Unterwäsche, Haarekämmen oder Händewaschen (vom Zähneputzen gar nicht erst zu sprechen)?

Wissen Sie was? Es macht nichts! Wir müssen das nicht sofort in Ordnung bringen, wir müssen nicht sofort Maßnahmen ergreifen und wir müssen uns auch nicht sofort durchsetzen. Wenn es jetzt gerade nicht klappt, haben nämlich weder wir versagt noch die Kinder.

Die Kinder sind weder verzogen noch unmöglich und wir müssen uns auch keine Sorgen machen. Die Kinder haben viele Jahre Zeit, um alles zu lernen. Wir können uns also in aller Ruhe einen Tee eingießen und erst mal abwarten, was passiert.

Wir können in einem ruhigen Moment noch mal gemeinsam losziehen und das Lego einräumen, wir können später drüber sprechen, wie es zum Haareziehen gekommen ist, und ja, wir können das Kind heute Abend auch mal mit schwarzen Fußsohlen und nicht gemachten Hausaufgaben ins Bett lassen. Morgen, wenn alle wieder frisch und ruhig sind, können wir darauf zurückkommen.

Da wir Eltern so oft im „Alarmmodus“ sind, erscheinen uns viele Verhaltensweisen der Kinder als Bedrohung, die wir jetzt sofort eindämmen müssen. Es hilft, sich klarzumachen, dass die Kinder nicht „daneben“ sind, wenn sie nicht „funktionieren“. Sie müssen auch mal Gegendruck geben und sehen, dass die Erwachsenen auch dann gelassen bleiben. Sie haben ein Recht darauf, zu sagen: „Ich will das nicht.“

Drei Regeln, die helfen, nicht loszuschimpfen

Starten wir mit drei einfachen Regeln, die uns im Alltag helfen können, nicht loszuschimpfen, selbst wenn wir kurz davor sind, die Beherrschung zu verlieren.

Regel Nummer 1: Bleiben Sie ruhig. Nur so können Sie sehen, was wirklich los ist. Sobald Sie sich aufregen, verengt sich Ihr Blickfeld, Ihr Verstand arbeitet nicht mehr richtig, Sie können die Situation nicht mehr mit dem nötigen Abstand betrachten. Außerdem können wir niemanden in Richtung Ruhe ko-regulieren, wenn wir selbst nicht ruhig sind. Wir müssen alle lernen, dass die Situation vielleicht ärgerlich, aber in der Regel kein Weltuntergang ist.

Regel Nummer 2: Bleiben Sie in Kontakt. Empathie muss man lernen – und Kinder lernen es von ihren Eltern. Wir spiegeln also die Situation des Kindes: „Ja, das fühlt sich … an, ja, das kenn ich auch, das kann ich mir vorstellen …, das ist jetzt wirklich doof.“ Und wir fühlen mit unserem Kind mit. Es ist ja auch ärgerlich, wenn man alles Mögliche nicht selbst entscheiden kann.

Regel Nummer 3: Bieten Sie Ihrem Kind Alternativen statt Zurechtweisung, Wiedergutmachung statt Strafe, konkrete Anweisungen statt Beschämung. „Dann feg jetzt bitte einfach die Treppe und achte nächstes Mal darauf, dass du deine Schuhe vor der Haustür abputzt.“

Das sind die Alternativen zu „Nie hilfst du mir...“

Denken Sie daran, dass Kinder trotz allem keine Knöpfe haben. Unsere Kinder werden unsere neuen tollen Angebote vielleicht nicht sofort übernehmen, egal wie pädagogisch sinnvoll wir sie ihnen vermitteln. Aber aus Studien wissen wir, dass Kinder, deren Eltern friedliche Konfliktlösung vorleben, diese Mechanismen später sogar in ihren Umgang mit Gleichaltrigen übernehmen. Es ist ein langer Weg, bis man komplett selbstständig ist. Aber es lohnt sich, die nötige Geduld dafür aufzubringen.

„Ich habe dir schon tausend Mal gesagt ...!“ – Wenn wir in diesem Ton auf Regeln pochen, müssen wir uns nicht wundern, wenn die Kinder augenblicklich auf Durchzug schalten. Was können wir stattdessen tun?

[Der Text stammt aus „ Erziehen ohne Schimpfen. Alltagsstrategien für eine artgerechte Erziehung“ (176 Seiten, 16,99 Euro, GU Verlag). Die Autorin bietet Elternkurse an und bildet Elterncoaches aus.]

Hier ein paar Ideen: Statt zu meckern „Nie hilfst du mir …“, sagen wir, was uns wirklich helfen würde: „Wenn du jetzt vier Teller und vier Gläser auf den Tisch stellst, können wir etwas früher essen, das wäre mir eine große Hilfe.“ Statt zu rufen: „Kleckere nicht!“, sagen wir, was wir wollen und was nicht: „Ich möchte, dass du über deinem Teller isst, damit die Soße nicht auf deine Hose tropft.“ Statt zu bestimmen: „Du ziehst jetzt die Hose an und basta!“, lassen wir dem Kind eine Wahl: „Ohne Hose kannst du nicht auf die Straße. Welche möchtest du, die blaue oder die rote?“

Die wichtigste Grundregel ist: Eltern sollten Kindern immer persönliche Informationen geben statt allgemeine Regeln, also: „Mir ist es zu laut“ statt „So schreit man nicht rum“. Unsere Kinder werden uns viel besser zuhören, wenn hinter dem Bedürfnis ein echter Mensch steht, der sich etwas wünscht, als ein abstraktes Regelwerk.

Nicola Schmidt

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