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Sänger und Autor Thees Uhlmann schlendert gerne durch seinen Kiez.

© Kitty Kleist-Heinrich

Kiezspaziergang mit Musiker Thees Uhlmann: „Heimat ist da, wo Freunde sind“

Thees Uhlmann geht es wie vielen Zugezogenen: Berlin weckt bei ihm keine großen Gefühle. Egal ist ihm die Stadt aber nicht – ein Rundgang rund um den Südstern.

Der Autor Oliver Polak schrieb kürzlich über Thees Uhlmann in der „Welt“, es falle schwer, sich nicht in ihn zu verlieben. Wenn man sich mit Uhlmann zum Spaziergang in Kreuzberg verabredet, fällt es zunächst schwer, mit ihm Schritt zu halten und den Faden nicht zu verlieren. Uhlmann geht nicht, er läuft. Noch vor der Begrüßung ist er längst mitten drin, in seiner Erzählung über das Leben in Berlin.

Vom Treffpunkt in seinem Kiez am Südstern aus läuft Uhlmann in Richtung Körtestraße. Dabei kommentiert er die, aus seiner Sicht, „gefährlichste Kreuzung Berlins“ rund um die Kirche. In den folgenden eineinhalb Stunden wird er sechs Zigaretten rauchen, vier Menschen auf der Straße begrüßen und Anekdoten zu unzähligen Orten auf der Wegstrecke erzählen. Die Gegend rund um den Südstern ist sein Dorf, an jeder Ecke gibt es persönliche Landmarken. Hier komme er selten raus, sagt er. „Das weiteste ist normalerweise meine Fußballkneipe in Neukölln, zwei Stationen mit der U-Bahn“.

Uhlmann, der in den 1990ern als Sänger der Hamburger Indie-Rock-Band Tomte bekannt wurde, stammt ursprünglich aus dem niedersächsischen Hemmoor bei Cuxhaven. Er sei immer noch ein „echter Dorfprolet“, sagt er über sich selbst. Vielleicht fielen ihm deswegen Missstände in Berlin eher auf. Dabei lebt er, nach einigen Jahren in Köln und Hamburg, seit fast 15 Jahren in Berlin. Wirklich angekommen ist er nie. Uhlmann beobachtet die Stadt nach wie vor aus einer gewissen Distanz, aber dennoch durchaus fasziniert.

Er schreie Männer an, wenn sie gegen das Eingangshäuschen am U-Bahnhof Südstern pinkeln, erzählt er. Andere ermahne er, wenn sie tagsüber auf dem Spielplatz an der Körtestraße kiffen. Dort habe er mehrere Monate seines Lebens verbracht, sagt er im Vorbeigehen. Seine Tochter Lisa ist mittlerweile zwölf. Sie ist der Grund, weshalb er in Berlin lebt, ein wesentliches Zentrum seines Universums. Er ging mit ihr zum Kinderturnen, zum Ballett, war „stolzer Elternsprecher der Klasse 6a“. Und dann spricht er wieder über die Verwahrlosung der Stadt, über aus dem Boden wachsende Neubauten. „Es ist halt die Frage, in wie weit eine Stadt bereit ist, sich selbst aufzuessen“, sagt er. Wenn keiner was sage, dann sei alles scheißegal. „Ist aber nicht scheißegal“, sagt Uhlmann.

Zwischen Supermarkt und Gentrifizierung

Dann erzählt er begeistert vom Edeka am Südstern. Er habe den Eindruck, dass den Mitarbeitern das am Herzen liege, was sie tun. Das sei einfach „wahnsinnig süß“. Und dann spannt er den großen Bogen: Vom kleinen Edeka zurück zur großen Problematik der Gentrifizierung. Zu dem Gefühl, dass den meisten Menschen die Stadt einfach gleichgültig sei.

„Die Leute sind hier erst seit 10, 15 Jahren. Das heißt, sie haben keine originäre Geschichte zu dieser Stadt aufgebaut", glaubt Uhlmann – und schließt sich dabei auch selbst mit ein. In einem seiner Lieder singt er: „Noch 2000 Mal schlafen, noch sieben Jahre Berlin“. Ein möglicher Umzug spielt für ihn aber gerade keine Rolle. Vielleicht braucht er das auch einfach, die ständige Unruhe, eine gewisse latente Unzufriedenheit. „Das ist irgendwie mein Ding, sich den Kopf zu zerbrechen“, sagt er.

[330.000 Leute, 1 Newsletter: Die Autorin dieses Textes, Madlen Haarbach, schreibt den Tagesspiegel-Newsletter für Berlin-Neukölln. Den gibt es hier: leute.tagesspiegel.de]

An der Fichtestraße biegt Uhlmann ab in Richtung Hasenheide. Hier war er mit seiner Tochter schon öfter im Tierpark, hier gibt es die legendäre Maiwoche. „Dagegen ist das Lollapalooza ein Witz“, sagt Uhlmann und zündet sich die nächste Zigarette an. Außerdem, die Dealer im Park, die seien hier eigentlich kein Problem. Die seien weniger aufdringlich, würden eher auf die Alt-Kreuzberger Kiffer warten. Die Klientel sei ganz anders als im Görlitzer Park, über den gerade so viel diskutiert wird.

Im September erschien Uhlmanns neues Album „Junkies und Scientologen“, es ist sein mittlerweile drittes Soloalbum. Kurz darauf erschien auch das Buch „Thees Uhlmann über die Toten Hosen“, in dem er seine Fanbeziehung und Freundschaft zu der Düsseldorfer Band beschreibt. Sechs Jahre lagen zwischen „Junkies und Scientologen“ und dem Vorgängeralbum „#2“. In der Zwischenzeit verfasste Uhlmann mit „Sophia, der Tod und ich“ einen Bestsellerroman.

Ob er jetzt eher Autor oder Musiker sei? Das könne man so genau nicht sagen. „Das kommt alles aus so einem Gehirn, das relativ angezündet ist“, sagt Uhlmann und deutet mit dem Finger in Richtung seines Kopfes. „Ich bin da einfach Künstler“, sagt er. Und: „Inzwischen bringt mir das auch wirklich Spaß, das zu sagen.“

„Also so richtig Rock'n'Roll-mäßig“

Die große Frage sei natürlich: „Wenn ich mich ganz wohl fühlen würde, mit einem Weinkühlschrank am Deich, in der Nähe von Cuxhaven, hätte ich dann jemals so eine Platte geschrieben?“ Glück kontrastiert bei Uhlmann stets mit Unglück. Das zieht sich auch durch seine Musik: Mit „Tomte“ sang er von Krach und Schmutz und Staub, von Herzen, die so schwer sind wie Planeten. Auf „Junkies und Scientologen“ erklärt er: „Menschen ohne Angst wissen nicht, wie man singt.“ In „Avicii“, einer Hommage an den schwedischen DJ, der 2018 starb, heißt es: „Du wartest auf die Liebe, und ich auf das nächste Bier“.

Am Columbiabad erzählt Uhlmann dann, wie sein kleiner Neffe einmal vom Zehn-Meter-Brett gesprungen sei. „Er stand ein bisschen oben, ist dann runter gesprungen, der Bademeister macht dann so...“, Uhlmann deutet mit der Hand ein Glockenschlagen an, „Ding, Ding, Ding, Ding, Ding“, dann sei der Bademeister mit dem Jungen auf der Schulter eine Runde um das Becken gelaufen. „Ist das nicht süß?“ fragt Uhlmann. Und stellt dann fest, dass er gerade doch sehr positiv über Berlin redet.

Später, auf dem Tempelhofer Feld, wird er dann doch sagen, dass die Stadt für ihn eher ein „Logistik- und Aufenthaltsort“ sei. Er atme hier keine Heimat ein. Wobei, einen anderen Ort, den er als Heimat bezeichnen würde, kann er auch nicht benennen. Er versteht unter dem wohl eher so etwas: „Wenn ich Freunde treffe“, sagt Uhlmann. „Das gefällt mir gut.“ Und von denen seien viele eben mittlerweile in Berlin. Auf dem Flughafen Tempelhof sei er jedenfalls mal gelandet und von dort aus, mit der Gitarre in der Hand, zu seiner damaligen Wohnung in der Fidicinstraße gelaufen. „Also so richtig Rock'n'Roll-mäßig“, sagt er und lacht.

Zurück zum Südstern geht es über die Lilienthalstraße, an der Turngemeinde in Berlin (TiB) vorbei. Hier spielt er ab und zu Tennis. Ein paar hundert Meter weiter, in der Columbiahalle, steht Uhlmann am 14. Dezember mit seiner Band auf der Bühne. Das werde toll, da seien dann viele Menschen im Publikum, die ihm was bedeuten, sagt er. Manchmal braucht es für ein bisschen Heimat eben nur Musik, gute Freunde und das nächste Bier.
Für das Konzert am 14. Dezember in der Columbiahalle verlosen wir 2 x 2 Freikarten. Um teilzunehmen, melden Sie sich einfach bis zum 27. November unter tagesspiegel.de/gewinnen an, Stichwort „Thees Uhlmann“.

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