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Leona Berlin im Café Hermann Eicke in der Brunnenstraße 45 in Berlin-Mitte.

© Doris Spiekermann-Klaas

Kiezspaziergang mit Leona Berlin: Leben im Mitte-Klischee

Die Sängerin Leona Berlin führt durch ihren Kiez an der Brunnenstraße. Ein Gespräch über Musik, New York und Aufenthalte in hippen Cafés.

Von Laura Hofmann

Der Herbst ist da, jetzt aber wirklich, mit Kälte, Wind und Nieselregen. Und plötzlich erscheint die Idee, spazieren zu gehen, so anachronistisch, dass sie nicht mehr charmant, sondern nur noch doof ist. Gut, dass Leona Berlin als Treffpunkt ihr Lieblingscafé Hermann Eicke auf der Brunnenstraße vorgeschlagen hat. Es sieht aus, wie man sich ein Café in Mitte heute vorstellt: weiße Wände, Möbel aus Holz und schwarzem Metall. Über dem ausladenden Tresen hängt eine Neonröhre im Industrial-Design, an den Tischen sitzen junge, schöne Menschen mit Laptops.

Leona Berlin hat auf einem Hocker am Fenster Platz genommen. Sie trägt eine überdimensionierte lilafarbene Jacke im Retrolook. Die langen braunen Haare hat sie zu einem hohen Zopf gebunden, sie lächelt viel, während sie an ihrem Cappuccino nippt. Es läuft leise Musik. „Wenn man in einem Café bleibt, bis sich die Platte wiederholt, ist man zu lange da“, sagt sie und spricht aus Erfahrung. Sie wohnt gleich um die Ecke, zwischen U-Bahnhof Bernauer Straße und Mauerpark, und weil sie viel in ihrem kleinen Home-Tonstudio arbeitet, kommt sie immer dann her, wenn ihr zu Hause die Decke auf den Kopf fällt. Kann eine Sängerin in einem Café überhaupt arbeiten? Kann sie, denn singen ist nur ein Teil ihres Jobs. Auch E-Mails-Schreiben gehört dazu.

Am 7. September ist Berlins erstes Album erschienen. Sie selbst bezeichnet ihren Musikstil als „Neo-Soul mit Jazz-Einflüssen und poppigen Strukturen“. Emotionale Soul-Vocals verbindet sie mit elektronischen Effekten und setzt dafür einen Harmonizer ein, der ihre Stimme vervielfacht. Das ergibt im Zusammenspiel mit ihrer Band einen interessanten Sound.

Aus einem Dorf bei Baden-Baden nach New York

Berlin ist nicht nur ihre Wahlheimat, sondern auch ihr echter Nachname. Sowie der ihres Debütalbums. Was irgendwie logisch ist, denn sie hat nicht nur die 13 Songs darauf selbst geschrieben, sondern es gleich auch selbst produziert. In New York. Im Studio des Bassisten und Produzenten Jack Daley, der auch mit Künstlern wie Lenny Kravitz arbeitet.

Aus einem Dorf bei Baden-Baden nach New York: Berlins Werdegang böte Stoff für einen Coming-of-Age-Film.

Die Route des Kiezspaziergangs durch Wedding (Grafik anklicken zum Vergrößern).
Die Route des Kiezspaziergangs durch Wedding (Grafik anklicken zum Vergrößern).

© Tsp/Klöpfel

Und Berlin, also die Stadt? Die ist seit zweieinhalb Jahren ihr Zuhause, ein Zwischenschritt, denn gleich ganz nach New York zu ziehen, war ihr dann doch zu krass. . „Da ist alles extremer, in beide Richtungen, da der Kapitalismus weiter fortgeschritten ist. Mehr Möglichkeiten, aber auch mehr Konkurrenz und Stress“, sagt die 26-Jährige. Berlin sei die kleinere, deutsche Version. Grüner, ruhiger, aber auch offen für das Internationale.

Vielleicht doch noch mal raus? Gegenüber vom hippen Café ist eine Eckkneipe, die neben den minimalistisch eingerichteten Galerien, Restaurants und Bio-Eisläden wie ein Denkmal für vergangene Zeiten wirkt. „Das Mitte-Klischee ist schon irgendwie richtig“, sagt Berlin. „Hier prallen nicht ganz so viele Realitäten aufeinander wie an anderen Orten in der Stadt.“ Berlin fühlt sich hier wohl. Sie deutet Richtung Rosenthaler Platz. Da vorne – in einem Hinterhaus an der Brunnenstraße – ist ihr Proberaum.

Weiter nördlich, am Bahnhof Gesundbrunnen, trainiert sie im Fitnessstudio. Sie läuft die Brunnenstraße hoch, Richtung Bernauer Straße, dann weiter zum Mauerpark, vorbei an einem ihrer Lieblingsläden: „The Juicery“. Hier holt sie sich morgens zum Frühstück oft einen Smoothie, meist den mit dem schönen Namen „Inner Beauty“, einen Mix aus Schokolade, Datteln und Banane.

Ihre Botschaft: "Dass ich versuche, mich von allen Limits zu befreien"

„Ich habe kein Endziel“, sagt Berlin, und meint damit nicht den Spaziergang, sondern ihr Leben. Die vergangenen drei Jahre habe sie ihren Stil entwickelt, eine Identität als Künstlerin geschaffen. Es gehe ihr nicht nur um die Musik an sich, sie möchte auch eine Botschaft vermitteln: „Dass ich versuche, mich von allen Limits zu befreien, von allen Ängsten“, sagt sie. Und: „Man ist noch viel mehr, als man glaubt zu sein.“ In ihrem Song „Free“ singt sie: „You are the only one who can change what's going on“.

Klingt einleuchtend, im Alltag habe man aber manchmal so einen Tunnelblick und später frage man sich, was man eigentlich gemacht hat. Dann gebe es Momente, wo man merkt, dass man wirklich wach ist. „Und je öfter man wirklich wach ist, desto eher versteht man, welche Gedankenstrukturen man hat.“ Öfter wirklich wach zu sein – klingt doch ein bisschen nach Endziel.

Die Texte ihrer Lieder sind für sie etwas total Persönliches, erzählt Berlin. Zuerst kommt die Musik. Dann lässt sie die Stimmung auf sich wirken und überlegt, was für ein Text dazu passen könnte. Auf die Musik kommt sie oft, wenn sie draußen unterwegs ist. Sie hört etwa das Hupen eines Autos, das zusammen mit dem Quietschen der Straßenbahn plötzlich eine Melodie in ihrem Kopf ergibt. Oder im Sommer, als am Hauptbahnhof nachts ein Wassersprinkler gegen einen Pfahl traf. Aus dem Geräusch, das dadurch entstand, ist schließlich ein Lied geworden.

Berlin betrachtet den Bürgersteig vor ihr, die ganze Stadt ist heute grau, der Mauerpark fast menschenleer. Dann lacht sie. „Berlin ist ein guter Ort, um sich mit der eigenen Kacke zu konfrontieren.“ Das Elend, die vielen Obdachlosen. „Wenn so jemand durch die U-Bahn läuft, merkt man danach, wie alle betroffen und überfordert sind. Und versuchen, der Konfrontation mit der Angst, selber in dieser Situation zu sein, auszuweichen.“ Oder die Menschenaufläufe am U-Bahnhof Alexanderplatz. Das gehe an die Substanz, immer regt sich irgendjemand auf.

Wo sie hingeht, wenn sie Musik live erleben will? Das A-Trane in Charlottenburg ist für sie einer der wichtigsten Jazz-Clubs der Stadt. Dienstags geht sie gern ins Badehaus auf dem RAW-Gelände, dann ist „Swag Jam“ auf dem Programm, es wird Hip-Hop und Groove performt. „Das fühlt sich wirklich an wie die Berliner Hip-Hop-Szene“, sagt Leona Berlin. Ein Problem mit der Stadt hat sie aber doch: „Berlin gibt dir das Gefühl, dass immer etwas passiert. Und das kann dich von dem ablenken, was du eigentlich tun willst.“

Am 28. November um 21 Uhr spielt Leona Berlin im A-Trane, Pestalozzistraße 105.

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