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Mädchen ab fünf Jahren trainieren in der Fabriketage im Hinterhof der Urbanstraße in Kreuzberg.

© Kitty Kleist-Heinrich

Kickboxen in Friedrichshain-Kreuzberg: Wo Mädchen von Frauen lernen

Der Kreuzberger Verein „Lowkick“ verbindet Selbstverteidigung mit Sport. Das Training richtet sich nur an Mädchen und auch die Trainerinnen sind weiblich.

Zwei gerade Fäuste schmettern abwechselnd gegen die vorgestreckten Arme der Partnerin, durch Schaumstoffteile, den „Pratzen“, geschützt. Der Raum riecht nach Schweiß und Anspannung. Auf den gelben Matten springen die Mädchen. Sie haben ein besonderes Hobby: Kickboxen. „Am besten kann ich Geraden“, sagt Luna, 16, die seit fünf Jahren im Kreuzberger Verein „Lowkick“ trainiert. Sie ist ein schlaksiges Mädchen mit blonden Haaren und aufmerksamen Augen. „Lowkicks kann ich auch“, fügt sie hinzu. Mit dem Schienbein trifft Luna die Partnerin am Oberschenkel, der mit zwei dicken Polstern geschützt ist.

Die Besonderheit des Kreuzberger Vereins: Die Räume stehen nur Frauen und Mädchen offen. Luna war in verschiedenen Sportvereinen, bevor sie zu Lowkick kam, um sich „auszupowern“, sagt sie. Im Angebot stehen neben Kick- und Thaiboxen auch Stockkampf, Yoga, Rückentraining und die feministische Selbstverteidigungstechnik Wendo. Die kleinsten Kursbesucherinnen sind fünf Jahre alt.

Selbstverteidigung und Selbstbewusstsein

Die Mädchen lernen beim Kickboxen nicht nur Techniken zur Selbstverteidigung, sondern gewinnen auch Selbstbewusstsein. In ihrer Kreuzberger Schule kämen manchmal Polizisten, die Selbstverteidigungskurse geben, sagt Luna, dort allerdings habe sie nicht viel mehr gelernt, als „Nein“ zu sagen. Aber: „Nur ,Nein’ zu sagen, bringt nichts“, sagt Luna. Sie weiß, dass sie einem Angreifer häufig körperlich unterlegen sein könnte. „Mit dem, was ich beim Kickboxen lerne, sage ich überzeugter ,Nein‘ “, sagt sie. Zum Beispiel, wenn ihr jemand in der U-Bahn die Hand auf den Oberschenkel legt. Auch ihr Vater sei nun beruhigter, wenn sie alleine unterwegs ist.

Auch das war ein Ziel von Claudia Fingerhuth und ihreren Mitstreiterinnen, die Lowkick 2009 gegründet haben – in einer Fabriketage im Hinterhof in der Urbanstraße, zwei Ecken vom Hermannplatz entfernt. Die gesamte Einrichtung der Trainingsräume bauten die Frauen selbst, beim Boxring half eine Schlosserin. Gemeinsam etwas zu bauen, ist der grundlegende „grundfeministische“ Gedanke des Vereins, sagt Fingerhuth. Sie gehörte „zur ersten Generation von Frauen, die Selbstverteidigung ausschließlich von Frauen lernen durften“. Das war in den achtziger Jahren, als Fingerhuth und ihre Mitgründerin Inken Waehner auf Workshops zum ersten Mal Kickboxen lernten. Sie waren beide sportbegeistert und in der feministischen Szene unterwegs.

500 „Mitfrauen“ hat der Verein, 20 Prozent von ihnen sind junge Mädchen.
500 „Mitfrauen“ hat der Verein, 20 Prozent von ihnen sind junge Mädchen.

© Kitty Kleist-Heinrich

„Der erste Input kam aus den Niederlanden“, erzählt Fingerhuth. Kickboxen gefiel ihr, dort lernte sie, „einzustecken und auszuteilen“. In den Trainings wurden Techniken gegen Polizeigewalt und Selbstverteidigung unterrichtet, „aber es ging auch einfach um Spaß.“ Den Frauen war es wichtig, etwas ausschließlich gemeinsam mit Frauen zu organisieren, „ohne, dass wir Jungs und Männer vermissen“, sagt Fingerhut.

Spielerische Übungen und Rollenspiele

Mittlerweile hat der Verein 500 „Mitfrauen“, 20 Prozent davon sind Mädchen. Der Selbstverteidigungsaspekt ist im Training immer noch sehr wichtig: „Das Verhältnis zur eigenen Kraft lernen und anders für sich selbst einzustehen“, sagt Fingerhuth. Dafür haben die Trainerinnen eigene Konzepte entwickelt.

Das Wendo-Training für Mädchen ab fünf Jahren hat Inken Waehner an die junge Altersgruppe angepasst: „Es geht darum, dass die Mädchen ihren Körper kennenlernen“, sagt sie. Während des Trainings werden Ungerechtigkeiten thematisiert und darüber geredet, wann man sich verteidigen muss. Neben den spielerischen Übungen arbeitet die Trainerin mit Rollenspielen. Jeder Kurs endet mit einer Entspannungsphase, auch das gehört zum Training. Fingerhuth hat in den neunziger Jahren das Kickbox-Kondi-Training entwickelt, das Fitnesselemente mit Kickboxübungen verbindet und auch über die Universitäten der Stadt angeboten wird.

Workshops für geflüchtete Frauen

Die meisten Teilnehmerinnen kommen aus dem Kiez, aber nicht nur. „Manche fahren eine halbe oder Dreiviertelstunde zum Training, weil es in ihrem Bezirk keinen solchen Verein für Mädchen gibt“, sagt Luna. Aber auch in Neukölln und Kreuzberg will der Verein mehr Aufmerksamkeit für das Angebot schaffen. Lowkick arbeitet mit Quartiersmanagementprojekten zusammen, um die Kurse bei Familien aus der Düttmann- oder Hufeisensiedlung anzuwerben und bietet Workshops für geflüchtete Frauen und Mädchen an, die in Flüchtlingsunterkünften wohnen. Die Zusammenarbeit mit Familien aus der direkten Umgebung, also den Kiezen um Hasenheide und Hermannplatz, gestaltet sich aber nicht immer einfach: „Oft sind die Eltern dagegen, dass ihre Mädchen hierherkommen“, sagt Fingerhuth. Es sei ihnen unheimlich. Manche Mädchen fingen zwar jung an zu trainieren, aber sobald sie in die Pubertät kämen, schickten ihre Eltern sie lieber in die Koranschule als zum Kickboxen. „Da kommen wir als Verein nicht gegen an“, sagt Fingerhuth. Doch die Hoffnung ist nicht verloren: „Sobald die Mädchen unabhängig sind, kommen sie gerne wieder.“

Bei Luna war es glücklicherweise anders, denn ihr Vater unterstützte ihr Hobby von Anfang an. Sie will noch besser werden, „denn nur dann macht es richtig Spaß.“ Das Selbstbewusstsein und die Kraft setzt sie auch außerhalb des Trainingsraums ein: Die Zehntklässlerin will nach dem Abitur Jura studieren und Richterin werden.

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