zum Hauptinhalt
Obwohl es in anderen Bundesländern üblich ist, erhalten pflegende Angehörige in Berlin und Brandenburg keine Impfung.

© imago images/photothe/Ute Grabowsky

Keine Impfung gegen Corona: Pflegende Angehörige fallen in Berlin und Brandenburg durchs Raster

Corona-Impfungen für pflegende Angehörige? Was die Impfverordnung des Bundes ermöglicht, setzen Berlin und Brandenburg nicht um – anders als andere Länder.

Von
  • Sandra Dassler
  • Sabine Beikler

25. Januar 2021 im Impfzentrum in der Berliner Messehalle. Eine Frau bringt ihre 84-jährige, schwer kranke Mutter zum Impfen. Alles ist gut organisiert. Jeder, der geimpft wird, muss sich vorher noch ein sechsminütiges Video über Corona, Risiken und eventuelle Nebenwirkungen der Impfungen anschauen. Als der nette Arzt die ältere Dame geimpft hat und sich kurz mit ihr unterhält, fragt die Tochter eher scherzhaft, ob an diesem Tag nicht zufällig eine Impfdosis „übrig geblieben“ sei.

Daraufhin schaut sie der Impfarzt freundlich an, schüttelt den Kopf und sagt: „Leider nein. Aber das werden Sie ja auch aus eigener Erfahrung kennen: Die Politik vergisst die pflegenden Angehörigen immer. Vor allem dann, wenn die Organisation wie jetzt beim Impfen schwierig werden könnte.“

Drei Wochen später wählt ein anderer Impfarzt ähnliche Worte, als die Tochter ihre Mutter zur zweiten Impfung bringt. Und auch jetzt, Wochen später, werden im Gegensatz zu einigen anderen Bundesländern weder in Berlin noch in Brandenburg pflegende Angehörige gegen Corona geimpft.

Dabei sieht die Impfverordnung des Bundesgesundheitsministeriums vom 8. Februar 2021 durchaus vor, „bis zu zwei enge Kontaktpersonen von einer nicht in einer Einrichtung befindlichen pflegebedürftigen Person“ mit „hoher Priorität“ zu berücksichtigen. Das entspricht der zweiten Priorisierungsstufe, die derzeit mit Astrazeneca geimpft werden kann. Allerdings haben pflegende Kontaktpersonen in Berlin überhaupt keine Chance, sich für einen Impftermin registrieren zu lassen.

Denn das geht hier nur mit einer Einladung, die von der Senatsverwaltung für Gesundheit verschickt wird. „Doch diese kennt die zur vorzeitigen Impfung berechtigten Kontaktpersonen überhaupt nicht“, berichtet eine Tagesspiegel-Leserin: „Und offenbar sieht man in der Gesundheitsverwaltung die damit verbundene Problematik nicht einmal. Jedenfalls ist es mir trotz intensiver Recherche über Internet, Telefon und so weiter bislang nicht gelungen, einen Weg zu finden, um mich wenigstens als Impfberechtigte registrieren zu lassen.“

Berlin weiß nicht, wie es pflegende Angehörige einladen soll

Tatsächlich weiß niemand in Berlin, wie man an die Daten der pflegenden Angehörigen kommt, wenn ihre Verwandten nicht in stationären oder teilstationären Einrichtungen registriert sind. Denn das betreute Wohnen zum Beispiel zählt nicht als eine Einrichtung. Dort leben Seniorinnen und Senioren in eigenen, seniorengerechten und auch barrierefreien Wohnungen in der Regel mit Hausnotrufknopf.

[Wenn Sie alle aktuellen Nachrichten live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

Bei Bedarf können Pflegeleistungen dazu gebucht werden – je nach Bedarf und Pflegegrad. Doch die ambulanten Pflegedienste können bei den Impfungen der pflegenden Angehörigen nicht weiterhelfen. Sogar die Senior:innen müssen sich in den Einrichtungen selbst um einen Impftermin kümmern, wenn sie nicht eingeladen worden sind. Die pflegenden Angehörigen fallen schlichtweg durchs Raster – im betreuten Wohnen und in einer privaten Betreuung in der eigenen Wohnung.

Auf mehrfache Nachfrage des Tagesspiegels war die Senatsgesundheitsverwaltung nicht in der Lage zu erklären, wie denn die pflegenden Angehörigen zu Impfungen eingeladen werden. Denn die Daten der Betroffenen kennen nur die Krankenkassen, wenn ein medizinisches Gutachten für einen Pflegegrad erstellt wurde und der oder die pflegende Angehörige bei den Pflege- und Krankenkassen registriert ist. Aber auf diese Daten haben die Behörden keinen Zugriff.

In Berlin besteht Hoffnung auf eine Impfung, in Brandenburg nicht

„Wir impfen pflegende Angehörige in der Tagespflege bereits mit“, sagt der Sprecher der Senatsgesundheitsverwaltung Moritz Quiske. Aber nur ein geringer Teil der zu Hause betreuten Menschen geht in Einrichtungen der Tagespflege. Immerhin befindet sich die Gesundheitsverwaltung laut Moritz Quiske „zu allem Weiteren mitten in den Vorbereitungen“.

Somit besteht für pflegende Angehörige in Berlin wenigstens noch Hoffnung, demnächst vielleicht doch noch berücksichtigt zu werden – in Brandenburg bekommen sie gar keine Chance.

„Wir haben aktuell einfach zu wenig Impfstoff, um den Kreis der Berechtigten auch schon auf die betreuenden Angehörigen auszudehnen“, sagt der Sprecher des brandenburgischen Gesundheitsministeriums Gabriel Hesse. „Und nur, weil Astrazeneca zunächst nicht für über 65-Jährige empfohlen worden war, konnten wir überhaupt schon ersten Personengruppen der Priorisierungsgruppe 2 ein Impfangebot machen. Da hat sich Brandenburg ganz bewusst zuerst für Personen im Alter bis 64 entschieden, die aufgrund von schweren Vorerkrankungen oder Behinderungen ein besonders hohes Risiko für einen schweren oder tödlichen Krankheitsverlauf haben.“

Diese Menschen gehörten nach Ansicht des Ministeriums ohnehin in die erste Stufe mit höchster Priorität. Auch die in Kindereinrichtungen und Schulen tätigen Personen wurden in die Priorisierungsstufe 2 aufgenommen.

Was in Brandenburg nicht geht, ist in Thüringen schon möglich

Für pflegende Angehörige reichten die derzeit zur Verfügung stehenden und für die nächsten Wochen angekündigten Impfstoffe schlicht und ergreifend nicht aus, sagt Gabriel Hesse. „Zwei betreuende Personen pro Pflegebedürftigen – das können wir derzeit mit den angekündigten Liefermengen nicht abdecken.“

Auch wenn klar ist, dass beim Übergang in die nächste Priorisierungsstufe nicht alle Berechtigten sofort berücksichtigt werden können, bleibt die Frage, warum andere Bundesländer die betreuenden Angehörigen bereits impfen. Die Argumentation, wonach Brandenburg besonders viele alte und damit auch pflegebedürftige Bewohner:innen hat, überzeugt nicht jede:n. So liegt etwa das Durchschnittsalter im Freistaat Thüringen mit 47,4 Jahren noch über dem in Brandenburg (47,2). Dort werden aber bereits seit einer Woche Impftermine für pflegende Angehörige vergeben. Man kann sich übrigens ganz einfach online dafür anmelden. Und muss lediglich eine Bestätigung der Person, die man pflegt, vorlegen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false