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Wo geht’s lang mit Velten? Die Stadt ist gespalten. 

© imago images/Jürgen Ritter

Kein Neubau, keine S-Bahn: Eine Stadt schottet sich ab

Velten in Brandenburg hat Angst vor Zuzug. Was ist los in der Stadt, in der sich die örtliche Wählergemeinschaft, CDU, AfD und NPD einig waren?

Marcel Siegert lenkt seinen schwarzen SUV durch Velten und ärgert sich. Zügig fährt er die Straßen entlang, an fast jeder Ecke hat er etwas auszusetzen. Die fünf Gebäude, die an der Hauptstraße renoviert und ausgebaut werden: „Wurden wir Stadtverordnete nicht einbezogen.“ Drei Mehrfamilienhäuser, die sich stilistisch von der Nachbarschaft abheben: „Nicht der Charakter, den wir für Velten wollen.“ Zehn Einfamilienhäuser, die gerade gebaut werden und für rund eine halbe Million Euro das Stück zu haben sind: „Die Klientel, die sich so eine Wohnung leisten kann, kommt nicht aus Velten.“ Der neue Bahnhof: „Der alte war doch auch schön.“

Seit einer Woche ist seine kleine Heimatstadt zehn Kilometer vor der Berliner Stadtgrenze in den bundesweiten Schlagzeilen. Dafür verantwortlich ist Siegert. Seine Partei, die Wählergemeinschaft Pro Velten, hatte zwei Anträge in die Stadtverordnetenversammlung eingebracht. Der eine sprach sich gegen den seit Jahrzehnten geplanten Anschluss der S-Bahn aus, der andere forderte ein Moratorium für Bauvorhaben von mehr als 50 Wohneinheiten.

„Entfremdung der Einwohner“

Begründet wird der zweite Beschluss mit fehlender Infrastruktur, aber auch mit Begriffen wie „Identitätsverlust“ und einer „Entfremdung der Einwohner“. Dort steht auch: „Unsere Heimatstadt darf nicht Berliner Vorstadt werden. (...) Nicht jede Kleinstadt muss wachsen.“ Die beiden Beschlüsse finden in der Stadtverordnetenversammlung, der Marcel Siegert vorsitzt, eine knappe Mehrheit.

Mit Stimmen der stärksten Fraktion Pro Velten, sowie der CDU, AfD und NPD. Die beiden Signale, die Velten an diesem Abend über die Stadtgrenzen hinaus sendet: Bürgerliche, die Politik mit Rechten machen, und das 12.000-Einwohner-Städtchen vor den Toren Berlins schottet sich ab. Dabei gäbe es Velten in seiner heutigen Form gar nicht ohne Berlin.

Aus Bauern werden Unternehmer

Der Aufstieg vom Bauerndorf zur Industriekleinstadt ist untrennbar mit der Geschichte des großen Nachbarn verknüpft. Im Brandenburger Boden lagert massenhaft kalkhaltiger Ton, der sich zum Brennen von Kacheln eignet. Als Berlin um die Jahrhundertwende rasant zu einer Vier-Millionen-Einwohner-Metropole anwächst, profitiert auch Velten. 40 Fabriken entstehen, aus Bauern werden Unternehmer, Goldgräberstimmung.

Berliner Verbindung. Veltens Aufstieg wäre ohne Berlin nicht denkbar gewesen.
Berliner Verbindung. Veltens Aufstieg wäre ohne Berlin nicht denkbar gewesen.

© imago images/Jürgen Ritter

100.000 Öfen werden jährlich in der kleinen Stadt produziert, die meisten über die Havel nach Berlin verschifft. „Velten wärmte Berlin“, heißt es heute stolz im lokalen Ofenmuseum. Spuren der Glanzzeit sind weltweit zu finden. Von Skandinavien bis Indien. Vor allem aber in Berlin, zum Beispiel am U-Bahnhof Rosenthaler Platz, wo die gelben Kacheln aus Velten kommen.

Velten ist gespalten

„Wir sind eine Berliner Vorstadt und wir werden wachsen – die Frage ist nur wie“, sagt Veltens Bürgermeisterin Ines Hübner im Rathaussaal. Die SPD-Politikerin lenkt die Geschicke der Stadt seit 2009, nach acht Jahren wurde sie knapp im Amt bestätigt. In der Stichwahl setzte sie sich mit nur 100 Stimmen Vorsprung gegen ihren Mitbewerber durch: Marcel Siegert. „Man könnte ihn schon meinen Widersacher nennen“, sagt Hübner.

Die beiden kennen sich schon seit den 90er Jahren. Damals forderte Siegert mit Freunden lautstark einen Jugendraum und stritt sich öffentlich mit der Amtsleiterin für Soziales: Ines Hübner. Seitdem ist das Verhältnis zwischen den beiden zerrüttet – und steht sinnbildlich für die Spaltung Veltens.

Die Zukunft eines Neubaugebiets am Bahnhof ist fraglich

Velten trennt sich politisch in zwei Lager. Bei der Europawahl im vorigen Mai wurde die AfD mit klarem Abstand stärkste Kraft, bei der Landtagswahl im Herbst schnitt sie noch stärker ab, allerdings knapp hinter der Siegerin SPD. In der Stadtverordnetenversammlung gibt es SPD und Linke auf der einen, die 2013 gegründete Wählervereinigung Pro Velten auf der anderen Seite. Eine Mehrheit hat kein Block, es kommt deshalb auf die fünf Verordneten von CDU, AfD und NPD an. Die Stimmung in der Stadt und im Parlament sei seitdem rauer, heißt es.

„Der Beschluss ist für mich schwer nachvollziehbar“, sagt Hübner. Die Zukunft eines Neubaugebiets am Bahnhof für 700 bis 1000 Wohnungen sei nun fraglich. Dabei habe bezahlbarer und seniorengerechter Wohnraum im Fokus der Planungen gestanden. „Das Land Brandenburg und unsere Investoren wollten da deutlich mehr bauen“, sagt Hübner und versichert, man habe auch an Kitaplätze gedacht. Am Vortag war sie beim Spatenstich für einen neuen Hort. Warum ihr Vorschlag dennoch durchfiel? Sie zuckt die Achseln. Lacht. Hilflos.

Veltens Bürgermeisterin Ines Hübner mit Berthold Zenner, der zuständig ist für die Stadtentwicklung.
Veltens Bürgermeisterin Ines Hübner mit Berthold Zenner, der zuständig ist für die Stadtentwicklung.

© Felix Hackenbruch

Hübner befürchtet Verdrängungsmechanismen. Schon jetzt sei der Druck auf dem Wohnungsmarkt hoch. „Leerstand haben wir seit drei Jahren keinen mehr.“ Die Mietpreise sind bereits gestiegen. Velten ist attraktiv. Mehrere Industriegebiete hat die Stadt, als vermutlich einzige Stadt im Berliner Umland hat sie ein ausgeglichenes Pendlersaldo.

Die meisten kommen freilich mit dem Auto – obwohl vor ein paar Jahren die Autobahnzufahrt abgebaut wurde. Eine direkte Zugverbindung von Berlin gibt es nicht – und nun auch noch der Beschluss gegen die S-Bahn. „Der Verkehrsstaatssekretär hat zum Glück schon klargemacht, dass das für ihn Landespolitik ist“ sagt Ines Hübner.

Siegert präsentiert sich als besorgter Sachpolitiker

Ihr Konkurrent Marcel Siegert sitzt im Eiscafé nur 200 Meter vom Rathaus entfernt, glättet mit dem Löffel den Milchschaum seines Cappuccinos und lächelt. Natürlich wolle er die S-Bahn, aber der RE6 mit einer direkten Verbindung nach Gesundbrunnen sei wichtiger. Und warum nicht beides, wie es im Investitionspapier „i2030“ von Berlin, Brandenburg und der Bahn angekündigt ist? „Da glaube ich nicht dran.“ 25 Jahre warte er schon auf den Anschluss, immer seien die Veltener enttäuscht worden. Außerdem habe er Bedenken, wenn die S-Bahn im 20-Minuten-Takt fahre und zweimal stündlich eine Regionalbahn. Wegen der Schranke habe dies auch Auswirkungen auf den Straßenverkehr.

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Eine Woche nach den umstrittenen Beschlüssen präsentiert sich Siegert als besorgter Sachpolitiker. „Ich stelle doch nur Fragen und bekomme keine Antworten.“ Dass die Anträge mithilfe von AfD und NPD eine Mehrheit gefunden haben, sei „voraussehbar“ gewesen. Verwerflich findet er das nicht. „Soll ich deshalb keine Anträge mehr schreiben?“ Überhaupt, die AfD wolle er nicht in die rechte Ecke stellen und seine eigene Fraktion sei weder links noch rechts.

„Wir sind bürgerlich und ein bisschen konservativ.“ Konservativ, also die Bewahrung oder Wiederherstellung einer früheren Ordnung. Im Fall von Velten sieht Siegert Handlungsbedarf. In seiner Stadt habe sich seit den 90er Jahren etwas verändert. Er kenne viele Veltener nicht mehr, in den Vereinen würden sich weniger Menschen engagieren. Verantwortlich macht er dafür den Zuzug. „Die Leute sind ja nur noch mit Pendeln beschäftigt. Die haben keine Zeit mehr, sich hier in Velten einzubringen.“ Er will deshalb ein langsameres Wachstum. „Wir können nicht ganz Berlin aufnehmen.“

Veränderung bedeutet Herausforderung

Schaut man sich die Zahlen an, hat sich Velten seit der Wende aber überhaupt nicht verändert. Die Einwohnerzahl liegt konstant zwischen 10 000 und 12 000. In fast allen anderen Gemeinden im Berliner Speckgürtel ist die Bevölkerungszahl dagegen stark gestiegen. Velten dagegen fühlt sich gar nicht speckig an.

„Wir sind keine Berliner Vorstadt. Hennigsdorf ist eine, wir nicht“, sagt Siegert und widerspricht der Bürgermeisterin. Er habe nichts gegen Zuzug, argumentiert aber mit wachsenden Bedarfszahlen für Schulen und Kitas. Sollte das geplante Neubaugebiet am Bahnhof entstehen, würden auch Supermärkte, Parkplätze und Straßen fehlen. Schon jetzt gebe es morgens eine Rushhour in Velten. Er sieht sich als Bremser und Bewahrer. „Ich möchte nicht den Berliner Flair.“

Markus Schütte, der evangelische Pfarrer Veltens, verzieht ein bisschen das Gesicht, als er über Marcel Siegert spricht. Wie ein „Volkstribun“ führe der sich auf, seine Methoden seien populistisch. „Politik hat die Aufgabe, den Menschen ihre Ängste zu nehmen“, sagt er. Veränderung bedeute Herausforderung, aber Stagnation heiße Rückschritt.

Pfarrer Markus Schütte wohnt seit drei Jahren in Velten und spürt fremdenfeindliche Tendenzen.
Pfarrer Markus Schütte wohnt seit drei Jahren in Velten und spürt fremdenfeindliche Tendenzen.

© Felix Hackenbruch

Mit seiner Familie wohnt Markus Schütte erst seit drei Jahren in Velten. Davor lebte er in Neuruppin und Potsdam. Vom ersten Tag an habe er in der Stadt eine „erstaunliche“ Atmosphäre wahrgenommen. „Die Grundstimmung ist: Wir wollen hier keine Fremden – und fremd ist schon jemand aus Reinickendorf.“

Schütte erzählt von vielen weltoffenen Bewohnern

Der 51-Jährige ist groß, sein Händedruck kräftig, ehe man ihm Fragen stellt, legt er schon los, spricht mit märkischem Dialekt. Er weiß, was er sagen will. „Hier kippt gerade etwas.“ Schütte beobachtet eine gespaltene Stadt. Auf der einen Seite Alt-Veltener, die sich schon seit Kindheitstagen kennen, auf der anderen Seite Zugezogene. Berührungspunkte gebe es da häufig keine. Seine Kirche kann die Stadtgesellschaft nicht zusammenhalten. „Manchen Leuten gelten wir als linksversifft“, sagt Schütte. Seine Vorgängerin hat die Kirche nach rechtsextremen Anschlägen in den 90er Jahren klar positioniert.

Vor dem Gemeindehaus hing zehn Jahre ein Plakat, auf dem „Schützt Fremde“ steht. Mehrfach wurde es heruntergerissen, zerstört, verbrannt. Nun hängt das Plakat nur noch ein paar Mal im Jahr. In seinem Arbeitszimmer erzählt Schütte auch von vielen engagierten und weltoffenen Bewohnern. Er selbst sei herzlich und dankbar empfangen worden. Überhaupt begegne ihm bei den vielen Hausbesuchen nur Offenheit. „Die Leute sind oft erleichtert, wenn sie hören, dass ich Brandenburger bin.“ Er sei ja einer von ihnen. Freuen kann er sich darüber nicht, denn im Umkehrschluss heiße dies: Nur weil er aus der Region stamme, sei er willkommen.

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