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Rollator steht in einem Treppenflur in Berlin.

© imago/Seeliger

Kein Aufzug wegen Milieuschutz: Wenn ein Fahrstuhl zum Luxus erklärt wird

Der Milieuschutz soll Hausbewohner vor Verdrängung schützen. Doch ein Einzelfall aus Tempelhof-Schöneberg zeigt: Das Instrument hat Tücken.

Das soziale Erhaltungsrecht – besser bekannt als Milieuschutz – dient genau einem Zweck: Dem Schutz von Bestandsmietern. Um Verdrängung zu verhindern, sollen Luxusmodernisierungen von Wohnungen oder wesentliche Aufwertungen der Wohngebäude „im Wesentlichen“verhindert werden, wenn die Gefahr besteht, dass die Bevölkerung durch diese Maßnahmen aus ihrem angestammten Wohnumfeld verdrängt wird.“

So steht es auf der Internetseite des Bezirksamts Tempelhof-Schöneberg, und so wird es von Bau- und Stadtentwicklungsstadtrat Jörn Oltmann (Grüne) umgesetzt. Acht der derzeit berlinweit 65 Milieuschutzgebiete finden sich im Bezirk, drei weitere sollen zeitnah folgen.

Der Haken an der Sache: Nicht zwangsläufig führen Modernisierung oder Aufwertung zur Verdrängung der Bestandsmieter. Manche können sogar nur dann in ihren Wohnungen bleiben, wenn modernisiert oder gar ausgebaut wird. So wie im Fall zweier Wohngebäude Ecke Barbarossastraße/Kyffhäuserstraße, den der FDP-Abgeordnete Thomas Seerig öffentlich gemacht hat.

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Die Geschichte geht so: Die vor Jahren einzeln verkauften Wohnungen der beiden Gebäude werden zu 80 Prozent durch die langjährigen Eigentümer:innen bewohnt – allesamt über 60 und manche seit mehr als 30 Jahren in ihren Wohnungen. Mit zunehmenden Alter sinkt die Mobilität, weshalb sich die Bewohner:innen einen Fahrstuhl wünschen. Einen für jedes Haus, damit wirklich alle – auch die Bewohner:innen mit Schwerbehinderung – die Teilhabe am sozialen Leben möglich bleibt. Ansonsten drohen Isolation oder Altenheim, wie eine Bewohner: an das Bezirksamt schreibt.

Anlass für das Schreiben ist ein Bescheid der Behörde Oltmanns, versendet im August 2020. Darin hatte das Amt dem Ansinnen der Hausgemeinschaft, das Wohngebäude mit einem Aufzug auszustatten, eine Absage erteilt – mit Verweis auf den Milieuschutz. „Welch ein Widerspruch“, empört sich die Bewohnerin und weist darauf hin, dass durch die Ablehnung der Aufzüge der Verdrängung angestammter Bewohner:innen erst recht Vorschub geleistet wird – entgegen der Zielstellung des Milieuschutzes. Sie schließt ihren Brief mit dem Satz: „Daher bitte ich Sie, dem Antrag auf Einbau der Fahrstühle stattzugeben.“ Erhört wurde sie bislang nicht.

Tempelhof-Schöneberg macht es Antragsstellern besonders schwer

Rechtlich ist die Sache kompliziert: In einem Milieuschutzgebiet wird für Baumaßnahmen wie den Anbau eines Aufzugs eine erhaltungsrechtliche Genehmigung fällig. Für Prüfung und Entscheidung im Einzelfall sind die Bezirke zuständig. Zwar wurden eigens dazu Prüfkriterien entwickelt, diese wiederum werden – allem Anschein nach – unterschiedlich ausgelegt.

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Laut Stadtentwicklungsverwaltung zählt Tempelhof-Schöneberg zu jenen Bezirken, in denen der Einbau beziehungsweise Anbau von Aufzügen und Fassadengleitern grundsätzlich nicht genehmigungsfähig ist, sofern diese bauordnungsrechtlich nicht erforderlich sind. Reinickendorf und Pankow wiederum versagen Genehmigungen nur bei besonders kostenaufwendigen Lösungen für Aufzüge und Fassadengleiter.

Hinter dem Verbot steht die Sorge vor sehr hohen und auf die Miete umlagefähigen Kosten. Hinzu kommt die Vorbildwirkung: Wird einem Hauseigentümer die Installation des Aufzugs genehmigt, kann sie einem anderen nur schwer versagt werden. Ausnahmen sind nur möglich, wenn erstens Aufzüge zum zeitgemäßen Ausstattungsstandard zählen oder zweitens die Kosten nicht auf die Mieter:innen beziehungsweise nur auf einen bestimmten Kreis der Nutzer:innen umgelegt werden.

Baustadtrat Oltmann verweist auf Ausnahmeprüfungen

Während FDP-Mann Seerig dem Senat Ignoranz vorwirft und erklärt, „die Erfordernisse von Barrierefreiheit und Inklusion sind Rot-Rot-Grün in der Praxis eben egal“, sendet Stadtrat Oltmann ein Signal der Hoffnung. Grundsätzlich gebe es die Möglichkeit der Ausnahmeprüfung, gerade habe er einen ähnlich gelagerten Fall auf dem Schreibtisch.

Oltmann verweist auf das Problem der Vorbildwirkung und fordert bundespolitische Regelungen zum Mieterschutz, damit sich die Bezirke nicht „über die Krücke Milieuschutz“ helfen müssen. Im Bereich der vom Milieuschutz verhinderten altersbedingten Modernisierung sieht Oltmann ein, „dass wir älteren Menschen oder solchen mit Handycap aktuell vors Schienbein treten“. Den Ermessensspielraum für Ausnahmen hätte seine Behörde.

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