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Händedesinfektion ist das A und O der Hygiene im Krankenhaus.

© Stephanie Pilick/dpa

Keime im Krankenhaus: „Eine bessere Klinikhygiene braucht mehr Personal“

Ausgerechnet im Krankenhaus wird man leicht krank. Ein Gespräch mit dem Chefhygieniker von Vivantes, Christian Brandt, über seinen täglichen Kampf gegen Infektionen.

Jahrelang wurde in der Klinikhygienikszene darum gestritten, wie häufig Krankenhausinfektionen – oder wie Mediziner sagen: nosokomiale Infektionen – sind und wie viele Menschen daran sterben. Nun hat das Robert-Koch-Institut (RKI) neue Zahlen vorgelegt. Danach erleiden jährlich zwischen 400 000 und 600 000 Patienten in deutschen Kliniken eine Infektion, zwischen 10 000 und 20 000 Menschen sterben daran. Herr Brandt, warum sind diese Zahlen immer noch so ungenau?

Aussagen zur Häufigkeit nosokomialer Infektionen sind sehr schwierig, da es keine vollständige Erhebung jedes einzelnen Falles gibt, sondern die Angaben aus sogenannten Prävalenzstudien stammen. Dabei wird wie bei einer Inventur an einem Stichtag in einer Stichprobe von Kliniken ausgezählt, wie viele Patienten zu dem Zeitpunkt unter einer im Krankenhaus erworbenen Infektion leiden. Daraus werden dann Aussagen zum Infektionsgeschehen in deutschen Krankenhäusern hochgerechnet. Das ist ein langwieriges Verfahren. Die Datenerhebung für die jetzt vom RKI veröffentlichten Zahlen fand im Jahr 2011 statt, und zwar europaweit.

Also sind die Zahlen schon veraltet?

Nicht komplett, aber für Deutschland etwas überholt, da im Jahr 2016 hierzulande eine erneute Datenerhebung zu Klinikinfektionen stattfand. Im Vergleich zu den 2011er Daten zeigte sich, dass die Häufigkeit von postoperativen Wundinfektionen und Harnweginfektionen deutlich zurückgegangen ist. Allerdings ist die Klinikhygiene in Deutschland im europäischen Vergleich auch nach den neueren Daten immer noch nur mittelmäßig.

Welche Bereiche im Krankenhaus haben Sie besonders im Blick?

Die Hygienemaßnahmen fokussieren sich vor allem auf die patientennahen Bereiche. Das ist zum einen die Händehygiene bei Personen, die die Patienten berühren, also Pflegekräfte und Ärzte. Zum anderen die Aufbereitung von medizinischen Instrumenten, die auf dem oder im Körper des Patienten eingesetzt werden. Hier unterscheiden wir in kritische und semikritische Medizinprodukte. „Kritisch“ sind die Instrumente, mit denen geschnitten oder gestochen wird, also Skalpelle, Scheren oder Kanülen. Diese müssen sterilisiert, also komplett keimfrei sein. „Semikritisch“ sind die Instrumente, die in den Körper eingeführt werden, ohne Wunden zu erzeugen, also Endoskope, Beatmungstuben oder Harnblasenkatheter. Diese müssen desinfiziert werden, also die Keimzahl darauf so reduziert, dass keine Infektionsgefahr besteht. Harnblasenkatheter zum Beispiel können die Eintrittspforte für erworbene Harnwegsinfektionen sein.

Christian Brandt
Christian Brandt

©  Promo

Und wie sieht es mit den Operationssälen aus, also da, wo viel geschnitten wird?

Wundinfektionen gehören zu den häufigsten Klinikinfektionen – und der Operationssaal ist natürlich der zentrale Punkt, an dem die Strategien zur Infektionsvermeidung ansetzen. Zahlreiche wichtige Maßnahmen wie Hautdesinfektion, sterile Handschuhe und Kittel der Operateure und sterile Instrumente sind seit Jahrzehnten unstrittig, auch wenn das nicht immer konsequent umgesetzt ist. In den letzten Jahren wurde viel über die Raumlufttechnik diskutiert: OP-Säle müssen mit einer gefilterten, also keim- und staubfreien Luft versorgt werden. Diese saubere Luft muss im Überschuss in den OP strömen, sodass im Operationsraum ein Überdruck herrscht, der verhindert, dass möglicherweise kontaminierte Luft zum Beispiel durch geöffnete Türen hineingelangt. Dafür gibt es zwei Systeme: Das eine ist das turbulenzarme Luftverdrängungsverfahren (TAV). Dabei wird von der OP-Decke direkt über dem Operationstisch ein vertikaler Strom keimfrei gefilterter Luft nach unten geleitet, der die nicht gereinigte Luft im Raum kontinuierlich verdrängt. Innerhalb dieses Luftstroms um den Operationstisch soll die Luft also keimfrei sein. Die andere Methode ist die Verdünnungsströmung. Dabei wird gefilterte Luft aus mehreren Auslassöffnungen in den OP-Saal geleitet und verdünnt so die möglicherweise Keime enthaltende Luft im OP so weit, dass die Infektionsgefahr reduziert wird.

[Das Gespräch führte Ingo Bach. Christian Brandt ist Direktor des Instituts für Hygiene und Umweltmedizin des Vivantes-Klinikkonzerns und Vorstandsmitglied des Verbundes für angewandte Hygiene.]

Kritiker bemängeln, dass die erste Methode zwar die bessere sei, aber die zweite aus Kostengründen bevorzugt werde.

Es mag ja sein, dass das Luftverdrängungsverfahren unter Laborbedingungen bessere Ergebnisse liefert. Doch in der praktischen Anwendung sind beide Methoden gleich effektiv. Es gibt keine Studie, die einen praktischen Vorteil der TAV gegenüber der Verdünnungsströmung belegt. Sie ist einfach nur teurer. Deshalb haben wir uns auch entschlossen, bei den beiden OP-Neubauprojekten im Auguste Viktoria Klinikum und im Klinikum Neukölln nicht auf die TAV zu setzen. Wenn es klare Vorteile für die Patienten geben würde, dann würden alle Krankenhäuser die TAV-Decken verwenden – aber die Ergebnisse sind eben nicht eindeutig, sodass sowohl international als auch national keine Empfehlung für die TAV-Decken besteht.

Was muss an den Krankenhäusern in Deutschland geschehen, um Klinikinfektionen deutlich zu verringern?

Um es kurz zu machen: Dafür braucht es vor allem mehr Personal in den Krankenhäusern. Denn die technischen Möglichkeiten sind jetzt zum großen Teil ausgereizt. Aber gerade beim Thema Händedesinfektion gibt es noch viel Potenzial für Verbesserungen. Zwar werden überall vor allem die Pflegekräfte zu diesem Thema immer intensiver geschult. Aber der durch den Personalmangel verursachte hohe Arbeits- und Zeitdruck und die Tatsache, dass die Kliniken immer wirtschaftlicher sein müssen, also in die immer kürzeren Liegezeiten der Patienten im Krankenhaus immer mehr Diagnostik und Therapie hineinpacken müssen, macht die Erfolge durch die Schulungen teilweise wieder zunichte, weil die Händedesinfektion dann doch mal vernachlässigt wird.

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