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Fehlgeleitete Katzenliebe: Beim Animal Hording bleiben Hygiene und Vernunft auf der Strecke.

© Ursula Bauer

Katzenelend in Berlin: Wo die wilden Katzen leben

Mieter lassen sie in der Wohnung zurück, Züchter setzen sie aus. Mehr als 10.000 Tiere leben auf den Straßen Berlins. Eine Katzenverordnung würde helfen.

Ihren ersten großen Einsatz hatte Gudrun Kreft nach der Wende. „Auf dem Gelände des heutigen Klinikums Buch haben wir 100 wild lebende Katzen gefunden“, erzählt sie. Für Gudrun Kreft, die heute 75 Jahre alt ist, war klar: Sie muss helfen. Das tut sie mittlerweile seit 30 Jahren. Die Rentnerin füttert wild lebende Katzen. Aber was noch viel wichtiger ist: Sie fängt Katzen ein, die krank sind, und bringt sie zum Tierheim. Genauso wie nicht kastrierte Neuzugänge unter den Wilden. Im Tierheim werden sie behandelt. Einige Tiere gehen in die Vermittlung. Andere, die zu lange auf der Straße gelebt haben, werden zu ihrem Fundort zurückgebracht.

Es gibt nicht viele Berliner, die diese Aufgabe auf sich nehmen, denn sie ist eine Herausforderung. Zunächst muss man in der Nachbarschaft recherchieren, ob das Tier tatsächlich herrenlos ist. Dann muss man die Katze anfüttern, sodass sie Vertrauen aufbaut. Das kann Monate dauern.

Auch beim Einsatz selbst braucht man Geduld. Die verwilderten Tiere sind scheu. Die Katzenfänger warten oft stundenlang – und manchmal vergeblich.

Katzenfalle: Gudrun Kreft mit ihrer selbst gebauten Konstruktion. Streuner, die nicht kastriert sind oder die krank sind, werden ins Tierheim gebracht.
Katzenfalle: Gudrun Kreft mit ihrer selbst gebauten Konstruktion. Streuner, die nicht kastriert sind oder die krank sind, werden ins Tierheim gebracht.

© Doris Spiekermann-Klaas TSP

Neben Gudrun Kreft ist Andrea Damitz eine der Tierretterinnen. Seit sieben Jahren fängt die Tierschützerin streunende Katzen ein. Ihr erster Einsatz war eine Mutterkatze, die sich mit ihren fünf Kitten in einem Hinterhof versteckt hatte. Zwei davon waren krank, brauchten tierärztliche Hilfe. Ein anderes Mal entdeckte sie ein fünf Monate altes Main-Coon-Kätzchen, das in einem Keller mit Waschbären gelebt hat. Damitz nahm das Tier mit zu sich nach Hause.

Katzenelend gibt es reichlich in Berlin. 64 Katzen haben Tierschützer im vergangenen Jahr aus einer Wohnung in Kreuzberg befreit. Ein Fall von Animal Hoarding – fehlgeleiteter Tierliebe –, die dazu führt, dass Menschen unzählig viele Katzen in ihrer Wohnung halten. Hinzu kommen die vielen verwilderten Katzen. Sie leben in Gewerbegebieten, Hinterhöfen, Schrebergärten, auf Friedhöfen, in Parks von Altersheimen und Kliniken. Und sie leben gefährlich.

Die Nachfolgerin: Andrea Damitz (rechts) tritt in die Fußstapfen von Gudrun Kreft. Sie rettet wild lebende Katzen - und hofft darauf, dass Berlin endlich eine Katzenverordnung auf den Weg bringt.
Die Nachfolgerin: Andrea Damitz (rechts) tritt in die Fußstapfen von Gudrun Kreft. Sie rettet wild lebende Katzen - und hofft darauf, dass Berlin endlich eine Katzenverordnung auf den Weg bringt.

© Doris Spiekermann-Klaas TSP

Drei Kitten wurden in letzter Minute vor der Müllpresse gerettet, weil sie sich in einem Schrottauto versteckt hatten. Etliche Tiere wurden schon vor Fressnapf-Filialen in Berlin ausgesetzt. Katzen werden in Wohnungen zurückgelassen, wenn die Halter ausziehen. Unseriöse Züchter setzen Rassetiere vor die Tür, wenn diese nicht perfekt sind. Kleingartenbesitzer, die den Datschenfrühling mit einer Babykatze beginnen, lassen ihre Schrebergartenkatze zurück, wenn die Saison vorbei ist. Oft scheuen Katzenhalter auch einfach die Kosten für eine Kastration oder Sterilisation und verbannen ihre geschlechtsreifen Tiere aus der Wohnung. Aus den Augen, aus dem Sinn.

Gerettet: Die beiden Kitten waren krank, die Mutter hatte sich mit ihnen im Hinterhof versteckt. Das war der erste Einsatz von Andrea Damitz.
Gerettet: Die beiden Kitten waren krank, die Mutter hatte sich mit ihnen im Hinterhof versteckt. Das war der erste Einsatz von Andrea Damitz.

© Andrea Damitz

Noch vor zehn Jahren haben zwischen 17 000 und 35 000 Katzen auf Berlins Straßen gelebt, sagt Ursula Bauer, die Berlin-Chefin der Hilfsorganisation Aktion Tier. Der Berliner Tierschutzverein geht davon aus, dass heute noch mehr als 10 000 Tiere herrenlos durch Berlin streifen. Genau weiß man das aber nicht. Der Einsatz der ehrenamtlichen Helfer, die Katzen einfangen und kastrieren lassen, hat das Elend verringert. Jede Kastration verhindert, dass sich die Zahl der wild lebenden Tiere vergrößert.

Die Arbeit der Helfer wäre aber deutlich leichter, wenn es in Berlin eine Katzenschutzverordnung gäbe.

[Herrenlose, hilfebedürftige Haustiere kann man den Tierschutzberatern im Tierheim melden: 030/76888-135 oder per Mail an tierschutzberater@tierschutz-berlin.de. Wer ein Fundtier abgeben möchte, ist ebenfalls im Tierheim richtig. Dort ist die amtliche Tiersammelstelle untergebracht. Sind Tiere gechippt und registriert, informiert das Tierheim die Besitzer. Ansonsten bleiben entlaufene Tiere fünf Tage in der Sammelstelle und gehen dann in die Vermittlung. Allerdings können die rechtmäßigen Eigentümer sie noch innerhalb von sechs Monaten zurückholen. Die Fundstelle erreichen Sie telefonisch unter: 030/76888-200/-201. Montags und freitags werden neue Fundtiere auch bei Facebook gezeigt.]

Diese würde etwa vorschreiben, dass Hauskatzen, die Freigänger sind, kastriert sein müssen. Doch obwohl seit Jahren diskutiert wird, ist bis heute nicht viel passiert. Die Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz erklärt das so: Damit die Verordnung vor Gericht Bestand haben könne, müsse man nachweisen, dass in solchen Schutzzonen viele herrenlose Katzen lebten und dass zumindest ein Teil dieser Tiere an Krankheiten leide. „Diese Analyse ist noch nicht vollständig abgeschlossen“, sagt ein Sprecher. Bürger sollten daher herrenlose Tiere der Tierschutzbeauftragten melden.

Tierschützerinnen wie Gudrun Kreft, Andrea Damitz und Ursula Bauer können nicht verstehen, warum in Berlin so wenig passiert. „380 deutsche Kommunen haben eine solche Verordnung geschafft, warum Berlin nicht?“, ärgert sich Bauer.

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