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Winke, winke. Im Februar 2017 zogen diese Tänzerinnen über den Ku'damm, 2018 fällt der Karnevalszug aus.

© p-a/dpa/Jörg Carstensen

Karneval in Berlin: Auf die Straße, ihr Narren!

Und wieder ist Rosenmontag. Doch Karneval finden alle furchtbar in Berlin. Dabei kann die Stadt Selbstironie und spontane Anarchie gebrauchen – und ein wahres Volksfest.

Das Berliner Prinzenpaar hat seine Hofburg in diesem Jahr in jenem Hostel eingerichtet, mit dem Nordkorea jahrelang illegal Devisen erwirtschaftet hat. Mich hat das sofort begeistert. Die Hofburg ist eine herrlich alberne Institution. Zwei bis drei Menschen ziehen Fantasieuniformen an, nennen sich Prinz und Prinzessin oder Ähnliches, wohnen ein paar Wochen in einem schnöden Hotel und tun so, als seien sie wahnsinnig wichtig. Diesen Pseudo-Hof in der Dependance eines Diktators abzuhalten, der selber gerne Fantasieuniformen trägt, ist genial.

Besser kann man Karneval nicht machen, dachte ich. „Das macht diese Karnevalisten mal wieder noch unsympathischer“, sagte mein Kollege. Merke: Kaum etwas in dieser Stadt ist so bedrückend eintönig wie die allseits geteilte Ablehnung des Karnevals.

Die TV-Sitzungen haben mit dem wahren Karneval nichts zu tun

Wer wie ich aus dem jecken Kölle nach Berlin gekommen ist, gewinnt mit den Jahren Routine darin, die Einwürfe und Vorurteile abzuwehren. Der Vorwurf: „Ist es nicht seltsam spießig, auf Termin ausgelassen zu sein?“ Meine Antwort: Karneval ist nicht die Ausnahme, sondern der Kulminationspunkt des kölschen Lebensgefühls. „Was sollen diese seltsamen Kostüme?“ Wenn man es richtig macht und nicht als Pilot und Biene Maja geht, sind die Kostüme ein Spiel mit Rollen und Identitäten. Im fetischaffinen Berlin müsste man das eigentlich verstehen. „Und wie schrecklich sind bitte diese Sitzungen?“ Die haben mit dem wahren Karneval nichts zu tun. Sie sind völlig zahm und erstarrt und bloß das, was das Fernsehen dem Rest Deutschlands als Karneval verkauft. Der echte Fastelovend ist spontane Anarchie und findet mit Freunden und Wildfremden auf der Straße und in Kneipen statt.

Wie wäre es, wenn die Berliner das mit dem Karneval einfach mal selber probieren würden? Diese Stadt ist doch sonst gut darin, fremde Bräuche aufzunehmen. Fête de la Musique und Dîner en blanc haben wir aus Paris abgeguckt. Und den Notting Hill Carnival fanden die Berliner so spannend, dass sie ihren eigenen Sommerkarneval gestartet haben. Selbst Halloween wird in Berlin immer beliebter. Nur wenn ein Fest nicht aus der großen weiten Welt kommt, sondern aus dem Rest von Deutschland, sind die Hauptstädter zu borniert, um sich damit zu beschäftigen.

Der Karneval könnte ein wahres Volksfest in Berlin werden

Dieses Jahr findet nicht einmal der Umzug am Ku’damm statt. Dabei böte der Karneval für Berlin eine große Chance: Längst sind das Myfest und der Karneval der Kulturen abgeschmackte Publikumsfeste mit Fressmeile. Mit dem echten Karneval könnte man in Berlin ein wahres Volksfest schaffen. Eines, das die Leute selber gestalten können. Das überall in der Stadt stattfindet – in jedem Späti und jeder Kneipe. Eben genauso wie beim Karneval im Rheinland.

Im Karneval könnten die Berliner, anstatt ihre Einzigartigkeit zu betonen, sich endlich auch mal zusammengehörig fühlen. Das Potenzial dazu ist da: Vor ein paar Wochen zahlten 800 Berliner 10 Euro Eintritt, um in der Kulturbrauerei gemeinsam Karnevalslieder zu singen. Die Veranstaltung war in 44 Minuten ausverkauft. Soll also niemand sagen, dass Schunkeln, Singen und Trinken ganz Berlin kaltlässt.

Nordkorea, Scientology, Selbstironie

Und noch etwas könnte der Karneval dieser Stadt geben: Als ich den Berliner Karnevalspräsidenten, einen Rheinländer, der mit dem Regierungsumzug nach Berlin gekommen ist, fragte, ob das mit dem nordkoreanischen Hostel wirklich so eine gute Idee war angesichts von UN-Sanktionen und dem Atombombenprogramm des Landes, legte der eine Kunstpause ein und sagte dann: „Na ja, wir haben vorher schon überlegt, ob wir nicht besser zu Scientology gehen.“ Statt auf andere zu schimpfen, machte der Präsident sich lieber über sich selbst lustig. Berlin braucht diese Selbstironie.

Deshalb liebe Berliner: Guckt euch das mit dem Karneval doch noch einmal an, gebt der Sache eine Chance. Ihr müsst auch gar nicht nach Köln fahren, bevor ihr es zu Hause versucht. Es gibt genug Faschingspartys in den Schultheisskneipen dieser Stadt. Wir Hauptstadtrheinländer geben euch gerne ein bisschen Nachhilfe.

Caspar Schwietering

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