zum Hauptinhalt
Die Fledermaus ist in diesem Jahr das Motto-Tier des Umzugs durch Kreuzberg. Wie hier zu sehen beim "Kinderkarneval der Kulturen".

© dpa

Karneval der Kulturen in Berlin: Ein Fest, das von wirklicher Toleranz weit entfernt ist

Sie sind bunt und fröhlich, tanzend und verkleidet: Der Karneval der Kulturen feiert eine Monomultikultur. Statt Gegensätzen begegnen sich gleichgesinnt Verschiedene. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Malte Lehming

Der Karneval der Kulturen ist, in einem gewissen Sinne, das Gegenteil eines Karnevals der Kulturen. Wenn mehr als eine Million Menschen vier Tage lang durch Kreuzberg ziehen, allesamt bunt und fröhlich, tanzend und verkleidet, wenn sie zusammen „ein Zeichen der Besinnung setzen auf das Gute, das Zusammenleben von Menschen aller Kulturen“, wenn sie eine Öffentlichkeit gestalten „für Heterogenität, hybride Identitäten und Pluralität“, wie es die Veranstalter ausdrücken, dann ist das eher eine Monomultikultur als eine wirkliche Parade der Vielfalt.

Toleranz tut nämlich weh. Sie verlangt, Fremdes auszuhalten, aber vor allem das als fremd Empfundene. Der Begriff stammt von dem lateinischen Wort „tolerare“ und meint das Erdulden und Ertragen von Andersartigkeit. Tolerant kann eigentlich nur sein, wer ein Problem hat mit dem, was andere tun oder propagieren.

Das zum Beispiel ist tolerant: Thilo Sarrazins Thesen ablehnen – und sich trotzdem mit ihnen auseinandersetzen. Den Islam als rückständig kritisieren – und Muslimen trotzdem das Recht auf freie Religionsausübung gewähren, inklusive Minarettbauten und Muezzinrufen. Holocaustleugnung widerlich finden – und sie trotzdem nicht verbieten. Für das Recht auf körperliche Unversehrtheit eintreten – und bei religiös begründeten Beschneidungen von Jungen eine Ausnahme machen. Frauenfeindlichkeit und Homophobie verdammen – und der Katholischen Kirche trotzdem nicht das Recht auf Verbreitung ihrer Lehre bestreiten. Die Weigerung einiger muslimischer Männer, Frauen zur Begrüßung die Hand zu geben, nicht als eindeutigen Beweis ihrer Integrationsunfähigkeit werten.

Sollen wir uns absichtlich entzweien, uns "entsöhnen", nur um dann tolerant im eigentlichen Sinne sein zu können. Der Akzeptanz also entsagen, um der Toleranz huldigen zu können? Unsinn!

schreibt NutzerIn mogberlin

In Kreuzberg prallt nichts Unversöhnliches aufeinander

Von solcher Art Toleranz ist der Karneval der Kulturen weit entfernt. Denn in Kreuzberg prallt nichts Unversöhnliches aufeinander. Daraus ist der Parade kein Vorwurf zu machen. Jeder darf mitmachen, keiner wird ausgeschlossen. Doch gewarnt sei vor der Illusion, ein friedliches Fest gleichgesinnter Verschiedener belege an sich schon, wie einfach die Überwindung von Gegensätzen sei. Die nämlich erfordert sehr viel mehr.

„Keine Toleranz der Intoleranz!“ schallt es denjenigen oft kämpferisch entgegen, die das Konzept der Toleranz weit auslegen. Und in der Tat: Über die Todesstrafe, den Antisemitismus, das Frauenwahlrecht oder das Folterverbot etwa möchte man mit niemandem einen manierlichen Diskurs führen, weil ein solcher automatisch impliziert, dass sowohl These als auch Gegenthese eine gewisse Berechtigung enthalten. Wo aber liegt die Grenze? Was muss toleriert, was darf nicht toleriert werden?

Die Pi-mal-Daumen-Regel könnte heißen: Bloße Meinungen gehören geduldet, Delikte dagegen – also Meinungen und Taten, mit denen der Handelnde gegen bestehende Gesetze verstößt – gehören verurteilt und bestraft. Das schließt Grauzonen nicht aus. Das Schmähgedicht von Jan Böhmermann etwa liegt in einer solchen. Es dürfte einige Besucher des Karnevals der Kulturen geben, die dieses Gedicht zwar vehement verteidigen, aber es um Gottes Willen niemals öffentlich in Kreuzberg vortragen würden, direkt neben einer türkischen Bauchtanztruppe.

Zur Startseite