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Ruhe bitte. Es muss nicht immer Karfreitag sein. Im Raum der Stille am Brandenburger Tor kann man jederzeit eine Auszeit von der Betriebsamkeit der Hauptstadt nehmen.

© Kai-Uwe Heinrich

Karfreitag zwischen Tanzen und Stille: Besinnlichkeit auf Berliner Art

Jedes Jahr die selbe Frage: Sind stille Feiertage wie der Karfreitag noch zeitgemäß? Juso-Chef Kevin Kühnert hat diesmal die Debatte eröffnet.

Sie kommt so sicher wie die Zeitumstellung im Frühling und das Osterfest: Die Diskussion über das Tanzverbot am Karfreitag. Keine Wochenmärkte, keine Sportveranstaltungen, und überhaupt: leichte Unterhaltungsveranstaltungen, wenn überhaupt, allenfalls privat und ganz leise. Und wie jedes Jahr wird vor allem über eine Frage vor allem in den sozialen Netzwerken heftig diskutiert: Ist diese Verbotskultur noch zeitgemäß? Diesmal machte Kevin Kühnert, der Bundesvorsitzende der Jusos, den Anfang. „Ich würde selbstverständlich keine Party in einer Kirche anmelden. Ich finde aber, wer an dem Tag in die Disco gehen will, sollte das auch tun können“, sagte Kühnert im Interview mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Im Netz war damit der Auftakt zum alljährlichen Schlagabtausch getan.

Dabei war Kühnert der stille Gedenktag durchaus kein Herzensanliegen. Er habe selbst gar keinen Anlass gesehen, das Thema anzureißen. Doch löste er so viele Kommentar aus, dass er sich am Donnerstagmittag veranlasst sah, sich erneut auf Twitter zu Wort zu melden: „Vielen Dank für die ungefragte Zusendung zahlreicher Bibelverse und evangelikaler Videos. Ich bin aber nicht aufgrund mangelnder Bibelfestigkeit gegen das #Tanzverbot, sondern weil ich #Laizismus für eine sinnvolle Sache halte. Sorry!“

Widerspruch erhält Juso-Chef Kühnert aus christlicheren Gegenden Deutschlands. Der Frankfurter Oberbürgermeister Uwe Becker etwa sprach sich explizit für die Karfreitagsruhe aus: „Auch wer selbst nicht einer Religion angehört, sollte gegenüber den Gefühlen anderer Respekt aufbringen“, sagte er gegenüber der Rheinischen Post.

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Die Feiertagsruhe am Karfreitag mag in Berlin - wie sonstiges Ordnungsrecht auch - vergleichsweise zurückhaltend durchgesetzt werden. Das mag auch daran liegen, dass die organisierte Christenheit hier seit langem auf dem Rückzug ist. Der stille christliche Feiertag zum Gedenken an die Kreuzigung Jesu Christi ist aber einer der höchsten Feiertage der katholischen und evangelischen Kirche, ein Tag der Trauer, der von Verzicht und Stille geprägt sein soll. So ist es etwa auch nicht gestattet, Fleisch zu essen. Das Verbot für Tanzveranstaltungen beginnt übrigens offiziell schon in der Nacht zu Freitag ab vier Uhr früh.

"Dunkeltanz"-Party in Kreuzberg

Der Berliner Club-Betreiber Norbert Jackschenties sieht das ähnlich wie Kevin Kühnert. Der Besitzer des „Privatclub“ in Kreuzberg ist pragmatisch: „Natürlich sollte es jedem selbst überlassen sein, wie und ob er an Karfreitag tanzen möchte – die Kirche darf ja auch ihre Feste feiern, wann sie will! Gleiches Recht für alle.“ Immerhin: Der Privatclub zollt dem kirchlichen Kalender auf seine Weise Respekt: Im Club findet in der Nacht vom Karfreitag auf den Karsamstag nach Auslauf des Tanzverbots eine „Dunkeltanz“-Party statt. Zur düsteren Musik von Bands wie The Cure und den Sisters of Mercy wird hier bei Kerzenschein und Patschuliduft getanzt. Das klingt doch sehr andächtig. Eine Veranstaltung für Gothikfreunde und Gruftis – oder auch eine gute Gelegenheit, einmal in sich zu gehen? So zelebrieren die Partygäste den stillen Tag hier doch auch – nur eben tanzend.

Nils Busch-Petersen, Geschäftsführer des Handelsverbands Berlin-Brandenburg e.V., befürwortet den Karfreitag als stillen Feiertag. Anders als etwa geschlossene Geschäfte am Sonntag, deren Berechtigung in Berlin auch gerade mit Blick auf die Spätkäufe immer wieder in Frage gestellt wird, begrüßt er die Tradition des Karfreitags. „Wir leben zwar in einer säkularen Gesellschaft – die ist aber christlich-jüdisch geprägt ist. Es ist deshalb ein Zeichen des Respekts, diesen für Christen sehr wichtigen Feiertag zu beachten.“ Gemeinsam mit seiner Frau plane er, am Karfreitag den Gottesdienst und anschließende Passionsspiele zu besuchen.

Auch jenseits der Religiosität gibt es ein Bedürfnis nach Stille

Muss man den stillen Tag denn unbedingt als religiöse Vorgabe verstehen, die einem Restriktionen auferlegt? Viktoria de Fallois, Mitarbeiterin der Berliner Stadtmission, sieht das nicht so. „Gerade, seit ich in Berlin lebe, fällt mir dieses ständige konsumgesteuerte Verhalten auf. Alles ist immer und überall verfügbar, alle stehen ständig unter Strom. Meiner Meinung nach ist es durchaus angebracht, das mal zu durchbrechen – und sei es nur für den einen Tag!“ Den stillen Feiertag begrüßt sie daher. Die Stimmen dagegen, so ihre Einschätzung, seien vermutlich deshalb so laut, weil der Feiertag religiösen Ursprungs ist. Dabei sei er auch jenseits von Religiosität interessant. „Dieser Dauerbeschallung der Konsumgesellschaft mal für einen Tag zu entgehen tut nicht nur Christen gut.“ Dass der Tag jedes Jahr so kontrovers diskutiert werde, sei aber nicht schlecht. „Es ist wichtig, den Diskurs anzuregen.“

Genau das passiert jedes Jahr erneut. Die Berlinerinnen und Berliner, sagt Club-Betreiber Jackschenties, hätten in der Hinsicht aber eh ihren eigenen Kopf: „Seit ich im Veranstaltungsgeschäft arbeite – und das sind inzwischen mehr als 20 Jahre – interessiert sich dafür in Berlin niemand. Hier wird seit eh und je am Karfreitag getanzt!“ Vielleicht ist das einfach Besinnlichkeit auf Berliner Art.

Rabea Westarp

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