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Blick über die Schulter des Kardiologen in den Hybrid-Operationssaal des Herzzentrums Brandenburg in Bernau. Foto: Edgar Zippel / Immanuel Diakonie

© Edgar Zippel / Immanuel Diakonie

Kardiologe im Interview: "Eine schonende Alternative zur offenen Herzoperation"

Der Kardiologe Christian Butter über Chancen und Risiken der Implantation einer künstlichen Herzklappe mit dem Herzkatheter.

Im Livestream auf tagesspiegel.de aus dem Herzzentrum Brandenburg am 11. November 2017 wird zu sehen sein, wie Ihre Kollegen eine künstliche Herzklappe per Katheter einsetzten. Welche Vorteile hat dieses Tavi genannte Verfahren?

Noch vor 15 Jahren gab es für Chirurgen keinen anderen Weg, als den Brustkorb zu öffnen, um eine künstliche Herzklappe zu implantieren. Doch gerade für alte oder an weiteren Erkrankungen leidende Menschen konnte so ein Eingriff und die damit verbundenen Strapazen – das Durchtrennen des Brustbeins, die Eröffnung des Herzbeutels, die Vollnarkose, der Aufenthalt auf der Intensivstation – zu viel sein. Sie konnten nicht operiert werden oder nur unter großem Risiko. Die kathetergestützte Aortenklappenimplantation ist eine schonende Alternative zur offenen Herzklappen-Operation. Dabei wird die künstliche Herzklappe über die Leistenvene bis zum Herzen geschoben und dort entfaltet. Große Schnitte sind nicht mehr nötig.

Katheter sind im Durchmesser nur wenige Millimeter groß, künstliche Herzklappen hingegen können einen Durchmesser bis zu knapp drei Zentimeter haben. Wie ist es möglich, eine so große Prothese durch die enge Blutgefäße zum Herzen zu befördern?

Das Geheimnis ist das Material Nitinol, aus dem die künstlichen Herzklappen hergestellt werden. Nitinol ist eine Nickel-Titan-Legierung, die über ein sogenanntes Formgedächtnis verfügt. Wird die Prothese in Eiswasser gelegt, ist sie flexibel und verformbar wie Kaugummi. Bei 37 Grad, also Körpertemperatur, kehrt sie in einen sehr festen Zustand und in die Form zurück, die ihr bei der Herstellung einprogrammiert wurde. Die Kunstherzklappe wird also zum Beginn der OP im Eiswasser gekühlt, in ihrem flexiblen Zustand zusammengefaltet und mit dem Katheter zum Herzen geschoben, wo sie letztlich durch die Körpertemperatur ihre eigentliche Form annimmt.

Und das ist weniger belastend als ein offener Schnitt?

Ja, nun können auch Patienten behandelt werden, die zuvor nicht operiert werden konnten, weil sie einen offenen Eingriff nicht überlebt hätten. Die schonende Tavi hat die Überlebensrate solcher Risikopatienten dramatisch verbessert.

Also ist die Tavi besser als die offene OP?

Nein, sie ist ein ergänzendes Verfahren, das die Behandlung von Hochrisiko-Patienten oder nicht für eine OP geeigneter Patienten ermöglicht. In der Regel sind das Menschen ab dem 75. Lebensjahr. Ein beispielsweise 50-Jähriger, der ansonsten gesund ist, hat keine bedeutenden Vorteile durch das Tavi-Verfahren. Er kann mit einer offenen Operation gut und mit geringem Risiko behandelt werden.

Und ein kathetergestützter Herzklappeneinsatz ist auch nicht ganz risikolos?

Ja, natürlich sind auch bei der Tavi Komplikationen möglich. Allerdings hat sich die Technik in den letzten Jahren stark verbessert. Beispielsweise werden nur noch sehr selten Schlaganfälle verursacht, weil Ablagerungen aus der kranken Herzklappe gelöst und ins Hirn gespült werden. Auch bedrohliche Gefäßverletzungen durch den Katheter kommen nur noch selten vor. Die Komplikationsrate liegt bei 1,2 Prozent, das heißt bei etwas mehr als einem von hundert Patienten. Das ist gemessen an der Komplexität des Eingriffs wirklich wenig. Trotzdem sollte man für den Ernstfall gewappnet sein. Um dem Wildwuchs Einhalt zu gebieten, gibt es Qualitätskriterien, die jede Klinik, die eine Tavi durchführt, erfüllen muss: Noch vor dem Eingriff muss ein interdisziplinäres „Heart-Team“ aus Kardiologen, Herzchirurgen und Kardioanästhesisten entscheiden, ob der Patient offen oder minimalinvasiv operiert wird. Bei einem Kathetereingriff muss das gesamte Team anwesend sein. Demnach können nur Krankenhäuser den Eingriff anbieten, die über eine kardiologische und eine herzchirurgische Fachabteilung verfügen. Denn falls es bei einem kathetergestütztem Eingriff zu Komplikationen kommt, muss mitunter zu einer offenen Operation gewechselt werden. Ohne Herzchirurgie im eigenen Haus ist das aber nicht möglich.

Christian Butter
leitet als Chefarzt seit 2004 die Kardiologie am Herzzentrum Brandenburg in Bernau. Er wird auch den Livestream kommentieren.

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