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Michael Mellahn, Chef der legendären Kantine des Berliner Ensembles in Berlin-Mitte.

© Thilo Rückeis

Kantine des Berliner Ensembles: Es ist angerichtet

Michael Mellahn hat 17 Jahre lang die Kantine des Berliner Ensembles bekocht und bewirtet. Jetzt ist Schluss.

Über dem Eingang zur Volksbühne leuchtet ein Transparent mit riesenroten Lettern: Wir werden ewig leben! Diese Zeile aus der Hymne des 1. FC Union ist ein optimistisches Versprechen. Am Eingang zum Berliner Ensemble sagen zwei Worte, was auch hier die Stunde geschlagen hat: „It’s finished“ aus Samuel Becketts „Endspiel“. Zu den Endspielen zweier gewichtiger Intendanten und ihrer Theater ist viel gesagt und geschrieben worden. Aber was ist mit den anderen? In den unteren Etagen? Hatte der König, um mit Brecht zu fragen, nicht wenigstens einen Koch bei sich? Ja, hatte er. Der heißt Michael Mellahn und ist der Chef der vielgepriesenen Kantine des Berliner Ensembles.

Der Besucher geht am Bühnenpförtner vorbei geradeaus und ein paar Treppen nach unten – über uns sind jetzt die Bretter, die die Welt bedeuten, rechts fließt es aus dem Bierhahn, in der Mitte steht Micha, der Wirt, und denkt laut darüber nach, wie es nun mit ihm weiter geht, ohne Zapfstelle. Ihm wurde gekündigt, seine Bewerbung einer Ausschreibung nicht berücksichtigt. Nun zeigt die Kantine deutliche Auflösungserscheinungen. Bis kommenden Donnerstag werden die Stühle verkauft. Großformatige Szenenfotos, 30 Euro, lehnen an den Wänden und verdecken den traurigen Kahlschlag, wie er hier spürbar ist.

Da sind sie noch einmal, die Mimen in Puder und Schminke, die hier saßen, Buletten und Schnitzel aßen und das alles mit Wein und Bier herunterspülten. Theaterkantinen sind das Herz, hier fließen die Blutströme durch die Adern und manchmal auch Tränen, jeden Abend wird das Getuschel und Getratsche befeuert. Das Schöne war: Der Besucher konnte hier auch mittags, zur Pause oder am Ende der Vorstellung einkehren: Ehrliche Preise, kein Schnickschnack, Selbstbedienung. Man konnte die BE-Stars betrachten, Frau Antoni um ein Autogramm bitten oder einfach nur Schweinemedaillons essen.

Bei Biermann blieb Merkel länger

Mellahn hatte zusammen mit dem damals neuen Intendanten Anfang Januar 2000 die Kantine übernommen, „da saß ich hier in der Ecke mit Claus Peymann und mit meiner Tochter als Baby im Tragetuch“, sagt der gelernte Koch. „Heute ist sie 18 Jahre alt“. Das Gastro-Leben war immer eine Herausforderung, „jeden Tag ein anderes Stück, unzählige Premierenfeiern, aber auch das Catering für Geburtstage und Mimen-Jubiläen. Wir haben fünf Mal Frau Merkel gecatert, sie kann privat sehr entspannt sein und hat bei Wolf Biermanns 80. Geburtstag ziemlich lange durchgehalten. Brandauers Party hatte es auch in sich, Udo Lindenberg ist ein lustiger Typ.

Und nun? „Am 19. Juli gibt es die letzte Kassenaktion“, sagt der Chef, „da können alle Fans noch mal kommen“. Aber dann ist für ihn Schluss. Mellahn und seine eingespielte Crew sind traurig. Haben die neuen Leute um den Intendanten Oliver Reese überhaupt mal mit ihm über seinen Job gesprochen? Nein. „Der große Mann läuft an uns vorbei“. Die neuen Leute, so wird vermutet, „schleichen hier schon rum, aber halten sich bedeckt“.

Gerüchte besagen, dass alles erneuert wird und die Gastroleute der Komischen Oper die Kantine übernehmen. Wird sie dann noch eine Kantine sein? Wird der alte Geist, dieser lässige, fast kumpelhafte Umgang miteinander, in Bertolt Brechts Kellerkantine bleiben? Es könnte ein Schicki-Micki-Laden werden, befürchtet Mellahn. Dann würde er nie mehr wiederkommen. „Vielleicht ist unser Verschwinden ein Symptom für den Umbruch in dieser Stadt“. Nach dem Feuerwerk am Schluss der grandiosen Abschiedsvorstellung Anfang Juli kam für Mellahn und seine Crew die letzte große Bewährung. Das Feiern unter Tränen ging bis zum frühen Morgen. Dann kam das Lob für alle. Peymann: „Ihr Einsatz, Ihre Professionalität, Ihre Leidenschaft und Fantasie – nicht zu vergessen Ihre Eigenständigkeit, Improvisationskunst haben diesen letzten, gemeinsamen, unwiederbringlichen Theatertraum möglich gemacht“. Diese Nacht würde allen lebenslang im Gedächtnis bleiben, sagt der Prinzipal, „und den Glauben an die Wunder des Theaters lebendig halten“. Er beschließt seine Hymne ans Theatervolk an der Spree mit der Gewissheit: „Es lebe unser BE!“.

Ja, auch ihr werdet ewig leben. Und niemand hat die Absicht, einen Bierhahn zuzudrehen.

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