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Pfingst-Verkehr. Zahlreiche Reisende warten am Hauptbahnhof auf ihren Zug Richtung Köln.

© dpa

Kann Berlin mehr Zug vertragen?: „Der Hauptbahnhof kommt mittelfristig ans Limit“

30-Minuten-Takt und mehr Passagiere: Die neue Strategie der Bahn setzt auf massiven Zuwachs. Ein Experte vermisst jedoch Bekenntnisse der Bundesregierung.

Die Bahn hat eine neue Strategie präsentiert, mit der sie am Ende doppelt so viele Passagiere im Fernverkehr befördern will wie heute. Was sagen Bahnkunden dazu? Wir sprachen darüber mit Jens Wieseke, dem Sprecher des Berliner Fahrgastverbandes Igeb.

Bahnchef Richard Lutz nennt sein Programm ja „Starke Schiene“. Was finden Sie daran stark?

Vor allem, dass erkannt wurde, dass die Verkehrswende nur mit der Eisenbahn möglich ist und die Strategie seines Vorvorgängers Mehdorn in eine Sackgasse führte. Das Ergebnis ist eine Eisenbahn am Limit. Eine stärker angebotsorientierte Bahn ist hoffentlich das Ziel, also eine Eisenbahn für alle.

Und was ist schwach?

Das Ganze muss auch umfassend durch den Bund unterstützt und zu großen Teilen mitfinanziert werden. Aussagen dazu fehlen mir vom Finanz- und Verkehrsminister.

Hauptproblem der Bahn ist ja die Pünktlichkeit. Wann sind Sie das letzte Mal pünktlich angekommen?

Ich bin häufiger zwischen Berlin und Frankfurt am Main unterwegs. Eigentlich bin ich sehr zufrieden mit dem Angebot, Verspätungen im größeren Stil sind die Ausnahmen. Ich möchte aber kein Berufspendler sein, der täglich eine größere Distanz bewältigen muss. Da ist schon der Regionalverkehr eine Herausforderung.

Großstädte sollen spätestens 2030 im 30-Minuten-Takt miteinander vernetzt werden, Berlin als erstes mit Hamburg. Welche weiteren Verbindungen halten Sie für wichtig?

Berlin ist ein zentraler Punkt in allen Planungen, da mache ich mir bis auf Ausnahmen wenig Sorgen. Nicht vergessen darf man aber den täglichen Pendelverkehr zwischen Berlin und Wolfsburg/Hannover. Der wird immer irgendwie ignoriert und ist angeblich nicht vorhanden. Dabei sind die Züge gerade in den Morgen- und Nachmittagsstunden immer überfüllt.

Wird der Halbstundentakt klappen?

Probleme bekommen wir auf der Strecke nach Hamburg. Ohne einen Ausbau wird es zu Problemen mit dem Regionalexpress und dem Güterverkehr kommen. Auch die Strecke Berlin – Jüterbog – Wittenberg ist bei einer Verdichtung des Fernverkehrs, welche eigentlich erforderlich ist, für den Regionalverkehr kaum noch nutzbar. Das wird spannend. Wir müssen aber auch weiterschauen. Wichtig sind nicht nur die großen, insbesondere westdeutschen Ballungsräume. Vielmehr gehört zum Beispiel auch die Lausitz dazu, wo zum Strukturwandel wegen des Kohleausstiegs ein gutes Bahnangebot nach Cottbus nötig ist, und zwar aus Richtung Berlin und Leipzig.

Haben Berlins Hauptbahnhof und die anderen Stationen genug Platz, um mehr Fahrgäste und Züge abzufertigen?

Es mag viele überraschen, aber mittelfristig kommt der Hauptbahnhof ans Limit. Auf der Stadtbahn, also oben, hat er seine Kapazitätsgrenze bereits erreicht. Allerdings verfügt der Schienenknoten Berlin über eine Reihe ICE-tauglicher Bahnhöfe, was durchaus komfortabel ist. So wird sicher Gesundbrunnen noch wesentlich stärker genutzt werden müssen. Aber auch die beiden Fern- und S-Bahnhöfe in Schönefeld – am BER und am jetzigen Standort – mit ihrer guten regionalen Vernetzung müssen stärker genutzt werden. Ferner kann der Potsdamer Hauptbahnhof mit einem guten Fernverkehrsangebot Berlin entlasten und Wege verkürzen. Auch Lichtenberg wäre stärker nutzbar.

Kann das Berliner Schienennetz überhaupt noch mehr Züge aufnehmen?

Historisch bedingt sind da noch große Ausbaumöglichkeiten wie zum Beispiel im Fall der Ferngleise neben der Ringbahn, die vollständig elektrifiziert werden müssen und wo man am Südkreuz einen neuen Regionalbahnhof bauen kann. Aber auch die Stammbahn vom Berliner Zentrum über Steglitz und Zehlendorf nach Potsdam muss für den Fern- und Regionalverkehr endlich wiederaufgebaut werden.

Weitere Vorschläge?

Wichtig sind auch solche Projekte wie die Verlängerung der S-Bahn nach Falkensee und gegebenenfalls nach Nauen. Denn hier muss die ,große Eisenbahn‘ vom Vorort-Verkehr entflochten werden. Dabei muss alles gleichzeitig betrachtet und gebaut werden: Fern-, Regional- und S-Bahn. Glücklicherweise haben Berlin und Brandenburg gemeinsam mit der Deutschen Bahn AG das Projekt i2030 für den regionalen Schienenverkehr auf den Weg gebracht.

Glauben Sie an eine Renaissance des Bahnhofs Zoo als Fernbahnhof?

Der Bahnhof Zoo ist ein wichtiger Bahnhof im Regionalverkehr. Er kann aber auch wieder eine wichtige Rolle zur Entlastung des Hauptbahnhofs spielen, wenn dort bereits viele Fahrgäste ein- und aussteigen. Das gilt insbesondere für die Verbindungen aus dem Rheinland.

Das Interview führte Björn Seeling

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