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Grablichter für ein Kino: Das alteingesessene Kino Colosseum in Prenzlauer Berg soll geschlossen werden.

© imago images/Sabine Gudath

Update

Kampf ums Colosseum: Kann das Personal das Berliner Traditionskino noch retten?

Mitarbeiter erwägen, das Kino als Genossenschaft oder kommunal weiterzuführen. Sie machen Arbeitgeber und Insolvenzverwalter Vorwürfe – und ernten Widerspruch.

Im Streit um ihre Arbeitsplätze geben die Mitarbeiter des Kinos Colosseum nicht auf. Sie wollen das Traditionskino an der Schönhauser Allee in Prenzlauer Berg auf jeden Fall erhalten und überlegen nun, eine Genossenschaft zu gründen oder das Colosseum als kommunales Kino weiterzuführen. Nun behauptete ihr Anwalt Martin Bechert, dass sie Informationen, die sie für die Planung benötigten, noch immer nicht erhalten hätten. Die Belegschaft und ihr Anwalt erheben zum Teil schwere Vorwürfe – die vom Insolvenzverwalter allerdings entschieden zurückgewiesen werden.

Mit dem Hinweis "Eilt! Bitte sofort vorlegen!" verlangte Bechert am Dienstag, der die ursprünglich etwa 40-köpfige Belegschaft vertritt, in einem offenen Brief, dass das Amtsgericht Charlottenburg einen anderen Insolvenzverwalter für den Fall einsetzen möge. Bisher ist das – vorläufig – Sebastian Laboga von der Kanzlei Pluta, der nun auch endgültiger Insolvenzverwalter werden könnte.

Dem Schreiben zufolge kommunizieren weder der Arbeitgeber noch Laboga ordnungsgemäß mit dem Betriebsrat des Colosseum. Arbeitnehmer und Betriebsrat glauben, dass die sich sogar strafbar gemacht haben könnten, weil sie Informationen zurückgehalten hätten.

So habe der Insolvenzverwalter schon am 3. Juni einen Interessenausgleich bei Schließung des Betriebs vorgeschlagen und am 20. Juni offiziell die Schließung erklärt. Damit habe er eine Entscheidung verkündet, die zu der Zeit wegen der Verhandlungen mit dem Betriebsrat noch nicht endgültig getroffen worden sei.

Vorwurf der Belegschaft: Insolvenzverwalter will Zeit schinden

Die Mitarbeiter brauchen für ihr Alternativkonzept auch Einblick in die laufenden Betriebskosten. Geschäftsführer der Betriebsgesellschaft vom Colosseum ist Sammy Brauner. Er ist auch Mitglied der Erbengemeinschaft der Berliner Film- und Produzentenlegende Artur "Atze" Brauner, der mit der Wiederöffnung des Colosseum als Multiplex-Kino eine Erfolgsgeschichte geschrieben hat und am 7. Juli 2019 starb.

Geschichte: Das Kino Colosseum soll nicht wieder eröffnen.
Geschichte: Das Kino Colosseum soll nicht wieder eröffnen.

© Robert Klages

Sammy Brauner habe sich laut dem Schreiben des Mitarbeiteranwalts zwar offen gezeigt – "Ich habe nichts zu verbergen" –, die nötigen Informationen vom Insolvenzverwalter habe der Betriebsrat aber bislang nicht erhalten. Nun wirft die Belegschaft Laboga vor, Zeit zu schinden und damit die Tätigkeit des Betriebsrats zu behindern: "Es macht den Eindruck, der vorläufige Insolvenzverwalter wollte die vollständige Übermittlung der Informationen verhindern."

Insolvenzverwalter: „Sämtliche dieser Behauptungen sind falsch“

Ein Sprecher Labogas wies die Vorwürfe aus dem offenen Brief am Donnerstag vollständig zurück. „Sämtliche dieser Behauptungen sind falsch“, teilte er dem Tagesspiegel mit. „Zudem ist davon auszugehen, dass Rechtsanwalt Bechert diese wahrheitswidrigen Anschuldigungen wider besseres Wissen erhebt.“

Der Insolvenzverwalter sieht sich insbesondere durch die Unterstellung möglichen strafbaren Verhaltens in ein falsches Licht gerückt. „Absolut untragbar“ sei die Behauptung von Rechtsanwalt Bechert in seinem Schreiben an das Amtsgericht Charlottenburg, Laboga habe sich „vielleicht sogar strafbar gemacht“, erklärte der Sprecher. „Diese populistische Aussage ist nicht nur ehrenrührig, sondern grenzt in unseren Augen an eine strafrechtlich relevante Falschverdächtigung.“

Vorläufiger Insolvenzverwalter des Kino Colosseum: der Rechtsanwalt Sebastian Laboga.
Vorläufiger Insolvenzverwalter des Kino Colosseum: der Rechtsanwalt Sebastian Laboga.

© Pluta

Der Anwalt der Belegschaft wisse genau, dass der rechtlich sogenannte „schwache vorläufige Insolvenzverwalter“ nicht Arbeitgeber und folglich auch nicht Unternehmer sei, dies bleibe weiterhin das insolvente Unternehmen. Laboga könne somit „allein schon aus insolvenzrechtlichen Gründen gar keine Verhandlungen mit einem Betriebsrat führen“. Dennoch habe er mehrfach seine Hilfe angeboten. „Mit dem Betriebsrat und Rechtsanwalt Bechert hat der vorläufige Insolvenzverwalter lediglich ein Gespräch führen können“, teilte sein Sprecher mit. „Alle weiteren Gesprächsangebote wurden mit der Begründung abgelehnt, der vorläufige Insolvenzverwalter nehme keine Arbeitgeberstellung ein.“ Bechert habe ihm sogar das Rederecht verweigert.

Falsch sei zudem die Behauptung, Laboga habe dem Betriebsrat den Abschluss eines Interessenausgleiches zur Schließung des Betriebes vorgeschlagen. „Herrn Bechert wurde lediglich im Rahmen eines kollegialen Entgegenkommens der Entwurf eines möglichen Interessenausgleiches zur Verfügung gestellt, auf dessen Grundlage nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens Verhandlungen geführt werden könnten“, sagte Labogas Sprecher dazu. „Dies wurde Herrn Bechert bei Übergabe des Entwurfs explizit mitgeteilt.“

Verdi: Kein anderes Berliner Kino durch Coronakrise insolvent

Im Juni war bekannt geworden, dass die Erbengemeinschaft Insolvenz für das Kino angemeldet hatte. Durch die lange Schließzeit aufgrund der Corona-Maßnahmen habe das Kino  "keinerlei Handlungsspielraum mehr", sagte Sammy Brauner seinerzeit dem Tagesspiegel. Die Beurteilung des Insolvenzverwalters sei eindeutig gewesen.

[Über das Kino Colosseum halten wir Sie auch in unserem Tagesspiegel-Newsletter für den Bezirk Pankow auf dem Laufenden. Die nächste Ausgabe erscheint bereits am Donnerstag, kostenlos und kompakt: leute.tagesspiegel.de.]

Nach Angaben der Gewerkschaft Verdi hat bislang kein anderes Berliner Kino aufgrund der Corona-Maßnahmen Insolvenz anmelden müssen. Auch die Tatsache, dass die Hamburger Immobilienfirma Values Real Estate 2019 beim Bezirk einen Bauvorbescheid für das Gebäude bekommen hat, löste bei Mitarbeitern und Fans des Kinos Kritik aus – der Nutzungsplan sieht einen "Berlin Work Campus" mit Büroflächen vor. Ein erster Architektenentwurf liegt bereits vor.

Demonstration im Kiez mit mehreren hundert Menschen

Anfang Juli gab es darum eine Protestaktion gegen die geplante Schließung mit anschließender Demonstration durch den Kiez, an der etwa 800 bis 1000 Menschen teilnahmen. Die Mitarbeiter sind weiterhin donnerstags vor dem Kino präsent und informieren Passanten und Anwohner über aktuelle Entwicklungen.

Am Mittwoch trafen sich Anwalt Martin Bechert, der Betriebsrat und ein Verdi-Vertreter mit der Betriebsgesellschaft. Sammy Brauner ließ sich durch seine Anwälte vertreten. Bechert wollte sich zu den Ergebnissen der Verhandlungen vorerst nicht äußern. Am Freitag findet wieder eine Betriebsversammlung statt.

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