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Gemüsekisten auf einem Markt.

© Getty Images

Kampf um Logistikzentrum: Die Rebellen vom Großmarkt

Wie viel Staat darfs sein? Berlins größtes Handelszentrum ist im Landesbesitz – eine Händler-Gruppe will das ändern.

So gut wie jeder Fisch und jedes Steak, das auf Berliner Tellern landet, macht hier Station: auf dem Großmarkt an der Beusselstraße. 120000 LKW steuern ihn jährlich an, 580000 Tonnen werden hier jedes Jahr umgeschlagen.

Jetzt gibt es ein Angebot zur Übernahme des Areals, das an einem Tabu rührt. Denn öffentliche Grundstücke zu verkaufen und landeseigene Firmen zu privatisieren schickt sich nicht unter der rot-rot-grünen Regierung. Chic ist das Gegenteil: die Rekommunalisierung.

Aber das mit der „Privatisierung“ ist bei diesem Tauziehen nicht ganz so einfach, denn Geschäftsführer Peter Stäblein hat den Großmarkt in den vergangenen Jahren zu einer hochrentablen privaten Firma entwickelt, wenn auch im Eigentum des Landes. Doch ein Bündnis von Händlern unter Führung des größten Pächters auf dem Großmarkt, der Fruchthof-Genossenschaft, verspricht mehr Investitionen und mehr Effizienz, wenn der Senat das 320000 Quadratmeter große Grundstück mit den 300 Mietern ihnen überlässt. Einen Erbpachtvertrag will Rebellenanführer Dieter Krauß mit dem Senat schließen, eine „Privatisierung light“, könnte man sagen. Ein Übernahmeangebot hat Krauß mittlerweile der Senatsverwaltung offiziell vorgelegt. Wir haben mit den Kontrahenten gesprochen.

Dieter Krauß.
Dieter Krauß.

© Mike Wolff

Die „Kaffeetasse ist mir fast aus der Hand gefallen als ich im Tagesspiegel las, wir würden Putschisten genannt“, sagt Dieter Krauß. Und tatsächlich wirkt der zurückhaltende Mann nicht wie ein Aufrührer. Zum Rebellen wurde er nur, weil andere ihn darum baten: „Fleisch- und Blumenhändler haben uns gefragt, ob wir sie nicht aufnehmen können in unserer Genossenschaft“, sagt er.

Sie seien unzufrieden mit der Verwaltung des Großmarktes und sähen, dass Abläufe beim Fruchthof besser liefen. Der Fruchthof hat die größte Fläche auf dem Areal und diese gepachtet vom Großmarkt: verwaltet autonom Fläche, Halle und Parkplätze und vermietet sie an Händler.

Hinzu kam: Die Markthalle Neun brauchte neue Produktionsflächen für ihre „Manufakturen“ – zum Brauen von Bier, zum Zerlegen von Fleisch und Pressen von Wurst. Und deren Betreiber hatten Krauß angesprochen. Der Rest war Fleißarbeit: Kosten, Pacht und Verteilung der Flächen berechnen, Investitionen vorschlagen, der Businessplan stand: auf 46 Seiten, weiß kartoniert mit „Anlagen zu Finanzen“, die bis zum Jahr 2041 zeigen, dass es sich rechnet – und diese Broschüre ging gleich auch an die Zeitungen, Guerilla-Marketing gleichsam.

Ärger um Hygienestandards

Einer, der unbedingt den Wechsel will, ist Fruchthändler Thomas Franz: „Wir haben hier Hygienestandards von 1965“. Wegen der alten Wasserleitungen liege der Eisengehalt gerade so noch im Grenzbereich, nicht gut für einen Schneidebetrieb, zur Herstellung von verpacktem Obst in Stücken– er habe selbst eine teure Filteranlage einbauen müssen. Franz schimpft auch über die „Einbruchsserie“, die begonnen habe, kurz nachdem die Verwaltung dem Pförtner gekündigt habe – aus Kostengründen vermutet Franz. Er miete beim Großmarkt und mit seinem Obstgroßhandel bei der Fruchthof-Genossenschaft. Weil nur letztere sich „kümmern um die Nöte von uns Händlern“, unterstütze er sie.

Ein paar Hallen weiter: rund 20000 Quadratmeter Platz für Schweinehälften, Rindersteaks, Wurst und Waren. „Jetzt kommen die mit einer Parkraumbewirtschaftung und wollen, dass jeder von uns für sein Auto bezahlt“, beschwert sich ein Fleischer. Seinen Namen will er nicht nennen, aus Angst, dass er „dafür auf Umwegen bestraft wird“, wie es allen gehe, die sich öffentlich für den Betreiberwechsel aussprechen. Das Parkkonzept sieht vor, dass Kunden des Großmarktes dreieinhalb Stunden frei parken dürfen, die Händler nur, wenn sie eine Marke kaufen.

Peter Stäblein sei ein versierter Logistiker, „aber kein Großmarktbetreiber“, sagt Krauß über seinen Gegenspieler. Andere verweisen außerdem auf dessen Vertrag, der das Gehalt an das Betriebsergebnis kopple. Je mehr Gewinn abspringt, desto mehr verdient er - deshalb die Sparmaßnahmen über die Köpfe der Händler hinweg. So etwas gebe es bei der Fruchthof-Genossenschaft nicht - die hielten ihre Mietkosten Jahrzehntelang stabil und wenn Geld nach Bildung von Rücklagen übrig blieb, sogar mal anteilig erstattet. „Es geht uns nicht um Gewinn, sondern um optimale Voraussetzungen für den Handel", sagt Krauß.

Peter Stäblein.
Peter Stäblein.

© Mike Wolff

Nein, das Angebot der Interessengemeinschaft Großmarkt habe er nicht gesehen, sagt der Chef des Großmarktes Peter Stäblein. Er habe vor zwei Jahren eine eigene Strategie zur Entwicklung des Areals seinen Gesellschaftern vorgelegt. Dazu gehört der Bau einer großen neuen Halle für die Fleischer, um das bestehende Gebäude sanieren zu können. Doch dann kam der Baustopp, verhängt von Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne) – bis zur Entscheidung über die Zukunft des Großmarktes.

Stäblein steht in der Kreuzberger Marheineke Halle, die zum Großmarkt gehört. Bei seinem Amtsantritt schrieb sie Verluste. Das musste sich ändern. Er hat eine Müllpresse angeschafft und dem Entsorger gekündigt, den externen Center-Manager durch einen Hallenwart vor Ort ersetzt, und er hat „100 weitere kleine Entscheidungen à 1000 Euro getroffen“, um Händler und Besucher zufriedenzustellen – jetzt rechnet sich die Marheineke-Halle.

Stäblein hat, wie seine Widersacher, Fürsprecher. Zu ihnen zählt der Betreiber des Tabak-Kioskes, der nach der ersten Meldung zum Übernahmeangebot in der Redaktion anrief und warnte: „Das ist doch eine Privatisierung, aber warum muss man ein Modell ändern, das funktioniert“, so Martin Paul.

Er fürchtet, dass der Deal hinter verschlossenen Türen verhandelt wird und er als Mieter in der Halle – wie bei vielen anderen Privatisierungen auch – mit höheren Mieten die Zeche am Ende zahlt.

Dass Mieter vom Großmarkt Stäblein genau das vorwerfen, weil er eine Parkraumbewirtschaftung einführen will, erklärt der Manager so: „Bisher nahm jeder Besitzrechte in Anspruch, die vertraglich gar nicht vereinbart waren“. Einige Händler stellten ein Dutzend Lkws auf dem Gelände ab, so dass kein Platz mehr sei für Kunden. Stattdessen plane er eine „einheitliche Regelung“, wonach Händler eine Parkmarke für 50 Euro im Monat pro Fahrzeug kaufen. Der Fruchthof, die mit dem Übernahme-Angebot, verlangten pro Stellplatz auf ihrem Areal sogar 100 Euro.

Hapert es an der Kommunikation?

Über seine Wettbewerber vom Fruchthof sagt Stäblein: „Es sind meine wichtigsten Mieter und ehrenhafte Kaufleute“. Deren Übernahme-Angebot wundert ihn nicht: „Die wollten schon vor zwei Jahren die GmbH übernehmen, bevor der Senat die enge Kooperation zwischen der Behala und dem Großmarkt beschlossen hat“. Angesprochen auf Klagen über ausstehende Sanierungen, sagt er: „Ich bin zu allererst Kaufmann und muss Investitionen refinanzieren“. Irgendwoher müsse das Geld eben kommen.

Hapert es vielleicht an der Kommunikation? Stäblein dreht die Frage um: Ob denn bekannt sei, wie viele Händler die Übernahme überhaupt unterstützten? Der „Letter of Intent“, den der Fruchthof zur Unterstützung im Großmarkt verbreitet hätte, habe nur eine Handvoll der 300 Einzelmieter unterzeichnet, die meisten anderen seien zufrieden.

Noch einen Grund zur Fortführung des bestehenden Projektes hat Stäblein: die schrittweise Zusammenlegung der Belegschaften – 115 Mitarbeiter von der Behala und 20 am Großmarkt – nicht nur das bringe „Synergien“: Er könnte auch Aufträge an Handwerker auf den benachbarten Flächen gemeinsam vergeben. Das sei kostengünstiger. Und das Land profitiere: mit drei Millionen Euro Rendite im Jahr.

Dieser Artikel erschien auf der wöchentlichen Sonderseite "Berliner Wirtschaft". Folgen Sie uns auf Twitter für tägliche Wirtschafts-Updates aus Berlin: @BRLNRwirtschaft

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