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Kalter Krieg in Berlin: Als die Panzer zum Checkpoint Charlie rollten

Vor 50 Jahren eskalierte der Konflikt zwischen den Alliierten mitten in Berlin - weil der US-Gesandte nicht zur Staatsoper kam.

Touristen umschwirren tagein, tagaus den Checkpoint Charlie, den einst weltbekannten Grenzübergang. Sie können kaum glauben, dass es mitten in der Friedrichstraße zur einzigen direkten militärischen Konfrontation der USA und der Sowjetunion im Kalten Krieg kam. 16 Stunden standen sich die Panzer Ende Oktober 1961 gefechtsbereit gegenüber.

Warum das bedrohliche Schauspiel? Es ging um den Viermächte-Status der Stadt, den der sowjetische Regierungschef Nikita Chruschtschow und der DDR-Staatsratsvorsitzende Walter Ulbricht seit 1958 leugneten. Konkret ging es um das Recht der Westalliierten auf ungehinderte Bewegungsfreiheit in ganz Berlin, die auch die Russen hatten. Ulbricht, begierig darauf, die Berlin-Wege unter seine Kontrolle zu bringen, wollte nach dem Bau der Mauer Fakten schaffen. Damit löste er die schwere Krise aus.

Er erklärte die „Grenzübergangsstelle (GÜSt) Friedrichstraße“ für Ausländer zum einzigen Übergang für Angehörige der drei westlichen Besatzungsmächte und Diplomaten. Die Amerikaner errichteten daher in ihrem Sektor den Checkpoint Charlie, wo sie alle Soldaten und Zivilbediensteten der Westalliierten vor der Fahrt in den Ostsektor registrierten.

Das Drama beginnt am 22. Oktober. Der stellvertretende US-Gesandte Allan Lightner und seine Frau wollen in die Staatsoper. Die Volkspolizei winkt ihren VW-Käfer mit der US-Nummer B-2000 aber nicht wie üblich durch, sondern will die Ausweise sehen. Da Lightner ablehnt, müssen sie umkehren.

General Lucius D. Clay, der Sonderbeauftragte Präsident Kennedys in Berlin und Vater der Luftbrücke während der sowjetischen Blockade der Westsektoren 1948/49, ist alarmiert. Er sorgt dafür, dass sofort ein Exempel statuiert wird. Mehrmals wird Lightner an diesem Abend von US-Soldaten in den Osten eskortiert, mit aufgepflanztem Bajonett begleiten sie seinen Wagen zu Fuß. In der Nähe des Checkpoint Charlie werden Panzer und Schützenpanzerwagen postiert.

An den folgenden Tagen eskalieren die Spannungen. Proteste bei den Sowjets gegen das „illegale“ Vorgehen der Vopos nutzen nichts. Die DDR-Regierung erklärt, alle Ausländer in Zivil hätten sich auszuweisen. Die Westmächte erinnern Moskau daran, dass nach den Viermächte-Regeln die Autonummer als Identifikationsmerkmal für alliiertes Personal genügt, in Zweifelsfällen dürften nur sowjetische Soldaten nach den Papieren fragen. Doch wie sich bei zahlreichen Testfahrten zeigt, lassen die Vopos lediglich Uniformierte unkontrolliert passieren.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, was die Krise am Checkpoint Charlie für Folgen hatte.

Clay steigert den Druck. Am 25. Oktober werden die Berliner US-Truppen in erhöhte Alarmbereitschaft versetzt. US-Panzer mit Planierschaufeln, die wirken, als solle die Mauer damit eingerissen werden, rollen zum Checkpoint Charlie, weitere stehen bis zum Mehringplatz bereit. US-Hubschrauber kreisen in der Luft, beiderseits der Sektorengrenze. Demonstrativ verstärken die Briten ihre Präsenz am Brandenburger Tor um einige Panzer und Panzerabwehrraketen. Sowjetische Offiziere, die das Arsenal inspizieren, werden von West-Berlinern mit Pfui-Rufen bedacht.

Am 27. Oktober schicken die Sowjets ebenfalls Panzer zum Übergang Friedrichstraße. In 200 Meter Entfernung stehen sich je zehn Panzer der Atommächte kampfbereit gegenüber, zeitweilig mit laufenden Motoren, die Kanonen aufeinander gerichtet. 16 Stunden harren sie aus, ein gespenstisches Bild.

Hinter den Absperrungen diskutieren besorgte Berliner beiderseits der Mauer. Sie fühlen sich wie auf einem Pulverfass. Nicht auszudenken, was passiert, wenn einer die Nerven verliert. Natürlich bleibt es bei der martialischen Drohkulisse, kein Schuss fällt, keiner riskiert einen Krieg.

Durch die erstarrten Fronten der Friedrichstraße flitzt der mittlerweile zweite Ost-Berliner. Er reißt die Arme hoch und schreit: „Ich bin frei, ich bin frei!“

Clay erklärt sichtlich zufrieden, das Auftauchen sowjetischer Panzer habe die Illusion der Ost-Behörden zerstört, aus eigener Machtvollkommenheit die Alliierten kontrollieren zu können. Washington konstatiert „ein verspätetes Eingeständnis“ der sowjetischen Verantwortung für Ost-Berlin. Nach den wechselseitigen Protesten wird die Lage auf höchster diplomatischer Ebene entschärft. Am 28. Oktober gegen 10.30 Uhr setzen die sowjetischen Panzer etwa zehn Meter zurück – die amerikanischen folgen dem Beispiel. Stück für Stück entfernen sie sich voneinander. Als sie am Nachmittag fort sind, atmet alles erleichtert auf.

Die Folgen der Panzer-Konfrontation: Fortan müssen sich zwar Zivilbedienstete der Westmächte mit Identitätskarten ihrer Missionen ausweisen, aber an der Präsenz der Westallierten wird nicht mehr gerüttelt. Chruschtschow will kein unkalkulierbares Risiko eingehen. Zum Ärger Ulbrichts lässt er ja auch den Plan einer „Freien Stadt“ West-Berlin fallen. Die amerikanische Historikerin Hope M. Harrison („Ulbrichts Mauer“, Propyläen-Verlag) meint, die Krise am Checkpoint Charlie habe dazu beigetragen, dass Moskau den Hebel in Berlin eben nicht aus der Hand gegeben hat.

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