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In der Wüste von Nevada testete das U.S.-Militär seine Atomwaffen.

© IMAGO

Update

Kalter Krieg: Geheimpläne der USA: Nuklearangriff auf Ost-Berlin

Jetzt veröffentlichte US-Geheimpläne von 1956 sahen einen Atomwaffeneinsatz für Berlin vor. 91 Ziele sollten zerstört werden. Sowjetunion und DDR bereiteten eine Eroberung West-Berlins vor.

Berlin feiert ein friedliches Weihnachtsfest, was vor einem halben Jahrhundert ganz und gar nicht selbstverständlich war. Wären jetzt veröffentlichte Pläne der USA aus den fünfziger Jahren umgesetzt worden, würde es die Stadt wohl nicht mehr geben. Bei einem Krieg mit der Sowjetunion wollte das amerikanische Militär Ost-Berlin durch Atomwaffen förmlich ausradieren.

Auch vom Westteil der Stadt wäre nicht viel übrig geblieben. Exakt 91 Ziele hatte das Militär vorgegeben, die auf Ost-Berliner Gebiet systematisch zerstört werden sollten: Kraftwerke, Bahnhöfe, Treibstofflager, Industrieanlagen sowie die Radio- und Fernsehsender. Und es gab noch ein Angriffsziel: „Bevölkerung.“

Die lange geheim gehaltene Zielliste des US-Militärs von 1956 hat das National Security Archive jetzt veröffentlicht. Das 800-seitige Dokument nennt alle Ziele, auf die das US-Militär in einem Krieg Bomben werfen wollte – in Berlin, in der DDR, in Osteuropa, in der Sowjetunion und in China. Nuklearwaffen hätte es ausreichend gegeben.

Nach Angaben von „Spiegel Online“ besaßen die USA 1959 Atombomben mit einer Sprengkraft von 20 000 Megatonnen. Die über Hiroshima abgeworfene Bombe mit ihren verheerenden Folgen hatte dagegen „nur“ eine Sprengkraft von 13 Kilotonnen. Allein eine über Berlin gezündete Atombombe hätte gereicht, die Stadt weitgehend zu vernichten. Warum das Militär akribisch 91 einzelne Angriffsziele ausgemacht hat, ist unklar.

Liste zum ersten Mal 2006 angefordert

Weitere Bomben, vornehmlich auf Flugplätze der Sowjetunion, hätten rings um Berlin fallen sollen – unter anderem auf Groß Dölln bei Templin, wo sich der größte sowjetische Militärflugplatz in der DDR befand, sowie auf Oranienburg, Welzow und Werneuchen. Weitere Ziele in Brandenburg waren die Flugplätze in Brandenburg-Briest, Cottbus, Schönefeld (Dahme-Spreewald), Alt Lönnewitz, Fürstenwalde (beide Elbe-Elster), Briesen (Oder-Spree), Neuruppin, Wittstock (beide Ostprignitz-Ruppin), Drewitz, Jocksdorf (beide Spree-Neiße) und Jüterbog (Teltow-Fläming).

Dass Bevölkerungszentren als Ziel ausgemacht waren, sei „verstörend zu sehen“, erklärte der Historiker an der George Washington University, William Burr gegenüber der „New York Times“. Seine Forschungsgruppe hatte die Liste angefordert – zum ersten Mal bereits 2006. Mit Atomangriffen auf Großstädte wollten die USA im Kriegsfall offenbar die Kampfmoral des Gegners schwächen, hoffend, den Krieg dadurch verkürzen zu können. Der langjährige Direktor des „U.S. Nuclear Weapons Cost Study Project“, Stephen I. Schwartz, bezeichnet die Zielliste laut „Spiegel Online“ als „grauenvoll und einfach abstoßend“. Er hatte bereits 1988 ein Buch über die Atomwaffen der Vereinigten Staaten geschrieben.

Katastrophale Folgen für West-Berlin

Aus der Liste geht nicht hervor, ob die Bombenplaner auch die Folgen der Atomangriffe für West-Berlin erwogen hatten, wo US-Soldaten erst als Besatzungs- und dann als Schutzmacht stationiert waren. Burr erklärt dazu: „Die Atombombenabwürfe auf Ost-Berlin und seine Vororte hätten unter anderem nuklear erzeugte Feuerstürme verursacht. Das hätte für West-Berlin katastrophale Folgen gehabt.“ Ohnehin hätten die Bomben auch den Westteil der Stadt treffen können. Schon im Zweiten Weltkrieg hatten viele Abwürfe ihr Ziel verfehlt. Von der heutigen Treffergenauigkeit war man noch weit entfernt.

Angriffspläne gab es aber auch auf der anderen Seite – jedoch ohne den Einsatz von Atomwaffen. Ende der 1960er Jahre hatten die DDR und die Sowjetunion Pläne zum Erobern von West-Berlin entwickelt, dem Stachel mitten im sozialistischen Himmelreich. Aufgedeckt hat sie der Militärhistoriker Winfried Heinemann. 2010 ist daraus der Dokumentarfilm „Fall X – Die Angriffspläne der DDR auf West-Berlin“ entstanden, zusammengestellt von Hans Sparschuh und Rainer Burmeister.

Keine zweite Luftbrücke

Auch diese Angriffspläne gaben die Orte vor, die schnell eingenommen werden sollten: die Flughäfen Tegel, Tempelhof und Gatow, um keine zweite Luftbrücke zu ermöglichen. Und die Kaiserdammbrücke über der Stadtautobahn in Charlottenburg war in den Plänen das Primärziel, denn wenn die Brücke blockiert war, konnten sich die amerikanischen und britischen Brigaden kaum noch für einen gemeinsamen Einsatz gegen die Angreifer vereinigen; auch die französischen Soldaten in Reinickendorf wären von den Verbündeten getrennt worden, so das Kalkül der Planer.

Für den Angriff waren Bodentruppen mit Panzerverbänden vorgesehen. Bombenabwürfe wären auch nicht nötig gewesen, denn die wenigen alliierten Soldaten hätten keinen langen Widerstand leisten können. Wie das US-Militär hatten auch die Planer in der DDR und der Sowjetunion bis ins Detail geplant: An 59 genau beschriebenen Stellen sollten die eigenen Truppen die Mauer durchbrechen und den militärischen Widerstand brechen. Danach sollte die Kontrolle über die Infrastruktur erfolgen. Und die Mauer sollte stehen bleiben, weiter gut bewacht, bis sich die Lage im Westteil aus Sicht der Angreifer stabilisiert hätte. Vor mehr als 26 Jahren ist die Mauer gefallen – anders als geplant und ganz friedlich. Rechtzeitig vor Weihnachten.

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