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Bewohner der Brache sammeln ihre Besitztümer zusammen.

© Robert Klages

Update

Kälteeinbruch in Berlin: Obdachlosencamp an der Rummelsburger Bucht geräumt

Am Wochenende soll es bis zu minus acht Grad kalt werden in Berlin. Der Bezirk löste das größte Obdachlosenlager der Stadt auf. Demonstrierende besetzten einen Bagger.

In Lichtenberg ist in der Nacht von Freitag auf Samstag Berlins größtes Obdachlosenlager aufgelöst worden. Das bestätigte eine Sprecherin des Bezirks am Samstagvormittag. Grund sei der vorhergesagte Kälteeinbruch in der Stadt am Wochenende.

Das Bezirksamt sei gemeinsam mit Sozialarbeitern und der Polizei bereits Freitagnachmittag auf die Brache an der Rummelsburger Bucht gekommen, auf der viele Menschen in Zelten leben. Der Einsatz dauerte bis in die frühen Morgenstunden.

Ein Polizeisprecher sagte am Samstag, es habe keine Zwischenfälle gegeben. Lichtenbergs stellvertretender Bürgermeister Kevin Hönicke (SPD) sagte: „Es war ganz entspannt, ein ruhiges Kommen und Gehen.“ 

Beteiligte Personen berichten dem Tagesspiegel, es sei allerdings durchaus zu Szenen gekommen, in denen Beamte ruppiger vorgegangen seien. Viele Personen hätten ihre Behausungen und das Camp nicht verlassen wollen, aber seien dazu gezwungen worden. Hönicke bestätigte, dass niemand in dem Camp hatte nächtigen dürfen, dies sei zu gefährlich. 

Rund 100 Personen befanden sich in den Camp

Etwa 100 Obdachlose wurden in dem Lager angetroffen. Ihnen sei ein Umzug in eine Unterkunft der Kältehilfe angeboten worden, so Hönicke – eine bis dahin leerstehende Traglufthalle. Auch Tiere durften sie mitnehmen.

Etwa die Hälfte habe das Angebot angenommen, der Rest habe die Brache zwar ebenfalls verlassen, wo sie unterkommen wisse man allerdings nicht, heißt es vom Bezirk. In die Traglufthalle wollten sie nicht.

Die Senatsverwaltung für Soziales unterstützte die Aktion nach eigenen Angaben. Der Bezirk habe um Amtshilfe gebeten. Unterbringung und Betreuung seien dann zusammen mit der Stadtmission und dem Verein Karuna organisiert worden. Sozialarbeiter von Karuna hatten am Freitag auf dem Camp die Obdachlosen dazu überredet, dieses zu verlassen und die Unterbringungsangebote anzunehmen. 

"Es ging um die Sicherung von Leib und Leben", sagte die Sprecherin des Bezirks. Man wollte verhindern, dass Menschen in dem Obdachlosenlager erfrieren, da es nach Vorhersagen des Deutschen Wetterdienstes am Wochenende tagsüber auf bis zu minus acht Grad abkühlen soll, die Nächte sollen noch kälter werden.

Proteste nach Räumung des Obdachlosenlagers

Am Samstagvormittag konnten die Obdachlosen noch Habseligkeiten von der Brache abholen, danach werde das Gelände mit Zäunen abgesichert, sagte die Sprecherin, damit nicht wieder Menschen auf die Brache kommen. Ob die Obdachlosen bei milderen Temperaturen wieder zurückkehren können, konnte sie nicht sagen. Es sei ein Privatgrundstück, der Eigentümer entscheide darüber, was damit passiert.

Auf dem hinteren Teil der Brache hatten Bagger und Arbeiter damit begonnen, eine Hütte abzureißen. Dann besetzten fünf Demonstrierende den Bagger. Weitere Demonstrierende schlugen mit Tassen oder anderen Gegenständen gegen die Umzäunung. Stadtrat Hönicke versicherte dem Tagesspiegel am Samstagnachmittag erneut, es würden keine Hütten auf dem Gelände abgerissen werden, sondern das Gelände lediglich "gesichert". Die Polizei sagte, ehemalige Bewohner der Brache könnten ihr Hab und Gut weiterhin vor Ort abholen. 

Demonstrierende hatten am Samstagnachmittag den Bagger besetzt. 
Demonstrierende hatten am Samstagnachmittag den Bagger besetzt. 

© Robert Klages

Nach der Räumung des Obdachlosencamps haben Dutzende Menschen dagegen protestiert. Linke Gruppen hatten am Samstag zum Protest am Ostkreuz aufgerufen und forderten, dass die ehemaligen Bewohner des Camps dorthin zurückkehren dürfen.

Anwesende sprachen von 80 bis 100 Teilnehmern, ein Polizeisprecher sprach von "unter 100" Menschen. 

Vor dem mit Zäunen abgesperrten Camp versammeln sich am Samstag demonstranten.
Vor dem mit Zäunen abgesperrten Camp versammeln sich am Samstag demonstranten.

© Robert Klages

In einer Mitteilung der Demonstranten hieß es: „Die kälteste Woche des Jahres bei Temperaturen von -12 Grad steht bevor, Corona-Inzidenzzahlen sind nach wie vor hoch, und die Berliner Polizei und Politik hat nichts Besseres zu tun, als den Ärmsten der Armen ihre Unterkunft, Feuerstellen und Besitz wegzunehmen.“

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In einem Schreiben auf der linken Internet-Plattform Indymedia stand, dass als Reaktion auf die Räumung in der Nacht auf Samstag eine Sparkasse in der Nähe beschädigt und Bagger auf einer nahe gelegenen Baustelle „unbrauchbar gemacht“ worden seien. Der Polizei war das Schreiben bekannt, ein Sprecher konnte am Samstagnachmittag aber nur bestätigen, dass in Rummelsburg auf der Baustelle in der Hauptstraße Scheiben von Bauwagen und Baufahrzeugen eingeschlagen wurden.

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„Wegen des Wetters mit Kälte, Schnee und Feuchtigkeit ist die Lage sehr bedrohlich, wir können nicht mehr gewährleisten, dass Leib und Leben für die Menschen hier gesichert sind“, begründete Kevin Hönicke die Räumung des Lagers im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur am späten Freitagabend.

Grüne fordern Hilfe für die Camp-Bewohner vor Ort

Kritik kommt von den Lichtenberger Grünen: "Ja, die Menschen müssen raus aus der Kälte“, sagt die Kreisvorsitzende Andrea Nakoinz. Sie sehe die guten Absichten des Bezirksamtes, befürchte allerdings, dass die Räumung nicht die gewünschte Wirkung habe. „Wo die Menschen, die das Angebot nicht angenommen haben, die nächsten Tage verbringen, ist unklar.” 

Die Bezirksverordnete Daniela Ehlers ergänzt: „Ich befürchte, dass vielen Menschen mit dieser nächtlichen Aktion nicht geholfen ist. Jetzt irren die Menschen mit nur einem Teil ihres Hab und Guts und ohne ihre schützenden Hütten und Zelte durch die nächsten eisigen Tage und Nächte. Damit werden sie jedoch nicht vor dem Kältetod geschützt! Mein Eindruck ist, dass das Bezirksamt eine sehr kurzfristige nächtliche Hauruck-Aktion veranlasst hat. Ein Angebot zum Umzug hätte auch heute bei Tageslicht veranlasst werden können.” 

Wärmezelte statt Unterbringung?

Die Bündnisgrünen wünschen sich konkrete Hilfe vor Ort. Gerade für die Menschen, die das Angebot einer Unterbringung in der Kältehilfe nicht angenommen haben. Mit Wärmezelten an der Rummelsburger Bucht würde man ein niedrigschwelliges Angebot schaffen, dass Menschen tatsächlich vor der Kälte schütze. „Dass es eisig wird, ist seit Tagen klar."

Sozialsenatorin Elke Breitenbach twitterte, diejenigen Obdachlosen, die in Hotels oder Hostels untergebracht sind, dürfen dort bis Ende April bleiben, zum Ende der Kältehilfe. Die Senatsverwaltung habe diese solange gemietet. 

[Mehr über die Räumung und wie es auf dem Gelände nun weitergeht, erfahren Sie auch am Montag in Tagesspiegel-Leute-Newsletter für den Bezirk Lichtenberg von Autor Robert Klages: leute.tagesspiegel.de]

Auf der Brache an der Rummelsburger Bucht leben die Menschen in Zelten und anderen Unterkünften. Bei der Obdachlosenzählung in Berlin vor einem Jahr war es der Ort mit den meisten Obdachlosen: 81. Erst danach folgte die Gegend am der Bahnhof Zoo mit 71 im Freien lebenden Menschen.

Bei einer Begehung am Donnerstag seien an der Rummelsburger Bucht 40 bis 50 Zelte gezählt worden, sagte Hönicke. Das Areal ist Bauland. Dort sollen Wohnungen und die Touristen-Attraktion „Coral World“ entstehen. Am Freitagabend waren auch Sozialarbeiter an dem Camp sowie Polizei.

Zusätzliche Plätze für Obdachlose bei eisigen Temperaturen

Berlin stellt an dem bevorstehenden eisigen Wochenende mehrere zusätzliche Plätze im Warmen für Obdachlose bereit. In einem Hostel an der Boxhagener Straße in Friedrichshain stehen ab Samstag 18 Uhr 100 Betten Tag und Nacht zur Verfügung, wie die Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales am Freitagabend mitteilte.

Die Hälfte der Obdachlosen zog in eine Einrichtung der Kältehilfe um.
Die Hälfte der Obdachlosen zog in eine Einrichtung der Kältehilfe um.

© Paul Zinken/dpa

Zudem öffnet am Sonntag auf dem Gelände der früheren Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik in Reinickendorf eine Einrichtung mit 100 Plätzen. Die Anzahl soll ab Dienstag auf 200 erhöht werden.

Ein Hostel an der Köpenicker Straße in Kreuzberg erhöht seine Kapazität von 100 Plätzen um weitere 20, darunter auch für obdachlose Rollstuhlfahrer.

Laut Mitteilung gibt es in den Einrichtungen der Kältehilfe aktuell 1090 Notübernachtungsplätze. In der vergangenen Woche seien davon 121 frei geblieben. In der Stadt sind demnach auch fünf Busse mit Sozialarbeitern unterwegs, um obdachlose Menschen zu unterstützen und sie in Einrichtungen zu bringen.

Wer vermute, dass eine Person unter Kälte leidet, sollte diese höflich ansprechen und fragen, ob sie Hilfe annehmen will, hieß es. Besonders im Winter könne es lebensgefährlich werden, auf der Straße zu schlafen. „Sehen Sie bitte nicht weg, wenn Sie eine Erfrierungsgefahr vermuten“, bat die Senatsverwaltung die Einwohner. Gewählt werden sollten in solchen Fällen die Notnummern 110 (Polizei) oder 112 (Feuerwehr/Rettungsdienst). (mit dpa)

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