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Justizsenator Dirk Behrendt (Bündnis 90/Die Grünen).

© Britta Pedersen/dpa

Justizsenator Behrendt zu Neuköllner Anschlagserie: „Es darf keinen Zweifel geben, dass die Behörden rechtsextreme Taten verfolgen“

Die Ermittlungen wurden von Pannen der Staatsanwaltschaft begleitet. Justizsenator Behrendt sieht jedoch keinen Grund für eine Generalüberprüfung der Behörde.

In Neukölln kommt es immer wieder zu Anschlägen auf Menschen, die sich gegen Rechtsextremismus engagieren. In über 70 Fällen ermittelt die Soko „Fokus“ der Polizei. Am Mittwoch entschied Berlins Generalstaatsanwältin, der Staatsanwaltschaft die Ermittlungen zu entziehen und die Fälle neu aufzurollen.

Begründet wurde dies mit dem möglichen Anschein der Befangenheit des leitenden Staatsanwaltes. Im Interview spricht Berlins Justizsenator Dirk Behrendt über die Hintergründe und Konsequenzen des Falles.

Herr Behrendt, sind die Berliner Ankläger auf dem rechten Auge blind?
Nein. In Zeiten, in denen die Bundesrepublik von einer nie da gewesenen rechtsextremen Terrorwelle erschüttert wird, ich meine hier die Anschläge von Halle und Hanau, muss gelten: Es darf keinen Zweifel daran geben, dass die Strafverfolgungsbehörden rechtsextreme Straftaten verfolgen.

Allein der böse Schein kann das Vertrauen in die Strafverfolgungsbehörden erschüttern. In Berlin treibt uns seit vielen Jahren eine rechtsextreme Anschlagserie, gerichtet gegen Personen, die sich in der Zivilgesellschaft gegen Rassismus und Rechtsextremismus engagieren, um. Bisher konnte, trotz vielfältiger Ermittlungsbemühungen, kein durchgreifender Erfolg erzielt werden.

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Die Staatsanwaltschaft muss einerseits durch ihre Tätigkeit zeigen, dass sie alles rechtsstaatlich Gebotene unternimmt, um zu einem Ermittlungserfolg zu kommen und jeden Zweifel parteilicher Ermittlungen von vornherein ausräumen. Es ist andererseits aber nicht angezeigt, jetzt generell die Arbeit der Berliner Staatsanwaltschaft in Misskredit zu bringen.

Bislang gibt es nur einen Eindruck eines Beschuldigten im Neukölln-Verfahren, aber keinen Beweis dafür, dass der Staatsanwalt AfD-nah sei und die Ermittlungen nicht energisch führe. Müssen Staatsanwälte nun mit Versetzungen rechnen, wenn Beschuldigte Eindrücke schildern?
Wir kennen es aus anderen Ermittlungsverfahren, dass Tatverdächtige, gerade wenn sie wissen, dass sie überwacht werden, bewusst Gerüchte streuen. In solchen Fällen ist das Gespräch mit den Vorgesetzten zu suchen, um gemeinsam die Lage zu bewerten und eine Lösung zu finden. Dies ist hier monatelang unterblieben.

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Dass die Generalstaatsanwaltschaft das Verfahren an sich gezogen hat, ist unstreitig. In der Behörde wird die Umsetzung auch kritisch gesehen. Beiden Staatsanwälten haftet nun ein Makel an. Warum bekamen sie nicht die Chance, zu zeigen, dass sie nicht auf dem rechten Auge blind sind?
Die Generalstaatsanwältin hat konsequent reagiert. Hier stand das übergeordnete Interesse im Vordergrund, Schaden von der Staatsanwaltschaft abzuwenden. Gleichzeitig gilt es, die Staatsanwältinnen und Staatsanwälte vor unberechtigten Vorwürfen und generellen Verdächtigungen in Schutz zu nehmen.

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Die Polizei soll in einem Vermerk auf die Aussage des Beschuldigten, vom Staatsanwalt gehe keine Gefahr aus, weil er AfD-nah sei, hingewiesen haben. Wie deutlich war dieser Hinweis?
Die Generalstaatsanwaltschaft hat die Brisanz erkannt.

Ein mit dem Neukölln-Komplex betrauter Staatsanwalt kannte offenbar die Aussage des Beschuldigten aus den Abhör-Akten, hat aber Vorgesetzte und Behördenleitung nicht informiert. Wie sähe die Lage aus, wenn er darüber informiert hätte?
In der Staatsanwaltschaft, wie in jeder anderen Behörde, sind Vorgesetzte über besondere Vorkommnisse zu informieren. Ein solches ist der Ermittlungskomplex der Neuköllner Anschlagserie ohne jeden Zweifel. Konkret drängte es sich auf, über die Aussage des Beschuldigten zu informieren und gemeinsam die Situation zu bewerten.

Wie entgegnen Sie dem Vorwurf, politisch in die Justiz hineinzuregieren – auch beim Personal?
Ich habe weiterhin nicht vor, mich in Einzelpersonalangelegenheiten der Staatsanwaltschaft einzumischen. Das ist Aufgabe des Leitenden Oberstaatsanwalts Raupach und der Generalstaatsanwältin Koppers.

Berlins Generalstaatsanwältin Margarete Koppers.
Berlins Generalstaatsanwältin Margarete Koppers.

© Christophe Gateau/dpa

Darf man als Beamter noch rechtskonservativ, also Teil des demokratischen Spektrums sein, ohne Ärger zu bekommen?
Jeder Mitarbeitende des öffentlichen Dienstes kann sich politisch engagieren, unterliegt aber dem Gebot der Mäßigung und Zurückhaltung. Unsere demokratische Gesellschaftsordnung ist auf das Engagement ihrer Bürgerinnen und Bürger angewiesen. Die Grenze verläuft dort, wo Zweifel an der ordnungsgemäßen Amtsführung aufkommen.

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Das Neukölln-Verfahren war sicherlich wegen der Brisanz berichtspflichtig gegenüber Generalstaatsanwaltschaft und Justizverwaltung. Inwiefern hätten Frau Koppers und Sie selbst früher genauer hinsehen müssen?
Der Ermittlungskomplex zur Anschlagserie war mehrfach Gegenstand von Besprechungen, unter anderem mit mir und dem nun versetzten Staatsanwalt, und zahlreichen Berichten. Der jetzige Vorfall wurde bekannt, weil die Generalstaatsanwaltschaft auf die Brisanz des LKA-Berichts aufmerksam wurde. Das zeigt, dass die Kontrolle funktioniert.

Durch das Vorgehen der Generalstaatsanwaltschaft stehen jetzt auch andere Verfahren aus der Hand des Staatsanwalts in Frage. Welche Überlegungen gibt es, auch andere Verfahren im Bereich Rechtsextremismus erneut zu prüfen?
Die neuen Kollegen veranlassen, was sie meinen veranlassen zu müssen, um den bösen Schein parteilicher Ermittlungen auszuräumen.

Nach den Erfahrungen mit dem Behörden- und teils Justizversagen beim Rechtsterrorismus – welchen Bedarf ein einer generellen Generalüberprüfung anderer Verfahren in diesem Bereich sehen Sie?
Für eine Generalüberprüfung gibt es keinen Grund. Dieser Vorfall darf nicht zum Anlass genommen werden, die gesamte Arbeit der Staatsanwaltschaft in Zweifel zu ziehen.

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