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Bewohner:innen eines Hauses in der Neuköllner Anzengruber Straße fordern auf Transparenten die Ausübung des Vorkaufsrechts.

© picture alliance/dpa

Juristisches Neuland gegen Investoren: Berlin-Neukölln übt erstmals Vorkaufsrecht bei Share-Deal aus

Erstmals wird in Deutschland das Vorkaufsrecht bei Anteilskäufen gezogen. Betroffen sind zwei Häuser des Konzerns Akelius in Berlin-Neukölln.

Das Berliner Bezirksamt Neukölln beschreitet im Kampf gegen steigenden Mieten und Umwandlungen von Miet- in Eigentumswohnungen neue Wege. Es handelt sich um einen Präzedenzfall, der über Berlin hinaus eine Signalwirkung hat. Erstmals ist das Vorkaufsrecht bei einem sogenannten Share Deal gezogen worden.

Das Bezirksamt nutzte das Vorkaufsrecht für zwei Häuser in Milieuschutzgebieten zugunsten der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft Howoge. Betroffen ist der schwedische Immobilienkonzern Akelius, der mit etwa 14 000 Wohnungen in Berlin eines der großen privaten Unternehmen in der Stadt ist.

Sogenannte Share Deals waren bislang ein Weg, mit dem Investor:innen beim Kauf und Verkauf das staatliche Vorkaufsrecht umgehen konnten. Dabei werden statt Grundstücken Unternehmensanteile verkauft, weshalb die Berliner Bezirksämter bislang nicht tätig geworden sind.

Zugleich wird mit Share Deals die Grunderwerbssteuer umgangen. In diesem Fall hatte Akelius bereits 2019 Anteile an einem Unternehmen erworben, dem die Immobilien gehören. 10,1 Prozent der Anteile sollen an ein Unternehmen in Zypern gegangen sein, das mit Akelius eng verflochten sein soll, wie die „FAZ“ berichtet.

Das Bezirksamt erfuhr durch einen Hinweis von dem Fall und verpflichtete Akelius dazu, die Vertragsunterlagen herauszugeben. Der Konzern wollte dem nicht folgen und bemühte die Justiz, bis schließlich das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg dem Bezirksamt bescheinigte, dass es rechtmäßig vorgegangen ist, als es von Akelius die Unterlagen angefordert hat. Nur mit den Akten könne das Bezirksamt prüfen, ob ein Umgehungsgeschäft vorliege.

Baustadtrat: „Mit dieser Ausübung gehen wir neue Wege“

Bei der Prüfung der Unterlagen ist das Bezirksamt zu dem Schluss gekommen, dass das Vorkaufsrecht in dem Fall anwendbar sei – da es sich um einen sogenannten „kaufähnlichen Vorgang“ handelte. Betroffen sind insgesamt zwei Grundstücke: Das Haus an der Ecke Weserstraße 164 / Wildenbruchstraße 85 und 86 sowie das Haus in der Boddinstraße 8. Eine Abwendungsvereinbarung, die den Vorkauf noch verhindert hätte, hat laut Angaben des Bezirksamtes keine der ursprünglichen Käuferinnen eingereicht.

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„Bisher konnten wir beim Verkauf von Grundstücken in Form eines Share Deals nur zuschauen. Das wollten wir nicht länger zulassen und sind vor der Komplexität des Vorgangs nicht zurückgeschreckt. Mit dieser Ausübung gehen wir neue Wege, solange es auf Bundesebene keine anderen Regelungen gibt“, sagte Neuköllns Baustadtrat Jochen Biedermann (Grüne). Es sei „unsere Pflicht an, alle Möglichkeiten für eine soziale und gerechte Stadtentwicklung zu nutzen“.

An dem Vorkauf wirkten auch die Senatsverwaltungen für Stadtentwicklung und Finanzen mit. Wohnen-Staatssekretärin Wenke Christoph (Linke) bezeichnete den Prozess als „ein wichtiges Signal mit dem Berlin deutlich macht, dass eine Umgehung des Vorkaufsrechts nicht toleriert wird“. Der Senat will mit einer Bundesratsinitiative das Vorkaufsrecht um einen Passus für die Share Deals erweitern, sodass diese künftig anzeigepflichtig werden.

Gegen die Ausübung des Vorkaufsrechtes können die Verkäufer:innen und ursprünglichen Käufer:innen nun Widerspruch einlegen, der Vorkaufsbescheid ist noch nicht rechtskräftig. Es ist damit zu rechnen, dass der Fall vor Gericht geklärt wird. Neukölln hat nach Angaben des Bezirksamtes bislang in insgesamt 17 Fällen das Vorkaufsrecht rechtssicher ausgeübt. 

In zwei Fällen laufen noch Gerichts- beziehungsweise Widerspruchsverfahren. In weiteren 76 Fällen unterzeichneten demnach die ursprünglichen Käufer:innen Abwendungsvereinbarungen.

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