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Der Mietendeckel habe das Angebot an (gedeckelten) günstiger Wohnungen um fast 40 Prozent schrumpfen lassen.

© Kitty Kleist-Heinrich

Junge kommen, Ältere gehen: Corona und Mietendeckel beschleunigen Stadtflucht aus Berlin

Der Dachverband der Immobilienwirtschaft hat ein Gutachten zum Wohnungsmarkt vorgestellt. Es geht unter anderem um einen Generationenwechsel in Städten.

Berlin und andere deutsche Großstädte verlieren immer mehr berufstätige Einwohner im besten Alter mit Familie - und damit auch Steuereinnahmen. Diese ziehen nicht mehr nur ins nähere Umland sondern inzwischen auch in weiter entfernte Regionen - wo die Preise fürs Wohnen nun auch steigen. Dafür kommen mehr Junge in die Städte.

Die Einführung des Mietendeckel hat diesen Trend in Berlin nach Überzeugung der Experten vom Dachverband der Immobilienwirtschaft, dem Zentraler Immobilien Ausschuss (ZIA), sogar noch verschärft: Denn er habe das Angebot an (gedeckelten) günstiger Wohnungen um fast 40 Prozent schrumpfen lassen, was die Suche nach Wohnraum zusätzlich erschwert.

Dies zählt zu den Ergebnissen des "Frühjahrsgutachtens der Immobilienweisen", das ZIA-Chef Andreas Mattner dem Staatssekretär des Bundesbauministeriums Volkmar Vogel (CDU) am Dienstag überreichte.

Diese Entwicklung macht Berlin unattraktiver für berufstätige Erwachsene. Die Jungen, die kommen, können sich die Mieten leisten, weil sie meist in Wohngemeinschaften oder Studentenheimen leben.

Vogel sagte, Wohnen sei eine der wichtigsten sozialen Fragen. Daher brauche es einen "ordnungspolitischen Rahmen". Doch dieser müsse den Grundsätzen der sozialen Marktwirtschaft genügen. Dann sei man "besser auf dem Weg als mit einem Mietendeckel".

Neubauwohnungen in Berlin sind oft sehr teuer

Zur Auswirkung des Deckels sagte Carolin Wandzik, Geschäftsführerin des Forschungsinstituts Gewos: Die Mieten in Berlin seien um sieben Prozent gesunken. Die Mieten nicht gedeckelter Wohnungen aber seien "stärker denn je gestiegen - um 23 Prozent".

Und weil kaum gedeckelte Mietwohnungen im Angebot gewesen seien, hätten die neu nach Berlin gezogenen Menschen unter dem Wohnungsmangel besonders zu leiden gehabt - ebenso wie Haushalte mit Veränderungsbedarf, weil ein Kind oder ein Partner dazu kam.

"Der Mietendeckel ist sozial nicht ausgewogen", sagte Wandzik. Sie warnte deshalb auch vor einer Einführung durch die Hintertür über eine Bundes-Lösung.

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Zumal auch neu gebaute Wohnungen für immer weniger Menschen in Großstädten erschwinglich sind. Nach einer Studie des Forschungsinstituts Empirica, über die der RBB als erster berichtete, wurden fast zwei Drittel der Neubauwohnungen für eine Kaltmiete von 14 Euro pro Quadratmeter und darüber angeboten im vergangenen Jahr. Die ortsübliche Miete in Berlin beträgt laut Mietspiegel 6,72 Euro.

46 Prozent der inserierten Wohnungen kosteten sogar 16 Euro pro Quadratmeter und mehr. Und nur noch halb so viele Wohnungen zu günstigen Mieten seien im vergangenen Jahr im Vergleich zu 2012 angeboten worden, dafür gebe es vier Mal so viele teure Wohnungen für 14 Euro je Quadratmeter und mehr.

Familien ziehen raus, Studenten rein

Mangel und hohe Preise von Immobilien lösen den Trend zum Verlassen der Städte aus und dieser wird durch die Pandemie-Erfahrungen noch verstärkt. Alle ZIA-Experten rechnen damit, dass Corona Leben und Arbeiten langfristig verändern werden: Arbeiten von zu Hause aus - zumindest an einigen Tagen in der Woche - sowie weniger Dienstreisen, das alles verleiht der Wohnung und ihrem Umfeld mehr Bedeutung.

Ein zusätzliches Arbeitszimmer, mehr Fläche und eine Terrasse, das gibt es weit draußen.

Sogar noch in der Uckermark sei die Belebung des Wohnungsmarktes durch Berliner Familien zu spüren, sagte Harald Simons Forscher von Empirica. Die Verlockungen des Landlebens seien groß, und die Einbußen an Komfort überschaubar: Online-Shops sei es gleichgültig, wohin die italienischen Spezialitäten geliefert werden.

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Allerdings entscheidet der individuelle Lebensabschnitt über den Wohnort: Die Jungen verlassen weiterhin den ländlichen Raum - ungefähr bis zum Alter von 30 Jahren. Sie ziehen in die Großstädte.

Andererseits ist das Mobilität der Deutschen nicht nur in den Umland-Kreisen der Metropolen gestiegen, sondern auch in entlegeneren Regionen. Vor allem ab einem Lebensalter von etwa 30 Jahren.

4000 Euro je Quadratmeter im Durchschnitt

Befeuert wird der Trend von den unverändert kräftig steigenden Mieten in Deutschland: Im vierten Quartal hätten diese 7,57 Euro je Quadratmeter im Durchschnitt betragen, ein Plus von 3,3 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum.

In den Großstädten lägen die Mieten bei zehn Euro je Quadratmeter, ein Plus von bis zu 4,5 Prozent. Steil aufwärts sei es auch mit den Kaufpreisen für Eigentumswohnungen und für Ein- und Zweifamilienhäuser im vergangenen Jahr gegangen.

Für Eigentumswohnung mussten Käufer 8,6 Prozent mehr als ein Jahr zuvor bezahlen, im Schnitt pro Quadratmeter seien 2280 Euro fällig gewesen. In den Großstädten seien es mit 4000 Euro durchschnittlich deutlich mehr. Bei Ein- und Zweifamilienhäusern habe der Anstieg 7,3 Prozent betragen, womit der Quadratmeterpreis im Durchschnitt 2750 Euro betrage.

Mehr Wohnungen werden gebaut

Immerhin rechnen die ZIA-Experten mit einem wachsenden Angebot in den kommenden Jahren. Im Jahr 2019 seien deutschlandweit 293.000 Wohnungen fertiggestellt worden. Das seien zwei Prozent mehr als im Jahr zuvor gewesen, aber zu wenig, um die Nachfrage zu decken.

Im Jahr 2020 sei mit rund 300.000 fertig gestellten neuen Wohnungen zu rechnen und im kommenden Jahr mit 310.000 Wohnungen. Doch ausgerechnet in den Großstädten mit der größten Nachfrage sei die Zahl der Neubauten um 3,2 Prozent zurückgegangen. Einzige Ausnahme: Berlin mit einer leicht steigenden Zahl von Neubauten.

Bundesbauministerium glaubt an Entspannung

Der Staatssekretär im Bauministerium Volkmar Vogel sagte, der Neubau habe zugelegt und die Bauwirtschaft eine gute Auftragslage. Dies werde sich auf die Mietentwicklung "dämpfend" auswirken. Vogel: "Wir können davon ausgehen, dass es auch in Großstädten eine Entspannung geben wird".

Zumal der Bund das "Baulandmobilisierungsgesetz" auf den Weg gebracht habe, um zusätzliche Grundstücke zur Ankurbelung des Neubaus bereit zu stellen.

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