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Tafelgründerin Sabine Werth im Verteilzentrum ihrer Hilfsorganisation.

© Jörg Carstensen/dpa

Jubiläum für Hilfsorganisation: Berliner Tafel wird 25 Jahre alt

Begonnen hat alles mit einer Gruppe Frauen, einem Laster und drei Spendern. Heute werden monatlich 125.000 Menschen in der Stadt versorgt.

Von Markus Lücker

Es fühlt sich an, als würde es sie schon immer geben. Bevor junge Berliner anfingen, in Supermarktmülltonnen zu krabbeln und es „Containern“ zu nennen, war sie bereits da. Als 2012 die Onlineplattform „Foodsharing“ auftauchte und Menschen anfingen, übrig gebliebene Lebensmittel zu retten, hatte sie bereits mehr als 900 Ableger in ganz Deutschland – die Rede ist von der Berliner Tafel.

Vor 25 Jahren, am 21. Februar 1993, hat sie sich aus der „Initiativgruppe Berliner Frauen“ heraus gegründet. Auf einer Veranstaltung zu Obdachlosigkeit erfuhren die Frauen damals von einem Konzept aus den USA. Ein New Yorker Projekt namens „City Harvest“ sammelte übriggebliebene Lebensmittel aus Restaurants, Hotels und Supermärkten und brachte das Essen zu Ausgabestellen für Bedürftige. Die Frauen, zu denen auch die heutige Tafelleiterin Sabine Werth gehörte, beschlossen, das auch für Berlin umzusetzen.

Angefangen hat alles mit einem einzigen Laster, gesponsert von einem Vereinsmitglied. Drei Lebensmittelspender waren dabei: das Opernpalais, Kartoffel Krohn und die Konditorei Raschke. Zweimal pro Woche belieferten die Frauen und ihre Helfer von nun an eine Notunterkunft in Moabit mit jeweils 60 Mahlzeiten.

Die Tafel wächst

Ursprünglich sollte das Projekt nur einen Winter dauern, doch es dehnte sich weiter aus. Die Nachfrage war groß. Immer mehr Spender stießen dazu und wollten die Berliner Tafel unterstützen. Im zweiten Jahr gründeten sich bereits die ersten weiteren regionalen Tafeln: in München, Neumünster, Hamburg. Insgesamt sechs Ableger kamen 1994 dazu. Laut Dachverband gibt es mittlerweile 937 Tafeln in Deutschland.

Allein in Berlin würden monatlich 125 000 Menschen mit Essen versorgt. Bis zu 660 Tonnen Lebensmittel sammelt die Gruppe dafür von Berliner Spendern. 2000 Ehrenamtliche sind im Verein aktiv. In einem Lagerhaus in Moabit stapelt sich alles vom Joghurt bis zum Duschgel.

Mittlerweile verfügt die Berliner Tafel auch über eigene Ausgabestellen. Wer hier Lebensmittel oder Artikel des täglichen Bedarfs bekommen möchte, muss seine Bedürftigkeit nachweisen. Das kann etwa durch einen vorgelegten Hartz-IV- oder Rentenbescheid geschehen. Die Ausgabe erfolgt dann meist gegen einen symbolischen Geldbetrag.

Der Tafelkrieg

Die Geschichte der Berliner Tafel ist allerdings auch eine der Vorwürfe. 2008 schrieb die „taz“ über einen „Tafelkrieg“. Anlass ist eine Art Territorialkampf zwischen der Berliner Tafel und den ähnlich arbeitenden Gruppen „Menschen helfen Menschen (MhM)“ und „Lichtenberger Hilfe“. Im November des Jahres sicherte die Discounterkette Lidl zu, bundesweit nur noch die Tafeln zu beliefern. Zumindest soll die Abmachung so von der Berliner Tafel ausgelegt worden sein.

Plötzlich gab es eine Spendenknappheit in der Stadt. Vor einem Lidl kam es zu einem heftigen Streit zwischen dem Pfarrer einer Charlottenburger Kirche und einem Helfer von „MhM“. Beide wollten Lebensmittel für sich beanspruchen. Es wurde geschrien, der „MhH“-Helfer spuckte vor dem Pfarrer auf den Boden, der wiederum zeigte den Mann an.

Die Organisation verfestige lediglich die Armut in Deutschland, lautet ein häufiger Vorwurf. Der Verein entbinde den Staat von seiner Verantwortung, sich um seine schwächsten Mitglieder zu kümmern. Die Berliner Tafel erwidert, sie habe lediglich eine unterstützende Funktion. Sie ziele nicht darauf ab, eine Grundversorgung für alle Bedürftigen zu schaffen.

Von den 750 000 als arm geltenden Menschen in der Stadt würde gerade mal ein Sechstel auf die Tafel zurückgreifen. „Armut abschaffen kann nur die Politik“, sagt Leiterin Sabine Werth. „Wir selbst können nur die Zeit bis dahin überbrücken.“

Hindernisse in der Vergangenheit

Zum vergangenen runden Geburtstag der Tafel bildete sich das „Kritische Aktionsbündnis 20 Jahre Tafeln“. Darin versammelt waren Kritiker wie der Soziologieprofessor Stefan Selke. Der warft den Tafeln eine unternehmerische Arbeitslogik vor, bei der es nur noch um Wachstum gehe. Den Anspruch, herrschende Systeme zu verändern und den Unterschied zwischen Bedürftigen und Gebenden aufzulösen, habe die Hilfsorganisation längst aufgegeben.

Der Aufstieg der Tafeln war von Schwierigkeiten geprägt. Am Anfang waren es die Gesundheitsvorschriften. Die waren in Deutschland sehr viel strikter als für das Vorbild aus New York. Die Frauen brauchten Bescheinigungen vom Gesundheitsamt, damit sie offiziell mit den Lebensmittel umgehen durften.

Das nächste Problem waren die Steuern. Bis 2012 waren die Spender eigentlich verpflichtet, auf abgegebene Lebensmittel eine Umsatzsteuer zu zahlen. Finanzbehörden blickten darüber meist hinweg. Im Sommer 2012 wurde dann jedoch ein Bäcker aus Sachsen aufgefordert, Steuern für sein abgegebenes Brot zu zahlen. Einige Bäckereien stellten daraufhin die Spenden ein, weil sie Nachzahlungen fürchteten. Im Oktober 2012 einigten sich Bund und Länder dann darauf, die Steuern auf Lebensmittelspenden für die Tafeln und ähnliche Gruppe zu kippen.

Nothilfe für die Verona

Bundesweit muss die Tafel immer wieder aushelfen. Als sich 2015 die Flüchtlingsunterkünfte füllten, wurde auch die Tafel angefragt. Im Sommer 1999 lag der Frachter Verona mitten im Hamburger Hafenbecken fest. Die See-Berufsgenossenschaft hatte aus Sicherheitsgründen ein Auslaufverbot über das Schiff verhängt.

Gleichzeitig konnte die Verona nicht regulär am Kai anlegen. Die dazugehörende Rederei aus Schweden hatte das Schiff aus Kostengründen aufgegeben. Die achtköpfige Besatzung steckte also fest und musste ohne Essensversorgung auf ihren Lohn warten.

Die Tafel in Hamburg und andere Hilfsorganisationen schritten ein und versorgten die Crew per Bootslieferung mit Proviant. Das Warten zog sich über mehrere Monate, bis die Verona im Mai 2000 verkauft wurde und die Crew bezahlt werden und heimkehren konnte.

Als Ziel für die Zukunft wiederholt die Tafel immer wieder, dass sie eigentlich gerne nutzlos wäre. „Wir können dann aufhören, wenn es entweder keine überflüssigen Lebensmittel oder keine Bedürftigen mehr gibt“, sagt Werth. Auf die Armut habe sie keinen Einfluss. Um die Lebensmittelproduktion und den Verbrauch zu drosseln, betreibe die Tafel jedoch seit einigen Jahren Aufklärungsarbeit. Kindern werde ein bewussterer Umgang mit Essen beigebracht. Dafür werde die Tafel weitermachen.

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