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Berlin: Jochen Eckhoff (Geb. 1948)

Damals trug er Tigerhosen und einen schwarz lackierten kleinen Fingernagel

Es mögen nicht wenige gewesen sein, die in den letzten Wochen in der Kanzlei des Notars Jochen Eckhoff anriefen, um ein Schriftstück oder eine Urkunde beglaubigen zu lassen und den Satz seiner freundlichen Sekretärin vernahmen: „Aber wissen Sie es denn nicht? Der Jochen ist tot.“

Die Wenigsten, mit denen er Umgang pflegte, kannten ihn privat. Enge Freunde hatte er kaum, er lebte seit Jahren zurückgezogen, allein.

Der Rechtsanwalt und Notar war wie ein übriggebliebenes, graues Bruchstück der Berliner Mauer, obwohl er eigentlich in Lüdenscheid geboren war. Er hatte in West-Berlin studiert und Ende der Siebziger zusammen mit anderen jungen, sehr linken Anwaltskollegen den „Anwalts-Laden“ in Moabit eröffnet. Damals trug er Tigerhosen und einen schwarz lackierten kleinen Fingernagel. Die Mandanten durften allerlei Probleme mit dem Rechtsstaat haben, nur keine Hausbesitzer, Arbeitgeber oder Kinderschänder sein. Die Sache ging nicht lange gut, das Geld war knapp und der Kollektivgedanke anstrengender als gedacht.

Mitte der Achtziger landete Eckhoff mit seiner Kanzlei in einer riesigen, halb leeren Altbauwohnung über der legendären „Osteria Numero 1“ in Kreuzberg, wo er jeden Tag zu Mittag aß, das schwarze Festnetztelefon vor sich auf dem Tisch.

Zu seiner Klientel gehörten Kleinkriminelle, Drogendealer, Pommesbudenbesitzer, Betreiber von Videotheken und Spielsalons. Besuchern erzählte er die skurrilsten Begebenheiten aus dem Milieu und war immer wieder selber hocherfreut über die Geschichten, die das Leben von ganz alleine schrieb.

Allerdings fand er auch: „Die Menschen werden immer dümmer.“ Die Feststellung hatte bei ihm nichts opihaftes, er konnte sie sofort belegen. Er schleppte Akten und Schriftsätze herbei, die Kollegen verfasst hatten und die von Grammatik- und Rechtschreibfehlern nur so wimmelten. „Dafür haben wir die studieren lassen!“

Eckhoff rauchte, wie man selten jemanden hat rauchen sehen, filterlose Camel, Kette. In den vier Meter hohen Räumen standen ganzjährig blaue Nebelschwaden bis zum dunkelgelben Stucksaum. Und um den Duft nie zu entbehren, war sein Motto: „Nur nicht unter die Dusche!“

War gerade nicht viel zu tun, drehte er sich einen Joint und löste Kreuzworträtsel. Besucher konnten ganze Vormittage mit ihm vertrackte Schwedenrätsel lösen. Mussten sie gehen, hatte er noch lange nicht aufgegeben.

Jeder Wochentag verlief wie der vorherige, Ausnahmen konnte er nicht leiden. Samstags schaute er Fußball, und es wurde gemunkelt, in seiner Jugend habe er sonntags immer einen Trip eingeworfen. Urlaub machte er nie. Er liebte die italienische Landschaft und das Essen, fuhr aber schon lange nicht mehr „in dieses korrupte Scheißland“.

„Vor Gericht und auf hoher See ist man in Gottes Hand“ – für den Atheisten Eckhoff wurde die Willkür der Gerichte, die Unvereinbarkeit von Recht und Rechtsprechung zu einer immer drängenderen Gewissensfrage. Irgendwann arbeitete er nur noch als Notar. Zu dieser Zeit gab es plötzlich Frischluft in der Kanzlei. Herz und Lunge hatten ihre Existenz vermeldet. Vor den frisch gestrichenen weißen Wänden seines Büros wirkte Jochen Eckhoff ziemlich angegilbt. Über das Kranksein redete er nicht viel. Und als es ihm wieder ein bisschen besser ging, fing er natürlich wieder an zu rauchen.

Als man ihn das letzte Mal sah, trug er einen eleganten cremefarbenen Dreiteiler aus Leinen und einen Borsalino. Aus den Hosentaschen kramte er Geldrollen hervor, hellgrüne und auch lila Scheine, mit Gummibändern zusammengehalten. „Noch nie in meinem Leben hatte ich so viel Geld.“ Darüber lachte er, wie über einen besonders originellen Witz. Früher hatte er seinen Besuchern immer Mineralwasser oder einen Kaffee angeboten, jetzt nicht mehr: „Die Leute bringen heutzutage doch ihre Kaffeebecher und Plastikflaschen selber mit.“

Die einen haben Fernweh, die anderen eine Sehnsucht nach der Vergangenheit, die man wohl Nostalgie nennt. Eckhoff fehlt in Kreuzberg wie der graue Putz mit den Einschusslöchern an den Brandwänden. Heute ist vieles hübscher, aber früher hielten die Punks den Damen die Tür auf, und es gab kiffende Anwälte.

Eva Sichelschmidt

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