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2,1 Millionen Euro kostete der Ausbau der Busse.

© Britta Pedersen/dpa

Jeder zweite Berliner versucht Bus und Bahn zu meiden: Fahrgäste haben das Vertrauen in öffentliche Verkehrsmittel verloren

Hohe Verluste bei Einnahmen und Fahrgästen: Der Verkehrsverbund in der Region zieht eine erste Bilanz des Corona-Jahres.

1,6 Milliarden Fahrgäste fuhren 2019 in der Region Bus und Bahn. „Von der Zahl träumen wir jetzt nur noch“, sagte Susanne Henckel, Geschäftsführerin des Verkehrsverbundes Berlin-Brandenburg (VBB) am Donnerstag bei der Vorstellung der Bilanz für das Corona-Jahr 2020. Genaue Zahlen liegen aber noch nicht vor.

Im ersten Lockdown sei die Nachfrage auf 30 Prozent gesunken, im zweiten Lockdown ab Herbst auf etwa 40 Prozent. Im gesamten Jahr habe es einen Rückgang der Mobilität um 40 Prozent gegeben. „Wir waren erfolgsverwöhnt“, sagte Henckel. Viele Jahre am Stück stiegen die Fahrgastzahlen. Der VBB prognostiziert einen Rückgang der Einnahmen um 79 Prozent im Jahr 2020. Dieser sei aber durch den Bund ausgeglichen worden, berichtete die VBB-Chefin in der Online-Pressekonferenz. Einen Rettungsschirm werde man aber auch 2021 brauchen, sagte Henckel.

Der Verkauf von Einzeltickets und Tageskarten sei auf einen Bruchteil gesunken. Seit dem Herbst springen aber auch viele Stammkunden ab. Der Verkauf von Monatskarten ohne Abo hat sich im Dezember etwa halbiert, der Verkauf von Abos ist bereits um mehr als 20 Prozent eingebrochen.

Und wie geht es weiter? Noch sei unklar, wie viele Fahrgäste langfristig zurückkommen werden. Henckel stellte die Ergebnisse einer Studie vor, die der VBB beim Institut für Verkehrsforschung des Deutschen Instituts für Luft- und Raumfahrt (DLR) beauftragt hatte.

Die Ergebnisse erschrecken: Ein großer Teil der Menschen habe das Vertrauen in Bus und Bahn verloren – und dieses lässt sich womöglich nicht zurückgewinnen. Grund sei die Gefahr vor einer Ansteckung, sagte Henckel.

Jeder zweite versucht, öffentliche Verkehrsmittel zu meiden

50 Prozent der Berliner haben in der Umfrage gesagt, dass sie versuchen, öffentliche Verkehrsmittel auf jeden Fall zu meiden, 25 Prozent waren unentschieden und nur 25 Prozent sagten, sie würden das Angebot normal nutzen. Der Anteil der Autonutzung stieg von 29 auf 34 Prozent in Berlin, in Brandenburg drastisch von 42 auf 56 Prozent.

Auch das Fahrrad verlor, heißt es in der DLR-Studie. Die Umfrage war Ende November, also zu einer eher fahrradunfreundlichen Zeit.

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Offen ist, wie es weitergeht, wenn die Pandemie irgendwann vorbei sein sollte. Bislang haben die Verkehrsbetriebe ihr Angebot fast vollständig beibehalten, damit die Abstandsregeln eingehalten werden können. Denn die Arbeitswelt ändert sich vermutlich dauerhaft.

In der Umfrage sagten 51 Prozent der Berliner, dass sie ganz oder teilweise aus dem Homeoffice arbeiten, fast doppelt so viel wie in Brandenburg (27 Prozent). Dies zeigt den Unterschied zwischen Stadt und Land. Zwei Drittel der Befragten können sich vorstellen, dauerhaft ganz oder teilweise von zu Hause zu arbeiten.

Die Nachfrage könnte dauerhaft sinken

Der VBB muss sich deshalb auf einen anhaltenden Rückgang der Nachfrage einstellen – und die damit einhergehenden Einnahmeverluste. Der VBB hält es auch für möglich, dass bisherige Kunden dauerhaft aufs Rad umsteigen, wenn sich die Pop-up-Radwege durchsetzen sollten und das Radfahren sicherer wird.

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Ob es zum Ausgleich neue Ticketangebote geben müsse, sei noch nicht entschieden sagte Henckel. „Wir machen uns Gedanken, ob das notwendig ist.“ In den vergangenen Wochen hatten Zeitungen berichtet, dass neue Tickets sicher kommen. Dies dementierte der VBB. „Wir setzen auf bestehende Angebote wie das Firmenticket“, sagte Henckel. Dies koste in Berlin AB unter 40 Euro pro Monat, also nur etwas mehr als einen Euro pro Tag. „Das lohnt sich auch, wenn man nicht fünf Tage zur Arbeit fährt“, sagte Henckel.

Der Fahrgastverband Igeb schlug am Donnerstag ein 399-Euro-Ticket pro Jahr für Berlin AB vor – nach dem Vorbild Wien. Dort kostet die Jahreskarte 365 Euro. Igeb-Sprecher Jens Wieseke sprach von einer „einfachen und günstigen Jahreskarte, die sich jede Berlinerin und jeder Berliner in die Tasche steckt, ohne lange nachzurechnen“.

Auch der Regierende Bürgermeister Michael Müller hatte in der Vergangenheit mehrfach ein solches Modell ins Gespräch gebracht. Die angeblichen Pläne für eine Zehnerkarte, die nur in einem bestimmten Zeitraum gelten solle, hält die Igeb für viel zu kompliziert.

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