zum Hauptinhalt
Volles Leben. "Chanson-Nette" Jeannette Urzendowsky und Henry Nandzik bei ihrer schwungvollen Runde durch die bunte Welt des poetischen Tausendsassas Robert Gilbert. Das Programm wird am 27. und 29. September auch in der Kulturscheune der Mutter Fourage in Wannsee gezeigt.

© Thilo Rückeis

Jeder hat von ihm gehört, aber kaum einer kennt ihn: Hommage für Robert Gilbert: Ich hätt' getanzt heut' Nacht

Eine Revue erinnert an Gilberts Leben und Werk. Der Berliner Poet schrieb Evergreens, Chansons, Gedichte. Es grünt so grün, Ein Freund, ein guter Freund, Oh, mein Papa.

Regel Nr. 1 für den Filmkomponisten: Lese vor dem Notensetzen das Drehbuch. Oder erkundige dich zumindest, worum es geht, ob der neue Streifen also etwa im Wald spielt oder auf dem Meer. Hat der poetische Tausendsassa Robert Gilbert wohl leider beides versäumt, als er sich daran machte, die Filmoperette „Bomben auf Monte Carlo“ mit munteren Liedtexten zu veredeln, so auch dem von Hans Albers, Heinz Rühmann, Peter Lorre und einem vielstimmigen Chor geschmetterten Gassenhauer „Das ist die Liebe der Matrosen“. Der soll anfangs ganz anders geklungen haben: „Marie, wir wollen in den Wald jehn“ - Gilbert hatte nicht mitbekommen, dass es statt um Blätter – um Wellenrauschen ging, musste daher hastig umdichten. Jedenfalls hat er es später so erzählt, eine der keineswegs deckungsgleichen Versionen über die Genese des unverwüstlichen Ufa-Shantys. Aber passt nicht gerade dieser eher flirrende als klare Wahrheitsgehalt zu einem Lied über die Flatterhaftigkeit seemännischer Liebe?

Keine Straße, keine Gedenktafel erinnert in Berlin an Gilbert

Der Ohrwurm aus dem deutschen Kinohit der Saison 1931/32, ein nur dem Titel nach martialisches Filmlustspiel, ist noch immer unvergessen, die mit Gilbert befreundete Philosophin Hannah Arendt wünschte ihn sich sogar zu ihrer Beerdigung.
Aber wer, bitteschön, war dieser Robert Gilbert, an den in seiner Geburtsstadt Berlin keine Straße, keine Gedenktafel erinnert, der fast vergessen ist, anders als seine Liedtexte, etwa dieser: „Es grünt so grün, wenn Spaniens Blüten blühen." Ganz recht, Eliza Doolittles Zungenbrecher aus „My Fair Lady“, für die deutsche Erstaufführung 1961 im Theater des Westens ersonnen. Das englische Original wäre übersetzt völlig unbrauchbar gewesen: „In Spanien fällt der Regen vor allem in der Ebene.“ Da würde man den Theatersaal doch sofort unter Protest verlassen.

Robert Gilbert - Portrait um 1929
Robert Gilbert - Portrait um 1929

© ULLSTEIN - ULLSTEIN BILD

Aber zurück zur Frage, wer dieser Robert Gilbert war – und wie man seinen Namen überhaupt ausspricht: Robert ganz klassisch wie Robert, der Mann war wie gesagt Berliner, Gilbert aber à la française, also "Dschilbäär". Ein vom Vater geerbter Künstlername: Der hieß an sich Max Winterfeld, nannte sich als erfolgreicher Operettenkomponist aber lieber Jean Gilbert, das färbte auf den Sohn ab.

Doch egal, ob nun Winterfeld oder Gilbert – der Mann, der im so grün grünenden Spanien die Blüten erblühen ließ, bliebe vergessen, und sein120. Geburtstag am 29. September 2019 wäre sang- und klanglos untergegangen, hätten nicht „Chanson-Nette“ Jeannette Urzendowsky, Bühnenpartner Henry Nandzik, das Trio Scho und Isabelle Gensior (Regie) dies mit ihrem Gratulationsprogramm verhindert. „Ich hätt' getanzt heut' Nacht“ heißt ihr Stück. Der Titel ist einem weiteren „My Fair Lady“-Song entliehen, an dem Gilbert diesmal nicht viel herumdoktern musste. Schon Audrey Hepburn schmachtete im Original „I Could Have Danced All Night.“

Elan nach Noten. Die Berliner Band Trio Scho ersetzt virtuos ein ganzes Musical-Orchester. V.l.n.r.: Gennadij Desatnik, Alexander Franz, Valeriy Khoryshman.
Elan nach Noten. Die Berliner Band Trio Scho ersetzt virtuos ein ganzes Musical-Orchester. V.l.n.r.: Gennadij Desatnik, Alexander Franz, Valeriy Khoryshman.

© Nataliya Fenko

Die musikalisch-biografische Revue wurde schon hier und da auf Berliner Kleinkunstbühnen gespielt, beispielsweise in der Kulturscheune von "Mutter Fourage" in Wannsee. Im Februar, März und Mai 2020 ist sie nun im Haus der Sinne in Prenzlauer Berg sowie im Theater-Restaurant Charlottchen in Charlottenburg zu sehen. Räumlich passt das Charlottchen fast so gut wie die "Mutter Fourage": Es ist ja nicht allzuweit von Robert Gilberts Elternhaus entfernt: Der kleine Robert wurde zwar in Friedrichshain geboren, seine Jugend verbrachte er aber in Berlin-Wannsee, in der Scabellstraße 7. Sein Vater, vorübergehend gut bei Kasse, hatte 1911 eine Ufervilla am Wannsee gekauft und wohnte dort mit seiner Familie acht Jahre lang. Heute wird der Prachtbau vom Deutschen Unterwasser Club genutzt. Sollte Gilbert also doch irgendwann eine Berliner Gedenktafel spendiert bekommen - hier wäre ein prima Ort, sie anzuschrauben.

Die Revuetermine

Freitag, 21. August 2020, zwei Aufführungen ab 17 Uhr und 19.30 Uhr, Restaurant-Theater "Charlottchen", Droysenstraße 1 am S-Bahnhof Charlottenburg, wegen der coronabedingten, begrenzten Platzzahl (ca. 20 Gäste) gibt es zwei aufeinanderfolgende Aufführungen um 17 Uhr und 19.30 Uhr, Reservierung direkt über Chanson-Nette Jeannette Urzendowsky, Telefon: 030-4272640 oder 0160-96205278, Website: www.restaurant-charlottchen.de

Freitag, 4. September, 19.30 Uhr, Theater Adlershof, Moritz-Seeler-Straße 1 am S-Bahnhof Adlershof, Reservierungstelefon: 23934579, kontakt@theater-adlershof.de, www.theater-adlershof.de

Sonnabend, 12. September, 20 Uhr, Restaurant-Theater "Charlottchen" in Charlottenburg, Droysenstraße 1 am S-Bahnhof Charlottenburg, Reservierungstelefon: 3243829 oder 3244717, per Mail: charlottchen@mosaik-berlin.de, www.restaurant-charlottchen.de

Sonntag, 4. Oktober, 19.30 Uhr, Hof-Theater in Bad Freienwalde (Landkreis Märkisch-Oderland), Königstraße 11, Tickethotline über Reservix: 01806-700733, www.hoftheater-bad-freienwalde.de.
Mehr Infos: Chanson-Nette Jeannette Urzendowsky, www.chanson-nette.de. info@chanson-nette.de, Tel.: 030-4272640
Im Oktober ist im Ch. Links Verlag Christian Walthers überarbeitete Biografie "Ein Freund, ein guter Freund. Robert Gilbert - Lieddichter zwischen Schlager und Weltrevolution" erschienen (30 €.). Hier ist der Link zur Tagesspiegel-Rezension.

Nun gibt es verschiedene Möglichkeiten, eines musikalischen Verseschmieds wie Robert Gilbert mit einem Jubiläumsprogramm zu gedenken. Die simpelste bestände in einer Best of-Nummernrevue. Bei einem wie Gilbert dürfte wohl schon dies das Wohlwollen des Publikums finden, zumal des älteren, das die Strophen oder zumindest die Refrains noch ohne weiteres mitsingen könnte. Zum Beispiel „Durch Berlin fließt immer noch die Spree“ – das hatte schon Marlene Dietrich im Programm, und von 1958 bis in die 70er Jahre war diese von Vater Jean vertonte Liebeserklärung Robert Gilberts an seine Geburtsstadt die Erkennungsmelodie der SFB-Abendschau.

Chanson-Nette - ein waschechter Berliner Exportartikel

Oder „Am Sonntag will mein Süßer mit mir segeln geh'n“: Das war erstmals 1929 ein Erfolg, kam 1961 als Titelsong eines Kinofilms erneut in die Charts, verhalf 1969 Wencke Myhre zum Hit, und sogar die Fab Four haben sich daran versucht. Zugegeben nur privat, doch das wirkte bis ins Studio von Radio Luxemburg hinein: Als George Harrison im Interview zu einer neuen Beatles-Platte ein wenig deutsch parlierte und um deutsches Lied gebeten wurde, stimmte er ein paar Takte von Robert Gilberts altem Segelsonntagssong an.

Flirt an der Tanke. Auch "Hallo, Du süße Frau", Hit aus dem Ufa-Tonfilm von 1930 "Die Drei von der Tankstell", erklingt bei der Gilbert-Hommage. Hier Lilian Harvey und Willy Fritsch in einer Originalszene beim tändeln.
Flirt an der Tanke. Auch "Hallo, Du süße Frau", Hit aus dem Ufa-Tonfilm von 1930 "Die Drei von der Tankstell", erklingt bei der Gilbert-Hommage. Hier Lilian Harvey und Willy Fritsch in einer Originalszene beim tändeln.

© imago stock&people

Material für solch eine gesungene Hitliste gäbe es also genug, aber das war der „Chanson-Nette“, auch sie eine Friedrichshainer Kiezpflanze, zu wenig. Ein biografisch-musikalisches Programm sollte es sein, nicht nur zum Amüsement, sondern auch zur Belehrung über den Menschen Gilbert, dies aber in höchst unterhaltsamer Weise. Und so grub sie sich – unterstützt von Elisabeth Trautwein-Heymann, der Tochter von Gilberts Lieblingskomponisten Werner Richard Heymann – durch biografische und musikalische Archive, wohl mit derselben Beharrlichkeit, mit der sie einst Medizin studiert hatte. Mit der Begeisterung auch, mit der sie seit den 90ern einen parallelen Weg in die Kabarett- und Chanson-Welt vornehmlich der 20er Jahre eingeschlagen hatte, samt Schauspiel-, Gesangs- und Tanzunterricht, bis aus Jeanette Urzendowsky die „Chanson-Nette“ wurde, erfolgreich auf Kleinkunstbühnen in Berlin, Wien, ja selbst Rom, Nizza, Namibia - ein waschechter Berliner Exportartikel,
Herz mit Schnauze, wie man so schön sagt.

Henry Nandzik - ein talentierter Komiker und hinreißender Sänger

Das Material hat sie in eine spannende, angenehm konsumierbare, immer am Leben Gilberts sich entlang hangelnde Erzählform gebracht, gemeinsam mit Bühnenpartner Henry Nandzik, einem Hans-Eisler-Absolventen, ebenso talentiert als Komiker wie als hinreißender Sänger. Mit Erfahrung in den einschlägigen Theatern Berlins, vom einstigen Metropol-Theaterüber das Theater des Westens bis zu Friedrichstadt-Palast und BE. Aufwendige Requisiten? Brauchen sie nicht, Barhocker, Stühle, ein Tisch genügen, und ein Regenschirm tut's auch, wenn Chanson-Nette als ulkiges Cowgirl ihr Seufzerlied vergeblichen Liebessehnens aus „Annie Get Your Gun“ schmettert: „Am Schießeisen beißt keiner an" - begleitet vom Trio Scho, das virtuos ein ganzes Musical-Orchester ersetzt, Gennadij Desatnik mit Violine und Gitarre, Valeriy Khoryshman am Akkordeon, Alexander Franz am Baß.

"Am Schießeiesen beißt keiner an!" - Chanson-Nette schmettert als Cowgirl das Chanson aus "Annie Get Your Gun".
"Am Schießeiesen beißt keiner an!" - Chanson-Nette schmettert als Cowgirl das Chanson aus "Annie Get Your Gun".

© Nataliya Fenko

Das kommt ziemlich weit hinten im Programm, Nachkriegszeit eben, Gilbert hatte da schon ein bewegtes Leben hinter sich – als Evergreen-Poet wie auch als Politbarde. Aus seiner Feder flossen nicht nur Nonsens-Zeilen wie „Was kann der Sigismund dafür, dass er so schön ist“, romantische Refrains wie „Liebling, mein Herz lässt dich grüßen“ und sehnsuchtsvolle wie „Das gibt's nur einmal, das kommt nicht wieder“. Von ihm stammen nicht nur wehmütig-sentimentale Erinnerungen wie „Oh mein Papa, war eine wunderbare Clown!“ oder die Verbrüderungsarie der „Drei von der Tankstelle“ mit Willy Fritsch, Heinz Rühmann und Oskar Karlweis: „Ein Freund, ein guter Freund, das ist das Beste, was es gibt auf der Welt“, wie viele Gilbert-Texte vertont von seinem besten Freund Werner Richard Heymann.

"Hugh Hugh ei, ei, Karl May!": Henry Nandzik spielt und singt "Die Indianerin" aus dem von Robert Gilbert übersetzten US-Musical "Annie get your gun" des Autors Irving Berlin.
"Hugh Hugh ei, ei, Karl May!": Henry Nandzik spielt und singt "Die Indianerin" aus dem von Robert Gilbert übersetzten US-Musical "Annie get your gun" des Autors Irving Berlin.

© Nataliya Fenko

Gilberts Herz aber schlug auch weit links. Zeitweise sympathisierte er mit der KPD, verfasste neben den Texten der leichten Muse, die das „Weiße Rössel am Wolfgangsee“ und andere schöne Dinge des Lebens verherrlichten, unter dem Pseudonym David Weber auch politische Couplets und Arbeiterkampflieder wie das „Stempellied“, von Hanns Eisler vertont, von Ernst Busch vorgetragen: „Ohne Arbeit, ohne Bleibe/Biste null und nischt./Wie 'ne Flieje von der Scheibe/Wirste wegjewischt."

Jüdisch und linksorientiert - Gilbert musste flüchten

Neben seiner jüdischen Herkunft war das Grund genug, aus Deutschland vor den Nazis zu fliehen – erst nach Österreich, dann über Frankreich in die USA. Eine Zeit der Entbehrungen, der unfreiwilligen Untätigkeit begann, wie für so viele Emigranten, die auf ihre Muttersprache angewiesen waren. Hin und wieder deutschsprache Gedichte und Lieder, viel mehr war nicht drin. Erst nach der Rückkehr 1949 konnte Gilbert an die früheren Erfolge anknüpfen. Nun machten sich die in Amerika erworbenen Sprachkenntnisse aber dann doch bezahlt, Gilbert brillierte mit Übertragungen von Broadway-Musicals ins Deutsche: „Nur een Zimmerchen irjendwo, mit 'nem Sofa drin sowieso. Und Jasbeleuchtung, oh oh wäre det nich wundascheen.“ So wurde die Londoner Vorstadt-Göre Eliza Doolittle mit Cockney-Zungenschlag zur Berliner Kodderschnauze.

"Mir liegen die älteren Jahrgänge". Jeannette Urzendowsky singt Gilberts Kompliment an die Generation 60 plus. Das von Werner Richard Heymann vertonte Chanson gehörte zur Bühnenfassung von "Professor Unrat" nach Heinrich Manns Romanvorlage.
"Mir liegen die älteren Jahrgänge". Jeannette Urzendowsky singt Gilberts Kompliment an die Generation 60 plus. Das von Werner Richard Heymann vertonte Chanson gehörte zur Bühnenfassung von "Professor Unrat" nach Heinrich Manns Romanvorlage.

© Nataliya Fenko

Also eine, bei deren Darstellung Chanson-Nette sich nicht groß verstellen muss. Ein Temperamentsbolzen mit feuerrotem Haar, beherzt von den Alltagsfreuden der kleinen Ladenmädchen singend, dann wieder Claire Waldoff mimend, wie sie - „Warum liebt der Wladimir, jrade mir“ - kokett die eigene Attraktivität bilanziert. Oder sie tut sich im Duett mit Gegenpart Henry Nandzik als burschikos-emanzipierte Wildwest- Kunstschützin Annie Oakly dicke: „Alles, was du kannst, das kann ich viel besser, ja, ich kann alles viel besser als du“.

Seine Texte tragen bis heute den Sound Berlins hinaus in die Welt

Was hätte Robert Gilbert, der nach der Rückkehr seine Heimatstadt Berlin zwar nicht mied, aber nie wieder her zog und 1978 im Tessin starb, wohl zu dieser Würdigung seines Lebens und Schaffens gesagt?

Zu dem geschwinden, vom biografischen Leitfaden im Zaum gehaltenen Querfeldeinritt durch die kunterbunte Welt seiner Gassenhauer, zu den stimmungsvollen Darbietungen immergrüner Glücksfantasien, ja auch zu dem gnadenlosen Anprangern der gar nicht so goldenen Zustände in den Zwanziger Jahren? Schließlich zum begeisterten Zuspruch des Publikums, bei der Premiere und sicher auch danach? Vielleicht würde er, ein Spaßvogel nicht nur am Schreibtisch, sich selbst zitieren, mit einer Zeile aus Elizas erstem Song, dem Anlass entsprechend leicht verändertleicht verändert: „War det nich wundascheen?“

"Wenn ich sonntags in mein Kino geh'": Chanson-Nette und Henry Nandzik im Duett.
"Wenn ich sonntags in mein Kino geh'": Chanson-Nette und Henry Nandzik im Duett.

© Nasty Marx

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false