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Immer mit Papiermütze. Fünfmal in der Woche kommt Kaiza Murata in seinen früheren Imbiss.

© Kai-Uwe Heinrich

Japanischer Kult-Imbiss "Kaiza": Der Hähnchen-Kaiser von Schöneberg

50 Jahre lang führte Kaiza Murata einen Japan-Imbiss am Winterfeldtplatz. Als er hier anfing, stand noch der Sportpalast. Jetzt hat er seinen Laden verkauft.

Der Besuch des Japan-Imbiss „Kaiza“ in der Winterfeldtstraße 7, kurz vor der Potsdamer Straße, ist ein Ausflug in eine sehr spezielle gastronomische Enklave. Der in Rot und Weiß gehaltene Imbiss existiert kaum verändert seit 50 Jahren. Beim Betreten riecht es nach Frittieröl und Hühnerbrühe. Zwei Männer und eine Frau hinter dem Tresen begrüßen in asiatisch gefärbtem Deutsch mit der ihnen eigenen Sprachmelodie die Gäste. Viele haben arabische oder türkische Wurzeln und wohnen im sogenannten Sozialpalast an der nahen Pallasstraße.

Bei „Kaiza“ speisen sie preiswert und garantiert Schweinefleisch-frei. Auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus dem Telekom-Standort ein paar Häuser weiter und Generationen von Taxifahrern zählen zur Stammkundschaft. Bestellt wird überwiegend das panierte Hähnchenschnitzel „Tori Katsu“, in fünf Minuten serviert, mit Soße, Reis und Krautsalat 7,20 bis 7,90 Euro. Vor 50 Jahren kostete das Gericht 3,50 DM.

„Damals alles billig, heute alles teuer“, meint Kaiza Murata. Mit seiner Schürze und dem Papierkäppi auf dem Kopf scheint der fast achtzigjährige, spindeldürre Mann wie aus der Zeit gefallen. Seit einem halben Jahrhundert betreibt er den kleinen Imbiss. Noch immer sind zu den Stoßzeiten mittags und abends die vier Tresenplätze direkt um die zwei Frittiertöpfe mit heißem Öl und den vierflammigen Gasherd ständig besetzt, daneben gibt es noch zwei Stehtische für Selbstbediener.

In einem mit Lampions, Kalligrafie-Fahnen und Japangemälden dekorierten Raum können noch einmal zwanzig Menschen auf roten Kunstledersitzen an kleinen Resopaltischen Platz nehmen. Dort wird bedient, die Speisen kosten etwa einen Euro mehr. Stammkunden schlürfen, während sie auf ihre Bestellung warten, eine köstliche Eierstich-Hühnersuppe, die gratis in einem Espressopappbecher über den Tresen gereicht wird.

„Du kannst es mit deinen Fingern pflücken und es essen“

An der Einrichtung hat sich in den letzten Jahrzehnten wenig geändert, obwohl mehrfach renoviert wurde. Auch die in Petersburger Hängung platzierten Speiseempfehlungen zählen seit Jahrzehnten zum Inventar. Die Inhalte würden beim Dada-Gedichtwettbewerb die vorderen Plätze belegen. „Du kannst es mit deinen Fingern pflücken und es essen“, steht auf laminierten Blättern, „Romantische Rolle Salat“ oder „Hausgemachte Kochkunst, sehr gutes Wohlbefinden 33 Minuten nach dem Essen“. Ganz rätselhaft ist die Werbung: „Es wird vorteilhaft. Damit es viele es gibt. Wenn es viele es gibt.“ Die Texte hat Kaiza Murata selbst geschrieben. Er kommt aus Tokyo. Dort hatte er in den Sechzigerjahren eine Ausbildung als Koch absolviert.

In einem auf Hühnergerichte spezialisierten Teriyaki-Restaurant kam dem Mittzwanziger eine Idee: Wenn man eine Hühnerbrust einmal fast quer teilt und sie dadurch in der Größe verdoppelt, erhält man ein richtig großes Schnitzel. Dazu ließ Murata den oberen Flügelknochen am Fleisch, klopfte das Brustfleisch flach, panierte es einmal mit Mehl, dann mit Eigelb und einer Mischung aus Maismehl und Semmelbrösel und frittierte das Fleisch in einer speziellen Mischung aus heißem Sonnenblumen- und Rapsöl. Es war die Geburt des Tori-Katsu-Gerichtes, außen kross, innen saftig.

Was den jungen Mann nach West-Berlin reisen ließ, verrät der alte Murata nicht. Sein Deutsch ist auch nach 50 Jahren rudimentär. Auf jeden Fall schiffte er von Yokohama nach Marseille ein, und gelangte über Hamburg in die Mauerstadt. Nach Stationen im Kempinski und dem China-Klassiker Tai Tung im Bikini-Haus eröffnete er Ende August 1968 sein eigenes Lokal.

"Der erste Japan-Imbiss" weltweit

Damals stand noch der Sportpalast fußläufig um die Ecke. Als Fan von Radrennen hatte Murata einige Sechs-Tage-Rennen gesehen, auch Holiday-on-Ice-Vorstellungen und Konzerte. Er kann sich aber an keine Namen erinnern. Ein Schwarzer, der die Gitarre mit links spielte. Jimi Hendrix? „Weiß nicht, vielleicht“, antwortet Murata. Es ist eben alles lange, lange her. In den Siebzigerjahren hatte sich Murata seinen Schnitt und den Namen Tori Katsu patentieren lassen, und nannte sich „Der erste Japan-Imbiss“ weltweit. Wer ihm das Gegenteil beweise, dem versprach er 5000 Mark.

1968 öffnete der Japan Imbiss "Tori Katsu" mit der patentierten Spezialität Tori Katsu, einem speziell geschnittenem Hähnchenschnitzel.
1968 öffnete der Japan Imbiss "Tori Katsu" mit der patentierten Spezialität Tori Katsu, einem speziell geschnittenem Hähnchenschnitzel.

© Kai-Uwe Heinrich

Wert legt er darauf, dass er das Prinzip Nachhaltigkeit immer schon praktizierte. Aus den Hähnchenkeulen schneidet er bis heute mit rasiermesserscharfen Sugimoto-Messern aus Japan dünne Teriyaki-Steaks. Die Flügel stehen als „Chicken Wings“ auf der Karte. Aus den restlichen Teilen der Hähnchen werden die beliebte Sauer-Scharf- und Eierblumen-Suppe gekocht, außerdem die Soßen, etwa 50 Liter jeden Tag. Seit über vierzig Jahren arbeitet Kaiza Murata mit demselben niederländischen Geflügelzüchter zusammen.

Nach dem Abriss des Sportpalastes Anfang der 70er Jahre ging es mit der Gegend zunehmend bergab, zu Muratas Kunden zählte mittlerweile auch das Milieu aus Halb- und Unterwelt, Frauen, die sich rund um die Kurfürsten- und die Potsdamer Straße für kleines Geld anboten, und ihre Zuhälter. Anfang der 80er brachte die Schöneberger Hausbesetzerszene neue Kunden. Teilweise waren im Einzugsgebiet des „Kaiza“ acht Häuser besetzt. Die Bewohner mochten „Tori-Katsu“, die Polizei auch.

Drei Millionen Tori-Katsu

Viele Jahre blieb der Kiez problematisch. Doch seit Mitte des Jahrzehnts zählt die Gegend um die Potsdamer Straße aufgrund von massiver Bebauung mit Eigentumswohnungen, zunächst am neuen Gleisdreieckpark und jetzt auch an der Kurfürstenstraße, zu den gefragten Innenstadtquartieren. „Heute ist das hier sehr schick geworden, die Häuser sind alle saniert und schön angestrichen“, stellt Murata fest. Im Kiez hat er sich 50 Jahre lang wohlgefühlt. Der habe eben Flair. „Auch durch den Winterfeldtplatz mit dem großen Markt am Samstag“, sagt Murata.

Mit fast achtzig Jahren hat er sein Geschäft an drei seiner Angestellten verkauft. Noch immer kommt er jede Woche an fünf Tagen vorbei und schneidet Tori-Katsu-Schnitzel und Teriyaki-Hähnchenkeulen. Seit mehr als zehn Jahren bietet das „Kaiza“ auch kleine panierte Hähnchenwürfel und sogar einen Hähnchenburger an. Die überwältigende Mehrheit der Kunden bestellt aber täglich Tori-Katsu. Wie viele er wohl verkauft hat? „Vielleicht drei Millionen“, schätzt Murata und zuckt die Schultern. „Egal“, meint er. Eine Weile will er noch arbeiten. Was soll er sonst machen? „Fernsehen und mich langweilen? Dann lieber noch ein paar Tori-Katsu schneiden.“

Winterfeldtstraße 7, Schöneberg, Mo – Fr 11-22, Sa + So 12 – 23 Uhr

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