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Exilant aus Berlin. Der Autor Stefan Großmann.

© IMAGNO/Ullstein

Jahrzehnte nach dem Tod des Autors: Historischer Ullstein-Roman erstmals erschienen

Kurz vor seinem Tod 1935 schrieb Stefan Großmann seinen Ullstein-Roman. Jetzt erst wurde das Verlags- und Zeitporträt "Wir können warten" gedruckt.

Nachträglich scheint der Buchtitel geradezu gemünzt auf den Stapel der Manuskriptseiten: „Wir können warten“. Knapp 80 Jahre dauerte es, bis das Typoskript, das im Literaturarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek vor sich hindämmerte, den Weg in die Setzerei fand. Und dabei hatte es vom Autor, dem Journalisten und Schriftsteller Stefan Großmann, nicht mal letzten Schliff erhalten, zeigte noch alle Ungenauigkeiten, Brüche und Flüchtigkeiten des Schreibens. Doch hatte der todkranke, fast mittellos in Wien lebende Exilant nicht mehr die Zeit, dies zu polieren: Am 3. Januar 1935 starb Großmann, knapp zwei Jahre nach der Flucht aus Berlin, dessen neuen Machthabern als Jude und linksliberaler, gegen Hitler anschreibender Literat doppelt verhasst.

Doch nach Berlin, für zwei Jahrzehnte Wahlheimat des gebürtigen Wieners, führte sein letztes, nun endlich gedrucktes Werk zurück, dessen Arbeitstitel noch „Der Roman Ullstein“ lautete. Dem liberalen Verlagshaus war Großmann selbst über Jahre verbunden gewesen, erst als Wiener Korrespondent, dann als Feuilletonchef der „Vossischen Zeitung“ – auch nach seinem Ausscheiden 1919 ein scharfsichtiger Beobachter der kulturellen, politischen und medialen Entwicklung in Berlin. Einer fatalen Entwicklung, hin zum 30. Januar 1933 und weit darüber hinaus, die Großmann nicht absehen, sich wohl auch nie vorstellen konnte, sonst hätte er dem Roman kaum solch einen resigniert-hoffnungsvollen Titel gegeben: Für die Millionen Opfer von Krieg und Holocaust war alles Warten vergebens.

Wie Großmann war auch das Haus Ullstein den Nazis doppelt verhasst: jüdische Besitzer, liberale Grundhaltung. Ein willkommenes, trotz aller wirtschaftlich-medialen Macht leichtes Angriffsziel, war doch der Verlag in Folge der Weltwirtschaftskrise angeschlagen und die Eigentümerfamilie völlig zerstritten. Die fünf Söhne des Verlagsgründers Leopold Ullstein führten das Haus offiziell gemeinsam, tatsächlich aber verstrickt in einen heillosen Bruderkrieg.

„Wir können warten“ ist der Schlüsselroman zu diesem Krieg, der 1934 in der Enteignung und „Arisierung“ des Hauses Ullstein mündete. Wobei sich Großmann einer simplen 1:1-Umsetzung versagte und etwa aus den fünf Brüdern, nun unter dem Familiennamen Kronstein, sechs machte, die sich schon daher der eindeutigen Identifizierung mit realen Vorbildern widersetzen. Romanfiguren, die gegeneinander intrigieren, im Kampf um Leser wie Inserenten und gegen die Repressionsversuche des Staates immer hilfloser agieren, ihre liberalen Prinzipien vernachlässigen, zuletzt eher lavieren als kämpfen. Bei Ullstein sei „das Ideal: ein ,Völkischer Beobachter‘ mit der Genehmigung des Rabbinats“, so hat es Carl von Ossietzky 1932 überspitzt formuliert, das trifft in der Tendenz auch aufs Haus Kronstein zu. „Die Presse hat versagt“, bilanzierte der Hermann Ullstein die Niederlage. „Es ist allerdings fraglich, ob eine heftigere Gegenwehr viel verändert hätte.“

Doch ist „Wir können warten“ nicht allein der Roman eines Verlagshauses, dessen Urstoff schon Hermann Ullstein in seiner 2013 wiederaufgelegten Chronik „Das Haus Ullstein“ und Sten Nadolny 2003 in seinem „Ullsteinroman“ gestaltet hatten. Es ist ebenso das subtile Porträt einer Familie wie einer Gesellschaft in der Zeit eines katastrophalen Umbruchs, mit psychologisch fein ziseliertem Personal und einer Handlung mit geschickt geführtem Spannungsbogen, der in den titelgebenden, leider doch zu optimistischen Schlusssatz mündet. Kurz: ein spät entdeckter, nun glücklich gehobener Schatz.

— Stefan Großmann: Wir können warten oder Der Roman Ullstein. (Hrsg. und mit einem Vorwort versehen von Erhard Schütz.) Verlag für Berlin-Brandenburg, Berlin. 384 Seiten, 22,99 Euro.

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