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Jahrzehnte keinem aufgefallen: NS-Schriftzug von Brandenburger Feuerwehrhaus entfernt

Jahrzehnte lang prangte eine verbotene Parole der Nationalsozialisten am Haus der Freiwilligen Feuerwehr in Jänschwalde. Gemerkt haben will das niemand.

Von Sandra Dassler

Alle sind daran vorbeigefahren. Oder vorbeigelaufen. Haben davorgestanden, Fotos gemacht, Feste gefeiert: Kommunal- und Landespolitiker, Abgeordnete, Wirtschaftsbosse, Künstler, Sportler – ja, auch Journalisten. Kritische Leute, belesene Leute – niemand hat sich an dem Spruch am Gebäude der Freiwilligen Feuerwehr in Jänschwalde gestört.

Und plötzlich soll er ein Beleg dafür sein, dass Jänschwalde ein „rechtes Nest“ ist und die ehrenamtlichen Männer von der Freiwilligen Feuerwehr unbelehrbare, ewig-gestrige Nazi-Sympathisanten?

Viele Jänschwalder sind empört und verletzt. Sehen ihr knapp 700-Seelendorf bei Cottbus, das dem nahe gelegenen berühmt-berüchtigten Braunkohle-Kraftwerk und einem noch immer aktiven Tagebau seinen Namen gab, zu Unrecht verunglimpft.

Der Stein des Anstoßes war eine Parole am Feuerwehrgebäude: „Alles für Deutschland“ stand da und zwar seit 1935 – mit einer kurzen Unterbrechung. Mehr als 80 Jahre lang ist das keinem aufgestoßen. Zumindest seit Fertigstellung des Feuerwehranbaus vor 15 Jahren lag das auch daran, dass man den Spruch kaum sehen konnte.

„Aber auch als es den Anbau noch nicht gab und die Schrift noch gut sichtbar war, dachte sich keiner etwas dabei“, sagt Friedrich Rosinski. Er kam 1963, mit 16 Jahren, zur Freiwilligen Feuerwehr Jänschwalde. Da war der Spruch schon mehr als ein Vierteljahrhundert da.

Aber erst jetzt hat er erfahren, dass „Alles für Deutschland“ eine Parole der SA (Sturmabteilung) war, der paramilitärischen Kampforganisation der NSDAP. Viele SA-Leute trugen sogenannte „Ehrendolche“, auf denen „Alles für Deutschland“ stand. Deshalb ist die Parole verboten.

Schriftzug wurde übermalt

„Da musste man natürlich handeln“, sagt Friedrich Rosinski: „Es ist gut, dass der Slogan inzwischen übermalt wurde.“ Tatsächlich sieht man nunmehr nur eine graue Fläche am Feuerwehrhaus und Bürgermeister Helmut Badtke (parteilos) ist überzeugt, dass die meisten Einwohner froh über die Entfernung der Parole sind.

Als das Gebäude der Jänschwalder Freiwilligen Feuerwehr 1935 eingeweiht wurde, war Adolf Hitler bereits an der Macht und eine SA-Parole keine Besonderheit. Nach Kriegsende hatten die Überlebenden sicher anderes zu tun als sich um Parolen zu kümmern, sagt ein Einwohner, der sich mit der Geschichte seines Heimatortes befasst hat, seinen Namen aber nicht nennen möchte.

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Erst in den 70ern oder Anfang der 80er Jahre – so genau weiß er das nicht mehr – seien die DDR-Behörden auf den Spruch aufmerksam geworden, erzählt er: „Jänschwalde gehörte damals zum Kreis Guben und die SED-Kreisleitung oder der Rat des Kreises ordnete die Entfernung des Slogans an“. Allerdings wohl nicht, weil er eine SA-Parole war, vielmehr habe man sich an dem Wort „Deutschland“ gestört: „Zu dieser Zeit sprach man ja nur noch von DDR und BRD.“

Nach der Wende wurde der Spruch wieder aufgetragen

Nach der Wende 1989 und in der Euphorie über die deutsche Einheit fanden die Jänschwalder ihren alten Spruch wieder gut. Und ließen ihn an jener Stelle aufmalen, wo er früher in fetten Lettern aus Beton geprangt hatte.

Und wieder gingen 30 Jahre ins Land, ehe jemandem auffiel, dass hier eine Nazi-Parole an einem öffentlichen Gebäude stand. Warum es sich gerade jetzt in den sozialen Medien verbreitete und wer es eigentlich entdeckte, darüber rätseln nicht nur die Jänschwalder.

Mag sein, dass die Berichterstattung über zwei AfD-Politiker in Sachsen und Sachsen-Anhalt dazu beitrug. Sie hatten „Alles für Deutschland“ in Reden beziehungsweise auf Wahlplakaten verwendet und wurden daraufhin angezeigt. Möglicherweise spielte eine Rolle, dass in Jänschwalde und mehr noch im benachbarten Heinersbrück bei den letzten Landtagswahlen besonders viele Menschen die AfD wählten.

Der Schriftzug stand unter dem Turmfenster der Feuerwehrwache.
Der Schriftzug stand unter dem Turmfenster der Feuerwehrwache.

© Simone Wendler

Manche Einwohner vermuten auch, dass es damit zu tun hat, dass ihr Dorf seit einiger Zeit immer wieder auf sich aufmerksam macht, weil die meisten Bewohner gegen eine am Kraftwerk geplante Müllverbrennungsanlage sind. Nach den extremen Belastungen durch die Braunkohle wollen sie jetzt – wie ein Aktionsbündnis fordert – nicht auch noch als Müllkippe der Nation dienen.

Jahrzehnte lang hätten sie die unmittelbare Nähe des Kraftwerks mit allen Nebenwirkungen ertragen, erzählen sie: mit Luftverschmutzung, Geruchsbelästigung und dem immer noch aktiven Tagebau sowie mit extrem gesunkenem, weil abgesenktem Grundwasser. Neuerdings sind sogar einige umliegende Seen vom Austrocknen bedroht

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In der geplanten Anlage, die vom jetzigen Kraftwerksbetreiber Leag und dem Entsorgungs- und Energieunternehmen Veolia betrieben werden soll, könnten ab 2024 etwa 66 Tonnen Müll pro Stunde verbrannt werden, darunter auch Plastik. Jänschwalde und andere umliegende Orte fürchten genau wie Umweltverbände immense Schäden für Gesundheit und Natur. Der Energiekonzern Leag weist die Kritik zurück und argumentiert damit, dass die geplante Anlage die neuesten Umweltauflagen erfülle und ungefährlich sei.

Trotzdem haben viele Jänschwalder als Zeichen des Protests inzwischen lila Kreuze an ihren Grundstücken aufgestellt. Vor etwa drei Wochen sei eine Gruppe fremder Menschen durchs Dorf gelaufen, erzählen die Einwohner. Sie hätten fast jedes Grundstück und jedes Gebäude fotografiert. Kurz darauf seien die ersten Fotos mit der „SA-Parole im Nazi-Dorf“ in den sozialen Medien aufgetaucht.

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