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Schön, aber giftig. Das Silvester-Feuerwerk schleudert riesige Mengen Feinstaub in die Luft.

© AFP, Odd Andersen

Jahreswechsel in Berlin: Nach den Raketen steigt die Feinstaub-Wolke auf

Silvester erreicht die Luftbelastung in Berlin Rekordwerte. Messstationen zeigen die Spuren der Nacht – die nicht nur wegen des Feuerwerks eine der ungesündesten des Jahres ist.

Zum Jahreswechsel herrschen in Berlin chinesische Verhältnisse: Die Luftbelastung erreicht dann Werte wie sonst eher in Peking und anderen asiatischen Millionenstädten. Oder in deutschen Raucherecken. Erfahrungsgemäß ist der erste der jährlich 35 Überschreitungstage, die die EU-Feinstaubrichtlinie pro Jahr erlaubt, bereits am Neujahrstag verbraucht. Wobei das Limit von 50 Mikrogramm Feinstaub pro Kubikmeter Luft sich aufs Tagesmittel bezieht. Dieses Mittel ergibt sich aus einem Feiertag mit wenig Straßenverkehr einerseits – und den Nebenwirkungen einer Silvesternacht, bei deren genauer Betrachtung einem die Luft wegbleiben kann, andererseits.

Nach Einbruch der Dunkelheit ist die Luft noch rein

Elf der Luftmessstationen, die die Berliner Umweltverwaltung betreibt, registrieren die Feinstaubbelastung im Fünfminutentakt – und liefern die Vorlage für einen kleinen exemplarischen Silvesterkrimi, der zum Jahreswechsel 2016/17 in der Frankfurter Allee spielt, wo zwischen Finow- und Weichselstraße, also ein paar Schritte stadteinwärts vom S-Bahnhof, ein Messcontainer am Gehweg steht.

Nach Einbruch der Dunkelheit ist die Luft noch rein; Messcontainer MC 174 meldet Feinstaubwerte um 30 Mikrogramm pro Kubikmeter. Tagsüber waren es dank leichtem Westwind sogar nur 25, obwohl schon hier und da geknallt wurde. Um 17.20 Uhr explodiert dann mindestens ein Böller nahe der Metallrohre, die die Luft in den Container saugen: Der Feinstaubwert schießt auf 94 Mikrogramm. Eine Viertelstunde später hat sich die Lage wieder beruhigt (35 Mikrogramm), aber nach 18 Uhr beginnt ringsum die Party, die nach 35 Minuten mit 256 Mikrogramm Feinstaub ihren ersten pyrotechnischen Höhepunkt erreicht. Ab 19 Uhr sinkt die Belastung nur noch hin und wieder kurz unter den (Tages-)Grenzwert. Gegen 22 Uhr kommt’s mit Werten nahe 200 Mikrogramm noch mal richtig dicke, bevor gegen 23.40 Uhr letztmalig durchgelüftet werden kann (64 Mikrogramm).

Erst gegen vier Uhr früh ist alles verballert

Danach bleiben die Werte dreistellig. In den ersten fünf Minuten des Jahres 2017 sind es 499 Mikrogramm, in den nächsten fünf 811. Dann wird kurz nachgeladen für den Höhepunkt der Nacht, der messtechnisch um 0.25 Uhr ansteht: 1832 Mikrogramm Feinstaub pro Kubikmeter Luft! Diese Ladung hat sich nach zehn Minuten verzogen, aber dürfte maßgeblich zum Stundenmittelwert von 699 Mikrogramm beitragen.

Erst gegen 2 Uhr in der Neujahrsnacht werden die Werte wieder zweistellig. Und gegen halb vier sind die Vorräte so weit verballert, dass die Werte wieder unters 50-Mikrogramm-Limit sinken.

Wir sollten, trotz alledem, wirklich nicht die Leberwerte aus den Augen verlieren. Die sind in der Silvesternacht auch rekordverdächtig.

schreibt NutzerIn Kapitel

Die Dreckswolke zieht Richtung Oderland

Deutschlandweit setzt das Feuerwerk nach Angaben des Umweltbundesamtes (UBA) rund 4000 Tonnen Feinstaub frei. Die Menge entspricht etwa 15 Prozent dessen, was der Straßenverkehr jährlich verursacht.

Auf einer Online-Darstellung des UBA kann man später sehen, wie der Wind der Neujahrsnacht 2017 die Dreckwolke aus Berlin rasch nordostwärts schiebt Richtung Oderland. Die Sachsen und Bayern haben weniger Glück, denn dort herrscht Flaute. Um München kann man zum Neujahrsspaziergang selbst am Nachmittag des 1. Januar 2017 nicht wirklich an die frische Luft gehen – mangels frischer Luft. Wer im neuen Jahr mehr Sport treiben wollte, hat für den Neujahrstag dort einen guten Grund, auf die Joggingrunde zu verzichten. Für den 1. Januar 2018 dürfte diese Ausrede angesichts des prophezeiten Sturms allerdings entfallen.

Silvester ist das Verbrennungsfest schlechthin

Nun ist der Tagesgrenzwert von 50 Mikrogramm ein politisch entstandener. Für die gesundheitliche Wirkung der kleinen Partikel gilt: Je weniger, desto besser. Das betrifft insbesondere jenen Teil, der bei Verbrennung entsteht – und Silvester ist das Verbrennungsfest schlechthin. Während etwa Pollen nur Allergiker plagen, können es winzige Rußpartikel bis in die Blutbahn gelangen, wo sie Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebs auslösen können. Hinzu kommt im speziellen Fall von Silvester, dass die Schwefeldioxid-Werte sich mal eben vertausendfachen. Denn anders als Autos werden Böller nicht mit schwefelfreiem Kraftstoff angetrieben, und im Gegensatz zu Kraftwerken haben sie auch keine Rauchgasreinigung.

Auch Schwermetalle werden freigesetzt

Ein weiterer Teil der ungesunden Wahrheit sind die Schwermetalle. Sie machen das Feuerwerk erst bunt. Und noch ungesünder, wenn man die Dämpfe einatmet. Im Zweifel dürfte es gesünder sein, in der Wohnung zu feiern – sofern die Partygesellschaft sich nicht gerade im Schein vieler Kerzen (Feinstaub!) zum Bleigießen (Schwermetall!) versammelt hat.

Wer am 2. Januar noch frei hat und dann an der voraussichtlich wieder frischen Luft seinen Neujahrsspaziergang nachholen will, kann gleich mal zum Recyclinghof seines Vertrauens wandern: Das UBA und auch die BSR bitten dringend, die Blei-Orakel nicht in den Hausmüll zu werfen, sondern korrekt als das zu entsorgen, was sie nüchtern betrachtet sind: Schadstoffe.

Silvesterkarten des UBA seit 2002: http://gis.uba.de/website/silvester

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