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VBB-Geschäftsführerin Susanne Henckel fürchtet "erhebliche jährliche Mindereinnahmen" bei der Einführung eines 365-Euro-Tickets.

© Andreas Klaer

Jahresticket für 365 Euro: Unruhe im VBB nach Michael Müllers Vorstoß

Geschäftsführerin des Verkehrsverbundes Henckel befürchtet „erhebliche jährliche Mindereinnahmen“ für die Verkehrsbetriebe. Woher soll das Geld kommen?

Nach dem Vorstoß des Regierenden Bürgermeisters Michael Müller (SPD) für ein 365-Euro-Jahresticket für Fahrgäste in Berlin tritt der Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg (VBB) auf die Bremse. VBB-Geschäftsführerin Susanne Henckel hat Müllers Vorschlag in einer am Dienstagnachmittag verbreiteten Erklärung zurückgewiesen. Parallel machen die Verkehrsunternehmen seit Monaten wegen der anstehenden Gespräche im VBB-Aufsichtsrat im September Druck, damit die seit 2017 stabilen Fahrpreise 2020 wieder angehoben werden.

VBB-Chefin Henckel warnte vor einem Alleingang Berlins und vor jährlichen Verlusten in Höhe von mehreren Millionen Euro. „Eine Lösung nur für Berlin kann nicht isoliert betrachtet werden, denn sie hat auch Auswirkungen auf die Fahrgäste in Brandenburg“, sagte Henckel. Ein 365-Euro-Ticket für Berlin „bedeutet erhebliche jährliche Mindereinnahmen“ für VBB-Unternehmen wie BVG, S-Bahn, Deutsche Bahn, die Bahnunternehmen ODEG und NEB sowie weitere Verkehrsunternehmen, die in und um Berlin unterwegs sind. Um das durch Müllers 365-Euro-Ticket entstehende Defizit auszugleichen, müssten mehrere Millionen Euro „durch die öffentliche Hand“ bereitgestellt werden.

Zugleich zog Henckel die Argumentation des Regierenden Bürgermeisters in Zweifel. Müllers Ziel ist es, dass mehr Berliner vom Auto auf U- und S-Bahn, Tram und Bus umsteigen. Bereits beim Landesparteitag im November 2018 hatte die SPD sich für das neue Ticket ausgesprochen. Jetzt bekräftigte Müller im RBB, er wolle das Thema nicht auf die lange Bank schieben: „Es ist mir schon ernst.“ Es geht um eine Halbierung der Kosten für ein Monatsticket – für den Klimaschutz, aber auch als sozialpolitische Maßnahme.
Henckel erklärte, dass die Rechnung nicht so einfach aufgeht. „Ob Menschen lieber Bus und Bahn statt des Autos nutzen, entscheidet sich hauptsächlich über die Qualität und nicht allein über den Fahrpreis“, sagte sie. Wesentliche Aspekte eines erfolgreichen Nahverkehrssystems seien „vor allem Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit, Sicherheit und Sauberkeit“.

Zugleich erinnerte Henckel daran, dass für ein 365-Euro-Ticket Absprachen mit dem Land Brandenburg und den 38 Verkehrsunternehmen des VBB nötig seien. Ein Sprecher des Brandenburger Infrastrukturministeriums sagte zu Müllers Vorstoß: „Es werden immer wieder Vorschläge gemacht.“ Auch dieser werde sicher in den Gremien des VBB besprochen.

In Berlin und Brandenburg ist das Angebot nicht ausgebaut worden

Ein weiteres Problem: Die Stadt Wien, Vorbild für Müllers Idee, hatte ihr Angebot im Nahverkehr massiv ausgebaut, bevor das 365-Euro-Ticket eingeführt wurde, und parallel andere Tickets deutlich verteuert. Zudem fließen drastisch erhöhte Parkgebühren in den Nahverkehr, auch der Anteil der Straßen, in den Parkgebühren erhoben werden, wurde ausgeweitet.

Zwar wächst in Wien seither die Zahl der Fahrgaste, doch nach einer Studie des Beratungsunternehmens Civity hat es nicht ursächlich mit dem 365-Euro-Ticket zu tun, sondern entspricht dem Wachstum der Stadt – also der steigenden Nachfrage. Der Anteil des Nahverkehrs am Gesamtverkehr habe sich nicht verändert.

In Berlin und Brandenburg ist das Angebot trotz wachsender Nachfrage über Jahre nicht ausgebaut worden, das wird erst jetzt nachgeholt, besonders auf den wichtigen Strecken für Berufspendler. Hinzu kommt der nötige Kauf von neuen Fahrzeugen. „Bereits jetzt stoßen wir im Bus- und Bahnverkehr der Metropolregion vielerorts an unsere Kapazitätsgrenzen“, sagte VBB-Chefin Henckel.

Müller schließt eine Erhöhung der Parkgebühren aus

Fest steht: Irgendwo muss das Geld herkommen. Derzeit werde in der Arbeitsgemeinschaft Tarif Berlin untersucht, ob neben den Zuschüssen des Landes und den Ticketeinnahmen eine „dritte Finanzierungssäule“ möglich ist, sagte Henckel. Dem Vernehmen nach dürfte es neben anderen Modellen auch um eine City-Maut gehen.

Müller schloss jedoch schon mal eine Erhöhung der Parkgebühren nach Wiener Vorbild aus, verwies aber auf die Ausweitung der Parkraumbewirtschaftung in den Bezirken. Daneben schlägt Müller vor, dass auch die vom Bund geplante CO2-Steuer für den Umbau genutzt wird. Der Regierende Bürgermeister sprach wörtlich von „vielen Maßnahmen, die ineinander greifen müssen“.

Unruhe im VBB

Doch bis es soweit ist, müssen die VBB-Unternehmen über die Runden kommen. Auch deshalb herrscht nicht nur bei Grünen und Linken in der Koalition Verwunderung über Müllers Vorstoß – weil die Finanzierung völlig unklar sei. Und Müllers Vorstoß sorgt für Unruhe im VBB.

Denn dort zeichnete sich seit Monaten ab, dass es nach drei Jahren ohne Anpassung der Fahrpreise nicht mehr so weiter geht. Das Firmenticket wird günstiger, ab August ist das Schülerticket in Berlin kostenlos und VBB-weit gibt es das neue Azubi-Ticket für 365 Euro. Bei der BVG kommt noch der Tarifabschluss vom April für die 14.500 Beschäftigten erschwerend hinzu.

Schon damals hatte eine BVG-Sprecherin erklärt, die Kosten für den Tarifabschluss in Höhe von 100 Millionen Euro müssten durch höhere Zuschüsss des Landes oder höhere Fahrpreise ausgeglichen werden. Auch eine VBB-Sprecherin hatte erklärt, um die Qualität zu halten, brauche es auch „Zuwächse bei den Ticketeinnahmen“.

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