zum Hauptinhalt
Berliner Gesichter: Die 13 Menschen, die unsere Autoren 2018 besonders beeindruckt haben.

© Tsp

Jahresrückblick aus den Bezirken: Zwölf Berliner, die uns 2018 begeistert haben

Ein persönlicher Rückblick unserer Bezirksreporter auf Menschen, die im vergangenen Jahr Besonderes geleistet haben - und ein Blick nach Brandenburg.

THEKENSUPERKRAFT: MATTHIAS GEHRHUS, PANKOW

Selbst Gott hat schon Bier bei ihm bestellt. Ein Wunder? Kein Wunder, denn Wirt Matthias Gehrhus versucht das, was der Kirche immer schlechter gelingt: Den Menschen einen Anlaufpunkt bieten. In seiner „Bornholmer Hütte“ versammeln sie sich wie Wüstentiere am Wasserloch, wobei die Artenvielfalt zugenommen hat. Früher, so erzählt es der Kneipier in zweiter Generation, sei der Tresen eine reine Männerdomäne gewesen. „Alte Männer vor Molle und Korn.“

Matthias Gehrhus.
Matthias Gehrhus.

© Constanze Nauhaus

Aber die Zeiten ändern sich – und es wird nicht alles nur schlechter in Kiezhausen. Jetzt hat sich das Publikum verjüngt, mehr Frauen sind da als noch zu Seniors Zeiten. Der führte die 1904 eröffnete „Hütte“ seit Mitte der 50er Jahre, 1999 übernahm dann Matthias Gehrhus. Was gleich blieb? Die „angerauchte Patina“ der Wände – und dass er als Wirt „automatisch eine Art Kummerkasten“ sei. Was uns wieder zu Gott bringt: Der kam in der Gestalt eines jungen Mannes, Typ Wendeverlierer, in die Kneipe und wetterte darüber, dass Goethe ihm seine Texte stiehlt und er deswegen schon sieben Plagen geschickt habe. Anderthalb Stunden hörte Gehrhus ihm zu, bis er ihn nach Hause schickte. Man wird sich irgendwann wiedersehen.

KITAKRISENBEKÄMPFERIN: ELISE HANHARAN, MITTE

Am Anfang war eine Frau, am Ende eine der größten Kitademonstrationen der vergangenen Jahre in Deutschland. Mehr als 3000 Menschen kamen am 25. Mai im Herzen Berlins zusammen, um für mehr Kitaplätze zu demonstrieren. Dabei hatte sich Initiatorin Elise Hanharan zunächst etwas viel Kleineres vorgestellt, „so mit 300 Leuten“. Die 32-jährige US-Amerikanerin lebt in einem Plattenbau in Mitte, hat zwei Kinder und liebt ihren Job an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Für sie stand fest, nach der Elternzeit dorthin zurückzukehren.

Elise Hanharan.
Elise Hanharan.

© Privat

Doch dann verzögerte sich alles, weil sie keinen Betreuungsplatz für ihre Tochter fand – die „Kitakrise“ traf sie persönlich: „Ich hatte plötzlich das Gefühl: Keiner hört zu.“ Sie dachte: Wenn es einen Betreuungsanspruch gibt, dann muss der doch auch umgesetzt werden! Und sie hatte etwas so ansteckend Pragmatisches an sich, dass sie den Landeselternausschuss Kindertagesstätten (Leak) und die GEW schnell für eine Demo gewinnen konnte. So wurde aus einer kleinen Idee eine große Sache.

Eine typische Graswurzelbewegung, bestehend aus Eltern, die es nicht einsehen, ihre gesamte Elternzeit damit zu verbringen, Kitas abzutelefonieren und auf Wartelisten zu warten. Was es gebracht hat? Das Thema noch stärker auf die Agenda zu setzen. Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) will nun mit einer Fachkräfteoffensive den Erziehermangel bekämpfen und mit dem „Gute-Kita-Gesetz“ die Qualität der Betreuung verbessern.

RAPPER MIT ZOPF: ROMANO, TREPTOW-KÖPENICK

Seit 20 Jahren macht der Köpenicker Roman Geike schon Musik, unter seinem heutigen Künstlernamen Romano hat seine Karriere richtig Fahrt aufgenommen. Im Mai bekam das Video zu seinem Hit „Copyshop“ den Publikumspreis bei den Kurzfilmtagen in Oberhausen. Zu sehen ist, wie Romano mit Collegejacke und geflochtenen Zöpfen durch Hongkong tigert und über das Falzen und Lochen rappt.

Romano – bürgerlich Roman Geike.
Romano – bürgerlich Roman Geike.

© Imago/Star-Media

Er weiß, wovon er singt. Acht Jahre lang hat er in einem Copyshop gearbeitet, um neben dem Musikmachen Geld zu verdienen. Heute leistet er sich, seine langen blonden Haare jeden Morgen von seiner Köpenicker Lieblingsfriseurin flechten zu lassen, „da fängt der Tag schon mal gut an“. Die Idee mit den Zöpfen hat er sich beim Rap-Kollegen Snoop Dogg abgeguckt. Auf vielen Festivals ist Romano in diesem Jahr aufgetreten, dann kamen noch die Radio-Fritzen vom RBB und boten ihm eine Sendung an. Seit September läuft alle paar Wochen „Bei Anruf Romano“, da spricht er mit Hörern über ihre besten Partys oder wie sie Weihnachten feiern, normaler Alltagskram eben. Sein nächster großer Auftritt ist beim Neujahrsempfang im Köpenicker Rathaus.

DER KÜMMERER VOM ZOO: DIETER PUHL, CHARLOTTENBURG-WILMERSDORF

Es sind Weihnachtsgeschichten mit Folgewirkungen wie diese, die Dieter Puhl in diesem Jahr erlebte. Ihm schrieb jetzt ein Mann aus München: „Sehr geehrter Herr Puhl, ich habe Sie im Sommer 2017 persönlich kennenlernen dürfen, als ich wegen gestrichenem Dispo-Kredit aus meinem Hotel in Berlin geflogen bin und nicht wusste, wohin, durfte ich bei Ihrer Einrichtung am Zoologischen Garten die Nacht verbringen. Noch lebe ich der Arbeit wegen in München, möchte aber später gerne nach Berlin oder Umgebung umziehen. Im Hinterkopf habe ich dabei auch, dann mich mit engagieren zu können.“

Dieter Puhl inspiriert mit seiner klaren, ruhigen Art. Und er engagiert sich schon beinahe sein ganzes Leben lang. Der Mann mit der Mütze stammt aus Schleswig-Holstein, kam für eine Diakonenausbildung am Johannesstift nach Berlin.

Dieter Puhl.
Dieter Puhl.

© Soeren Stache/dpa

Als er vor 25 Jahren bei der Stadtmission anfing, früher war er Sozialarbeiter im Betreuten Wohnen, Leiter Wohnungslosenhilfe, sei es „keine Liebesheirat“ gewesen. Außerdem war Puhl, heute 61, damals überzeugter Atheist, verrät er in seinem in diesem Jahr erschienenen Buch. Inzwischen aber spüre er, „wie gut sich Jesus anfühlt“. Und das jeden Tag, als Leiter der Bahnhofsmission der Stadtmission am Zoo in der Jebensstraße. Bereits 2017 bekam Puhl das Bundesverdienstkreuz – und schrieb auf der Facebook-Seite der Bahnhofsmission, auch ans Team aus haupt- und ehrenamtlichen Helfern: „Wir sind Bundesverdienstkreuz!“

Bei der aktuell geforderten statistischen Erfassung von Obdachlosen ist er skeptisch: „Ist der zauselige Mann, der mir in der U-Bahn gegenübersitzt, eigentlich obdachlos oder Professor an der TU?“ Es gebe auch andere „aktuelle Baustellen“, zum Beispiel die ungenügende psychiatrische Versorgung Obdachloser, da sieht er Handlungsbedarf. Derzeit trudelt aber auch er ein wenig aus – aber einen Job hat er zu erledigen: Der Mann aus München hat einen Umschlag für „Herrn B. D.“ hinterlegt, den er in der Bahnhofsmission kennenlernte. „Es wäre sehr nett, wenn Sie ihm den Umschlag geben würden, da ich ihn auch etwas unterstützen möchte.“ Dieter Puhl wird auch das möglich machen.

DIE BAND GEGEN NAZIS: KAFVKA, LICHTENBERG

Diese Zeiten sind zu laut, um leise gegen rechts zu sein. Deswegen dreht die Band „Kafvka“ den Verstärker auf – Cross-over gegen Nazis. Der Bezirk Lichtenberg gilt als einstige Hochburg für Neonazis. Vieles ist besser geworden – trotzdem kann es nie schaden, klare Kante gegen Rechtsradikalismus zu zeigen. So, wie es die Band „Kafvka“ macht. Die vier Jungs haben ihren Proberaum in einer ehemaligen Fabrikhalle in Lichtenberg, wo sie sich nach Feierabend hinbegeben. Sänger Jonas Kakoschke hat zudem die bundesweite Organisation „Flüchtlinge Willkommen“ gegründet, die Geflüchteten WG-Zimmer vermittelt. Auch seine Texte richten sich klar gegen Abschiebungen, für die Rettung von Geflüchteten im Mittelmeer – und gegen die AfD, Pegida und Co.

Die Band „Kafvka“.
Die Band „Kafvka“.

© Robert Klages

„Ohne politische Statements wäre Musik langweilig“, meint Drummer Stephan. Keine Texte über Liebeskummer, keine Balladen, sondern „Cross-over ins Gesicht“ soll es sein. „Wir richten uns gegen den Alltagsrassismus, das ist uns wichtig.“ Und das ist nicht nur so dahergesagt. Im November haben Kafvka ihren jüngsten Song veröffentlich, anlässlich der angekündigten Neonazi-Aufmärsche zum Jahrestag der Reichspogromnacht. Die Band will mit dem Lied ein klares Statement abgeben und alle ermutigen, gegen rechts auf die Straßen zu gehen. „Halt die Fresse, wenn du sagst, dass du mehr Rechte hast, nur weil du Deutscher bist, als jemand der neu hier ist“, heißt es in „Alle hassen Nazis“. Diese Zeiten sind zu laut, um leise gegen rechts zu sein. Und, etwas subtiler im Song „2018“: „Egal was du machst, du bist Teil dieser Zeit, du bist Teil des Problems, es ist 2018“.

SCHNELLSTE FRAU BERLINS: LISA MARIE KWAYIE, NEUKÖLLN

Die Neuköllnerin Lisa Marie Kwayie ist die schnellste Frau Berlins. In diesem Jahr wurde sie deutsche Vizemeisterin über 100 Meter und holte mit der deutschen Staffel den dritten Platz bei der Europameisterschaft. Zwar reichte es vor heimischem Publikum im Olympiastadion Anfang August nicht fürs 100-Meter-Finale, doch ein erfolgreiches Jahr geht dennoch für sie zu Ende. Anfang Dezember wurde sie bei der Berliner Sportlerwahl mit dem dritten Platz geehrt.

Lisa-Marie Kwayie.
Lisa-Marie Kwayie.

© imago/Jan Huebner

Schon früh war ihren Lehrern ihr außerordentliches Talent aufgefallen. Zu einer Sprintkarriere musste sie sich dennoch überreden lassen: Erst nach drei Jahren Überzeugungsarbeit trat sie mit zwölf Jahren den Neuköllner Sportfreunden bei. Dort machte sie dann sehr schnell sehr große Fortschritte. 2014 holte sie bei den Junioren-Weltmeisterschaften in der 4-mal-100-Meter-Staffel die Bronzemedaille. Bei den deutschen Juniorenmeisterschaften wurde sie Zweite über 100 Meter. Dann jedoch kam der Einbruch: Durch Nebenwirkungen ihrer Antibabypille zog sie sich mehrere Verletzungen zu. Als eine Ärztin der Charité der geheimnisvollen Verletzungswelle auf die Schliche kam, steigerte sich Kwayie schnell wieder.

Nun ist ihr großes Ziel Olympia – und das will sie mithilfe ihres Trainers Frank Paul von den Neuköllner Sportfreunden erreichen. Ein Wechsel kommt für sie erst einmal nicht infrage. Kwayie liebt ihr Umfeld, liebt Neukölln. Sie war drei Jahre alt, als ihr Vater mit ihr Ghana verließ und in Neukölln sesshaft wurde. „Neukölln ist kunterbunt, nie langweilig. Ich fühle mich sehr wohl hier“, sagt Kwayie.

DER INKLUSIONSKÄMPFER: RAUL KRAUTHAUSEN, FRIEDRICHSHAIN-KREUZBERG

Raul Aguayo-Krauthausen kennen die meisten aus dem Fernsehen: Der Autor, Moderator und Inklusionsaktivist, der kleinwüchsig ist und aufgrund seiner Glasknochenkrankheit im Rollstuhl sitzt, ist häufig in den großen Talkshows der Republik unterwegs. Man kann ihn aber auch am Landwehrkanal treffen, denn Krauthausen lebt in Kreuzberg; der Kanal ist sein Lieblingsort im Kiez. Im November zeichnete ihn der Bezirk für sein Engagement mit dem Silvio-Meier-Preis aus. „Durch meine eigene Betroffenheit habe ich gesehen, wie viele andere Menschen auch von fehlender Inklusion und mangelnder Barrierefreiheit betroffen sind“, sagt Krauthausen. „Es sind immer dieselben Ausreden, die wir zu hören bekommen – und das seit Jahrzehnten.“

Raul Krauthausen.
Raul Krauthausen.

© imago/APress

Die fehlende Barrierefreiheit im ÖPNV ist ein großes Problem, sagt Krauthausen. Noch immer gibt es diverse U-Bahn-Stationen, die nicht rollstuhlgerecht sind, zum Beispiel die Schönleinstraße und der Moritzplatz – die BVG verspricht immerhin: Bis 2023 sollen alle Stationen einen Aufzug haben. Krauthausen sieht aber auch anderswo Nachholbedarf: Cafés, Kinos, Bars, Restaurants, aber auch öffentliche Gebäude wie Schulen sind zum Großteil nicht barrierefrei – wenn sie sich in einem Altbau befinden, sind sie dazu auch immer noch nicht verpflichtet.

Besonders am Herzen liegt Krauthausen der Nachwuchs: „Alle Kinder, mit und ohne Behinderung, haben ein Recht auf ein gemeinsames Zusammenleben und die bestmöglichste Bildung“, sagt Krauthausen. „Bildung ist nicht nur Auswendiglernen von Inhalten, sondern auch, menschlicher Vielfalt zu begegnen und damit umgehen zu lernen.“ Und schließlich sei die Inklusion in der Schule auch wichtig für die Gesellschaft: Deren Umgang mit Menschen mit Behinderung sei nämlich immer noch „beschämend unnormal“.

HERR DER WASSERBÜFFEL: HELMUT QUERHAMMER, REINICKENDORF

Nicht nur bei den Menschen, auch bei den Tieren gibt es Migration, Vertreibung, Zuwanderung. Der Rote Amerikanische Sumpfkrebs ist der jüngste Neuankömmling in Berlin. Er sei extrem fortpflanzungsfreudig, liest man auch im Tagesspiegel. Anderen Tieren, wie den Bibern, ging es ähnlich, aber umgekehrt. Sie galten in unserer Region als nicht mehr vertreten, denn die Menschen hatten sie gejagt, wegen ihres Fleisches und ihres Fells. Jetzt ist er wieder da, und weil er geschützt ist, ernagt er sich immer neue Lebensräume. Buchstäblich. Denn er setzt armdicken Bäumen mit seinen scharfen Zähnen so zu, dass sie umkippen und er sie dann in seinen Dämmen verbauen kann.

Anders als Menschen lassen sich Tiere weder durch Höchstgrenzen noch durch untersagte oder erlaubte Spurwechsel von dem abbringen, wozu ihre Instinkte sie antreiben. Und so baut der Biber eben Dämme und wird zum Landschaftsgestalter. Wo es gestern trocken war, ist es heute nass und bildet sich morgen ein See. So geschehen im Fließtal.

Helmut Querhammer.
Helmut Querhammer.

© Gerd Appenzeller

Das gefällt einem anderen Zuwanderer nicht, einem tierischen Saisonarbeiter, dem Wasserbüffel. Der mag es nämlich eher trocken. Soll verschwinden, sagen radikale Naturschützer, die haben hier nichts zu suchen. Dumm nur, dass die Menschen sie geholt haben. Als Landschaftspfleger kamen sie gerade recht, seit Jahren. Sie halten während der Vegetationsperiode das Gras da kurz, wo keine Sense hinkommt, tun also das, was auch Schafe und Ziegen machen würden. Das ist sogar ganz offiziell erwünscht. Dennoch: Sind Biber also gut und Wasserbüffel schlecht? Bleiben die im nächsten Jahr in ihrem Winterquartier in der Döberitzer Heide, weil es am Tegeler Fließ zu nass ist? Ist Helmut Querhammer, der Herr der Wasserbüffel, nun sauer auf die Biber?

Der lacht vermutlich nur, denn so liest sich, was er auf Nachfrage schreibt: „So ist das bei den Bibern. Ich war in diesem Sommer froh, dass unser Biber in Priort im Havelland mit seinem Damm das Wasser lange in der Fläche gehalten hat, sonst wären meine Mähwiesen vertrocknet und mein Winterfutter noch knapper. Warten wir mal das Frühjahr ab. Mit freundlichen Grüßen bis zum nächsten Almauftrieb, Ihr Helmut Querhammer“. Das klingt so, als gäbe es 2019 im Tal des Tegeler Fließes vielleicht eine doppelte Attraktion: An Land mümmelt der Büffel das Gras, im Wasser zieht der Biber seine Bahnen.

DER BAYERNBESIEGER: PATRICK SCHOLLER, MARZAHN-HELLERSDORF

Wenn’s einmal nicht läuft, kommt’s oft ganz dicke. Oder wie Andi Brehme sagte: „Hast du Scheiße am Fuß, hast du Scheiße am Fuß.“ Beim FC Bayern war am 11. November einer dieser Tiefpunkte erreicht. Gegen den Erzrivalen aus Dortmund hatte der Rekordmeister an jenem Sonnabend mit 3:2 verloren. Die Münchener fanden sich nur noch auf Platz fünf der Bundesliga-Tabelle wieder, Trainer Niko Kovac wackelte. Und dann machte ein Marzahner Freizeitkicker auch noch Klublegende Oliver Kahn platt. Es geschah am Abend im „Sportstudio“ des ZDF.

Patrick Scholler (mitte).
Patrick Scholler (mitte).

© imago/Martin Hoffmann

Patrick Scholler spielt normalerweise beim RBC Berlin, einer Thekentruppe in der Hobbyliga. Diesmal trat der 27-Jährige jedoch vor dreieinhalb Millionen Zuschauern zum Duell an der Torwand an. Ein hinreißendes Tor im Berliner Landespokal hatte ihm die Nominierung beschert: sein Ehrentreffer zum 1:5 gegen den Berliner SC, bei dem er sich den Ball an der Strafraumgrenze selbst von rechts auf rechts auflegte, um ihn volley in den Winkel zu zimmern. Beobachter fühlten sich an Paul Gascoigne bei der EM 1996 erinnert.

Nun also Oliver Kahn. Drei unten, drei oben. Scholler legte vor und traf den ersten und den letzten Versuch. Kahn machte auf Bayern-Offensive 2018 und versemmelte einen nach dem anderen. Erst ein siebter Schuss, in Abschlag-Manier, landete links oben im Loch, doch das zählte nicht mehr. 2:0 für den Gazza aus Marzahn, der Weltpokalsieger war besiegt. Neben unvergänglichem Ruhm kassierte Scholler einen Satz Trikots für seine Mannschaft und 1 000 Euro. Davon spendierte er gleich mal eine Kiste Bier, denn am nächsten Tag traf der RBC in der Freizeitliga auf Traktor Boxhagen – und verlor mit 1:7.

Die Bayern haben sich seit jenem bitteren Abend stabilisiert, sind in der Tabelle wieder geklettert. Trotzdem wollen sie den Kader bald gründlich erneuern. „Schon ein Gespräch gehabt?“, wollte Kahn im „Sportstudio“ wissen. „Noch nicht“, sagte Scholler. Manchmal reicht schon ein Warnschuss.

DER POLITSTAR: KEVIN KÜHNERT, TEMPELHOF-SCHÖNEBERG

Einen Shootingstar der Politik, der in den eigenen Reihen sitzt, haben nicht viele Bezirke. Tempelhof-Schöneberg hat Kevin Kühnert, 29 Jahre alt und Bundesvorsitzender der Jusos in der SPD. Für seine Ablehnung gegen eine erneute große Koalition nach der Bundestagswahl wurde er Anfang des Jahres deutschlandweit bekannt. Kühnert stammt aus dem dörflichen Ortsteil Lichtenrade und arbeitet für die Lichtenrader Abgeordnete Melanie Kühnemann-Grunow. Seine Familie ist nicht sonderlich politisch, aber Kühnert setzte sich schon als Schüler für mehr Jugendpartizipation in der Politik ein. Mit 16 Jahren trat er der SPD bei, in dem Jahr, als Merkel Schröder ablöste.

Kevin Kühnert.
Kevin Kühnert.

© Kitty Kleist-Heinrich

Seit 2016 sitzt Kühnert in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV), die Verordnetenposition ist ein Ehrenamt. Auch in den intensiven Monaten der Koalitionsverhandlungen hatte die Arbeit in der BVV für ihn Priorität. Besonders nach der gescheiterten #NoGroko-Abstimmung im März genoss er es, dass es in der BVV nicht immer „ums große Ganze geht“, sagt er.

Für Kühnert und seine Fraktionskollegen gab es in diesem Jahr aber genug zu tun. Er ist zuständig für Schule, Sport, Jugend und Soziales. Rund um den Fall der Spreewald-Grundschule wurde debattiert, ob Schulen im Bezirk Wachschutz engagieren dürfen. Noch immer haben die Jugendzentren Potse und Drugstore keine Räumlichkeiten, in denen sie ihre Punkkonzerte veranstalten dürfen.

Sein rhetorisches Talent setzt er für jede noch so mondäne Problematik ein: So jüngst mit einem Antrag für Fahrradpumpen, die der Bezirk kostenlos und öffentlich zur Verfügung stellen solle. Die CDU-Fraktion kritisierte den Antrag zwar als „Top 10 der unsinnigsten Anträge“, die FDP sinnierte über die mangelhafte Qualität der SPD-Fahrräder. Zum Glück gibt es in Tempelhof-Schöneberg keine große Koalition: Der Antrag wurde mehrheitlich, mit den Stimmen der SPD, Grünen und Linken, angenommen.

DIE KÄMPFERIN: KATHARINA POHLENZ, STEGLITZ-ZEHLENDORF

„Ich lache sehr viel“, sagt Katharina Pohlenz. Sie hat ein offenes, herzliches Lachen. „Wir finden immer was und das ist manchmal die beste Medizin.“ Die 19-Jährige Schülerin aus Zehlendorf hat seit sieben Jahren Knochenkrebs, ein Ewing-Sarkom an der Beckenschaufel. Als sie zwölf Jahre alt war, wurde der Krebs diagnostiziert. Unzählige Chemo- und Strahlenbehandlungen sowie mehrere Operationen hat sie seitdem durchgestanden.

Katharina Pohlenz.
Katharina Pohlenz.

© privat

Markus Lanz fragte sie in seiner Talkshow Anfang Dezember, wie es war, als sie aufgrund der Chemotherapie ihre Haare verlor. Es sei schlimm gewesen, antwortete Katharina Pohlenz. Und dann fügte sie hinzu, „aber es ist dann halt so, der Kampf beginnt“. In ihrem Kampf gegen den immer wieder zurückkehrenden Krebs steht sie nicht allein. In der Talkshow wollte der Moderator von Katharinas Mutter wissen, wie ihre Tochter die Strapazen nur durchstehe. Kristina Pohlenz antwortete: „Durch ihre tolle Mutter.“ Und dann lachten Mutter und Tochter ausgelassen.

Freunde organisieren Crowdfunding-Kampagnen, Schüler und Lehrer der Wilma-Rudolph-Oberschule sammeln Spenden, im November fand ein Spendenlauf statt, im Dezember eine Benefizauktion. Da Katharina Pohlenz als austherapiert gilt, übernimmt die Krankenkasse die Kosten für ihre experimentelle Immuntherapie nicht – allein die Tabletten, die die 19-Jährige in den nächsten zwei Jahre einnehmen muss, kosten pro Monat 4600 Euro. Auf dem Spendenportal www.leetchi.com sind bisher knapp 33 000 Euro eingegangen. Im nächsten Jahr will Katharina Pohlenz Abitur machen. „Am liebsten würde ich – Überraschung! – Medizin studieren“, sagte sie dem Tagesspiegel. „Es bringt einem überhaupt nichts, sich selbst zu bemitleiden“, sagt sie. „Im Gegenteil, ich finde, das zieht einen nur noch mehr runter.“ Der Kampf gegen den Krebs geht weiter. Und das Leben auch.

DER KREBSFÄNGER: KLAUS HIDDE, SPANDAU

Das Ende der Geschichte liegt bei „Fisch Frank“ in Spandau. So heißt ein Lädchen in den Gassen der Altstadt. Kurz die Tür aufgestoßen, „Moin!“, dann ein Nicken des Kochs und schon stehen auf dem Tisch: Baguette, Salat, ein kühles Flens – und die Krönung: „Tiergarten-Krebse“ mit Mayo. Der Anfang der Geschichte liegt in Tiefwerder. Das ist ein Spandauer Fischerdorf zwischen Havel und Waldrand. Dort wurden einst die „Ärzte“ gegründet, dort ist die Heimat von Klaus Hidde, 64. Er ist der Fischer, der mit seinem Sohn im Frühsommer 2018 in Berlin den Kampf gegen die Krebse aufnahm.

Klaus Hidde.
Klaus Hidde.

© Britta Pedersen/dpa

Die sollten nicht hier sein – weder im Britzer, noch im Tiergarten. Sie heißen „Rote Amerikanische Sumpfkrebse“, waren also ein paar Kilometer unterwegs und wurden irgendwann von einem Schlaumeier in die Berliner Natur gekippt. Und weil’s hier keine Feinde gibt und dem Krebs offenbar langweilig war, hat er sich leidenschaftlich vermehrt. Irgendwann war das Knacken unter den Autoreifen auf der Straße des 17. Juni so laut, dass jemand was machen musste. Und das war Klaus, der Krebsfänger.

Klaus Hidde hat Humor („Fisch? Ich esse lieber Rumpsteak“), ist sowieso super (er liest den Spandau-Newsletter) und kann mit Zahlen umgehen: „Früher saß ich tagsüber im Anzug in der Commerzbank, abends im Fischerboot auf der Havel.“ Und das mit den Zahlen sollte wichtig werden: Hidde fing 1, 2, 3, 4 … 40 000 Krebse. Und die verkaufte er an Starköche und Gourmets. Er kennt das Spielchen mit Angebot und Nachfrage – nur bei „Fisch Frank“ gab’s immer Krebsfleisch. Spandau-Connection halt.

2019 will Hidde weitermachen, die Lizenz bekommt aber nur einer in der Stadt. Der Bedarf ist da: Die Tiere sind längst in der Havel. Die natürlichen Feinde lernen dazu – Aale, Krähen wissen, wie man die Tiere vernascht –, doch der größte Feind bleibt: Hidde. „Der Waschbär gehört auch nicht nach Berlin.“ Oha, da muss jemand 2019 auf seine Pfoten aufpassen.

UND EIN BRANDENBURGER: DER SINGENDE POLIZIST SEBASTIAN STIPP, SCHÖNEFELD

Sebastian Stipp arbeitet beim Landeskriminalamt (LKA) im Bereich Strategische Prävention als „Ansprechperson LSBTI“ für Opfer von homo- und transphoben Straftaten. Der 33-Jährige mit drei Kindern hat zudem an der Universität der Künste (UdK) studiert, er ist Musicaldarsteller. Im November war er bei der Gesangstalentshow „The Voice of Germany“ – und kam auch in die nächste Runde. In den sogenannten Battles war dann jedoch Schluss für ihn. Mit dem Musiklehrer Fabrice Richter-Reichhelm sang er das Lied „Cello“ von Udo Lindenberg und Clueso im Duett – die Jury entschied sich jedoch gegen Stipp. „Ich hatte nicht das Gefühl, dass du den Song wirklich magst“, war eine der Begründungen von Jury-Mitglied Yvonne Catterfeld.

Sebastian Stipp.
Sebastian Stipp.

© privat

Stipp nimmt sich das nicht so sehr zu Herzen. Sein Kontrahent sei sehr sympathisch und gut gewesen. „Es ging mir nie so sehr darum, zu gewinnen, sondern darum, ein Thema öffentlich zu machen“, sagt er dem Tagesspiegel. Und das Thema Hasskriminalität wird er nun weiter angehen, nämlich mit einem Charity-Konzert in der Neuköllner Oper. „Künstler gegen Homo- und Transphobie“ soll es heißen und im Mai stattfinden. Stipp sucht noch Mitstreiter und Mitstreiterinnen. Die Erlöse sollen natürlich gespendet werden. Stipp will zeigen, dass die Ordnungshüter in Berlin genau so bunt und vielfältig sein können wie die Berliner Bevölkerung. „Wir wissen, dass nicht jeder hier der Polizei vertraut“, sagt er. Doch auch mit dem Konzert will er das ändern. Auch vermeintlich kleineren Delikten soll nachgegangen werden – und die Opfer müssten spüren, dass jede Straftat, die gemeldet wird, auch ernst genommen und verfolgt wird. Deswegen sei seine Stelle ja eingerichtet worden.

Zwölf Bezirke, zwölf Newsletter: Auch im neuen Jahr berichten wir aus jedem Berliner Bezirk einmal wöchentlich mit unseren Leute-Newslettern. Hier geht's zur kostenlosen Bestellung.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false