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Blick auf die ZOB-Baustelle am Ostersonntag.

© IMAGO / Stefan Zeitz

IT-Verwaltung, Pensionskosten, ZOB: Berliner Rechnungshof legt Jahresbericht vor – das sind die schlimmsten Fälle

Verstöße, Verwaltungsversagen, Verschwendung von Steuergeld: Der Landesrechnungshof Berlin stellt am Montag seinen Jahresbericht vor. Ein Überblick.

Berlins zentrale IT-Vernetzung und damit die Digitalisierung der Verwaltung ist aus Sicht des Landesrechnungshofes ein einziges Desaster. Im ersten Teil seines Jahresberichts 2021 übt der Rechnungshof deshalb massive Kritik an der für die IT-Struktur verantwortlichen und von Senator Andreas Geisel (SPD) geführten Innenverwaltung.

Der Fall ist einer von insgesamt 14 Fällen, in denen Behörden versagt und Steuergeld verschwendet haben. Sie sind aufgeführt im jährlichen Prüfbericht, der am Montag von Rechnungshofpräsidentin Karin Klingen vorgestellt wurde. Ihr Urteil fällt deutlich aus: Insgesamt habe der Rechnungshof „gravierende Fehler im Verwaltungshandeln festgestellt“.

Für alle beanstandeten Fälle gilt dabei: Der Rechnungshof stellt Mängel und Schäden in richterlicher Unabhängigkeit fest. Ein Überblick der markantesten Beispiele:

Fehlende Steuerung bei der IT-Modernisierung

Die Berliner Politik wollte mit dem 2016 beschlossenen E-Government-Gesetz bei der Digitalisierung der Verwaltung vorankommen. Doch stattdessen ist aus Sicht des Rechnungshofs kaum etwas passiert. Seit Jahren leide die Verwaltung im IT-Bereich unter einer nicht einheitlichen, teils veralteten Technik und nicht klar geregelten Verantwortlichkeiten.

Mit dem 2016 verabschiedeten Gesetz sollte alles besser werden: Das IT-Dienstleistungszentrum – kurz ITDZ – sollte als Dienstleister für die gesamte Informations- und Kommunikationstechnik der Berliner Verwaltung fungieren und eine einheitliche Infrastruktur bereitstellen.

Doch bisher ist nach Einschätzung des Rechnungshofs „eine vollständige Migration“ zum ITDZ „durch keine einzige Behörde erfolgt“. Das Ziel, bis Ende 2022 insgesamt 40.000 IT-Arbeitsplätze von der IT-Zentrale betreiben zu lassen, sei nicht mehr zu erreichen. Es sei auch nicht klar, wie viel Geld überhaupt für die Modernisierung benötigt wird. Denn es gebe noch immer keine systematisch erfassten Daten zur bislang bestehenden IT-Infrastruktur in allen Behörden. „Die Senatsverwaltung muss hier dringend umsteuern“, forderte Klingen.

Wegen des Rückstands könnten auch andere Probleme nicht gelöst werden, etwa der Rückstand bei Online-Dienstleistungen, die unzureichende Internetanbindung oder die zu geringe Quote bei digitalem Homeoffice für Mitarbeiter der Verwaltung. Weil die angestrebte Vereinheitlichung des IT-Netzes nicht in einem überschaubaren Zeitraum realisiert werden könne, sei die Leistungs- und Funktionsfähigkeit der Berliner Verwaltung gefährdet, befanden die obersten Prüfer des Landes.

BER 2.0 – Kostenexplosion und Verzug beim Zentralen Omnibusbahnhof (ZOB)

Der ZOB ist eine Instanz in Berlin – wer mit dem Bus verreist, kennt ihn. Doch die 1966 eröffnete Anlage ist marode, muss saniert und erweitert werden. Seit 2016 laufen die Baumaßnahmen schon – und die ZOB-Baustelle entpuppt sich als BER 2.0. Die Kosten haben sich im Vergleich zu den ursprünglich geplanten Ausgaben verzehnfacht – von 3,85 Millionen auf 39 Millionen Euro.

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Zudem wird der Umbau später fertig, ursprünglich sollte es Mitte 2019 soweit sein. Nun wird es bis Mitte 2022 dauern – mindestens. Damit hat sich die Bauzeit fast schon verdoppelt. Die Baumaßnahme, so stellt der Rechnungshof nun fest, „ist in mehrfacher Hinsicht aus dem Ruder gelaufen“.

Doch wie konnte es so weit kommen? Der Rechnungshof spricht von einem weitgehend ungeordneten und ungesteuerten Planungsprozess. Die Ursache: Die Senatsverkehrsverwaltung habe die Vorschriften für die Planung von Baumaßnahmen mehrfach missachtet, noch während des Baus habe es mehrfache Umplanungen gegeben – auch das eine Parallele zum BER-Flughafenbau in Schönefeld. „Sie haben gebaut und wussten noch nicht einmal, worauf sie hinaus wollten“, sagte Klingen.

Diese Baustelle entpuppt sich als BER 2.0: Der ZOB in Berlin im April 2021.
Diese Baustelle entpuppt sich als BER 2.0: Der ZOB in Berlin im April 2021.

© IMAGO / Stefan Zeitz

Baudienststellen der Verwaltung, die mehr Sachverstand haben, sind nicht an der Planung beteiligt worden. Zudem hat die Verkehrsverwaltung Aufgaben, die sie als Bauherrin hat, „unzulässig delegiert“, stellte der Rechnungshof fest. In keiner Phase des Bauprojekts hat die Verkehrsverwaltung demnach die Wirtschaftlichkeit des Vorhabens untersucht.

Ein Ende der Probleme ist nicht in Sicht. „Aufgrund dieses mangelhaften Planungsprozesses sieht der Rechnungshof weitere Risiken für die Baumaßnahmen“, sagte Klingen. Es drohten weitere Verzögerungen und Kostenexplosionen.

Land zahlt Mietzuschuss, der Bund spart Geld

Mit einem Mietzuschuss für Mieterinnen und Mietern in Wohnungen des Sozialen Wohnungsbaus wollte sich die rot-rot-grüne Koalition 2016 von ihrer sozialen Seite zeigen. Zuschussberechtigt sind seither Haushalte, deren Mietbelastung einen bestimmten Anteil des Haushaltseinkommens übersteigt. Allerdings hat die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung übersehen, dass die Landesförderung in voller Höhe auf das bundesrechtlich gewährte Wohngeld angerechnet wird.

Der Mietzuschuss ersetzt damit lediglich eine bereits bestehende Bundesleistung. Dem Berliner Landeshaushalt entstehen so vermeidbare Ausgaben in Millionenhöhe. Dabei wird das Programm kaum nachgefragt.

Von den im Haushalt dafür vorgesehenen 142,1 Millionen Euro wurden in den Jahren 2016 bis 2019 nur 14,6 Millionen Euro ausgegeben. Umso höher sind die dadurch verursachten Kosten für die Verwaltungsverfahren. Sie entsprechen 37 Prozent der insgesamt gezahlten Mietzuschüsse.

Obwohl der Verwaltung von Stadtentwicklungssenator Sebastian Scheel (Linke) das Problem mittlerweile bekannt sei, habe man nichts dagegen unternommen, moniert Rechnungshofpräsidentin Klingen. „Es ist dringend notwendig, dass die Senatsverwaltung die Ziele und Wirkungen des Mietzuschusses überprüft“, fordert sie.

Millionenausgaben für Neubau der Max-Planck-Gesellschaft in Dahlem

Wenn es um die fünf Standorte der Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften (MPG) in Berlin geht, hat der Senat ein Wörtchen mitzureden. Denn die deutschlandweit 86 Institute werden von Bund und Ländern je zur Hälfte gefördert. Für die fünf Berliner Institute, darunter das Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte in Dahlem, ist das Land Berlin zuständig.

Im Jahr 2002 hatte das Land der MPG die Förderung für den Neubau des Instituts in Dahlem verwehrt, Fördergelder gab es dafür nicht. Doch das interessierte die Wissenschaftsgesellschaft nicht – sie baute trotzdem auf dem eigenen Grundstück und nutzte dafür ein Investorenmodell.

Eine Objektgesellschaft sollte den Neubau vorfinanzieren, bauen und das Gebäude betreiben, die MPG verpflichtete sich im Gegenzug zu Mietzahlungen über einen Zeitraum von 30 Jahren.

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Der Rechnungshof beziffert den entstandenen Schaden auf knapp neun Millionen Euro. Denn für den Neubau waren Kosten in Höhe von 11,6 Millionen Euro kalkuliert worden, durch das Mietmodell werden es nun mindestens 20,2 Millionen Euro sein.

Aus Sicht des Rechnungshofes hat die MPG gegen mehrere Vorgaben verstoßen. Zunächst holte sich die MPG nicht die Einwilligung des Landes Berlin als Förderfinanzier ein, noch hielt sie die Vorschriften des Haushaltsrechtes ein. Denn die MPG hat erst nicht die Wirtschaftlichkeit ihres Baukonstrukts untersucht und dann auch noch Verträge abgeschlossen, die finanziell zu ihren Ungunsten ausfallen.

Berliner Schlendrian bei Pensionskosten

Ab und an kommt es vor, dass Beamte aus anderen Bundesländern oder vom Bund nach Berlin wechseln. Weil Berlin lange Schlusslicht bei der Besoldung war, ging es aber meist in die andere Richtung – Berliner Beamte wechseln häufig zu einem anderen Dienstherrn.

Immerhin gibt es aber Beamte, die dem Land Berlin dienen wollen. Die von ihnen bisher angesammelten Pensionsansprüche müsste der alte Dienstherr dann dem Land Berlin überweisen. So sieht es der – Achtung, Wortungetüm – Versorgungslastenteilungs-Staatsvertrag vor. In Einzelfällen geht es laut Rechnungshof um sechsstellige Summen.

In Berlin muss das Landesverwaltungsamt darauf achten, dass die alten Dienstherren die Pensionsansprüche der Beamten dann auch überweisen. Doch dafür müsste das Amt erst einmal wissen, zu welchen Berliner Behörden Beamte von auswärts gewechselt sind. Genau derlei Hinweise sind in den Jahren 2015 bis 2017 in genau zwölf Fällen unterblieben, die Behörden meldeten die Wechsel nicht dem Verwaltungsamt.

Doch ohne solche Meldung hätte das Amt nicht die Pensionskosten bei den früheren Dienstherren der Beamten eintreiben können, dann müssten die Berliner Steuerzahler allein für die Pension der Beamten aufkommen – auch für ihre Zeit beim Bund oder in anderen Bundesländern.

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In den genannten zwölf Fällen belief sich der drohende Schaden auf mehr als 1,5 Millionen Euro. Doch das konnte verhindert werden, weil der Rechnungshof die Abläufe geprüft hat und eingeschritten ist, sagte die Präsidentin.

Die Prüfer stellten fest: Die Berliner Behörden waren schlicht nicht dazu verpflichtet, den Wechsel von Beamten zu melden. Die Finanzverwaltung habe diese Informationspflichten nach dem Hinweis nun unmissverständlich geregelt, sagte Klingen. „Damit hat der Rechnungshof für die Zukunft dafür gesorgt, dass keine weiteren Einnahmenverluste entstehen.“

Der Senat weiß nicht, wie viel Personal er braucht

Der rot-rot-grüne Senat huldigte sich selbst dafür, den Personalabbau der Sparjahre beendet zu haben – und nun wieder Mitarbeiter einzustellen. Berlin ist in den vergangenen Jahren gewachsen, da muss auch die öffentliche Verwaltung mithalten. Doch der Senat und die für Personalfragen zuständige Finanzverwaltung wissen nicht einmal, wie viel Personal in den Hauptverwaltungen und in den Bezirksämtern überhaupt benötigt wird.

Dabei ist Personal immer ein Kostenfaktor, je mehr Personal beschäftigt wird, desto mehr steigen die über Jahre und Jahrzehnte weiterlaufenden, durch Tarifanpassungen steigenden, sogenannten strukturellen Kosten. 2017 waren es acht Milliarden Euro und damit fast ein Drittel des Berliner Haushalts.

Der Rechnungshof hat mehr als 110.000 Stellen und damit fast das gesamte Personalbudget der Behörden überprüft. Das Ergebnis: Für die Hälfte der Stellen ist nicht einmal untersucht worden, ob die Stellen benötigt werden. Nur in wenigen Fällen waren von den Behörden zuvor Aufgaben, Abläufe, Organisation und Strukturen analysiert worden, um den Personalbedarf zu ermitteln.

Damit fehlt nach Ansicht des Rechnungshofs im Land Berlin die Grundlage, um künftig überhaupt zu ermitteln und dann im Abgeordnetenhaus festzulegen, wie viel Mitarbeiter es im öffentlichen Dienst braucht. Das schließt übrigens auch nicht aus, dass die Verwaltungen auch mehr Mitarbeiter gebrauchen könnten.

Daneben stieß der Rechnungshof auch auf fehlende Kontrollen im Bereich des betreuten Wohnens und auf fehlende Konzepte trotz steigender Ausgaben für die Hilfen zur Erziehung für finanzschwache Familien.

FDP und IHK kritisieren Senat

Sibylle Meister, Sprecherin für Haushalt und Finanzen der FDP-Fraktion im Abgeordnetenhaus, kritisierte den Umgang des Senats bei der IT-Migration. Dass es bis heute keine Bestandsaufnahme und keinen Überblick über den Finanzierungs- und Ausstattungsbedarf gebe, müsse beim Senat alle Alarmglocken angehen lassen. „Es zeigt einmal mehr, dass der Senat seine Energie lieber in verfassungswidrige Ideologieprojekte wie den Mietendeckel steckt, anstatt sich um seine Kernaufgabe – eine funktionierende Stadt für die Berlinerinnen und Berliner – zu kümmern.“

Auch die IHK-Präsidentin Beatrice Kramm erklärte die Ergebnisse zum IT-Einsatz in der Verwaltung für alarmierend. Es sei „nicht nachvollziehbar, dass es zum Ende der Legislatur offenbar nicht gelungen ist, zumindest die Basis für eine erfolgreiche Implementierung zu schaffen, nämlich funktionierende Steuerungsstrukturen“, sagte sie.

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