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Islam-Experte Ahmad Mansour fordert toleranteres Verhalten.

© promo

Islam-Experte Ahmad Mansour: "Zwangsehen dürfen wir nicht akzeptieren"

Muslimische Gemeinden wie die Al-Nur-Moschee stehen im Verdacht, Gläubige zu radikalisieren. Psychologe Ahmad Mansour sieht Versäumnisse der Politik.

Der Eingang zum Gebiet des Unbekannten ist mit einem gelben Schild markiert. „Jugend & Familien Zentrum“ steht über der Tür an einem grauen Zweckbau im Industriegebiet von Neukölln, dazu, etwas kleiner, „Deutsch-Kurse, Computer-Kurse, Nachhilfe-Unterricht, Internet“.

Der Begriff „Religiöse Indoktrination“ fehlt, offiziell weiß man ja auch nicht, wie die Mitarbeiter der Al-Nur-Moschee in Neukölln den Begriff „Unterricht“ definieren. Für Neuköllns Jugendstadtrat Falko Liecke (CDU) ist das „Jugend & Freizeitzentrum“ deshalb eine „Black Box“. Sein eigenes Bezirksamt gab gerade zu, dass es „keinen Einblick in den Koran- und Sprachunterricht hat“. Jetzt ist die Aufregung über die Al-Nur-Moschee groß.

Ahmad Mansour hat, über Umwege, eine ziemlich klare Vorstellung davon, was im Unterricht abläuft und was in der Moschee gepredigt wird. Mansour bietet Workshops an, er hatte in seinen Gruppen auch Kinder und Jugendliche, die hinter der Tür unterm gelben Schild unterrichtet wurden.

Bis Ende Dezember 2018 arbeitete er zudem in einer Beratungsstelle, in der immer wieder Lehrer, Sozialarbeiter oder sogar die Eltern auftauchten. Sie hatten drängende Fragen wegen des Verhaltens und der Aussagen von Jugendlichen, mehrfach gab es einen Bezug zur Al-Nur-Moschee.

Beängstigende Aussagen von Kindern und Jugendlichen

Der 42-Jährige ist einer der Experten, die sich seit Langem mit religiösem Fanatismus und radikalem Islamismus auseinandersetzen, Psychologe, Sohn arabischer Israeli, Autor des Buchs „Klartext zur Integration“. Er sagt: In den Workshops „kamen Aussagen, dass man nur als guter Muslim ins Paradies kommt, alle anderen Menschen müssten in der Hölle schmoren. Oder Vorstellungen über die richtige Sexualmoral. Kinder haben schon Angst, dass sie sich lasterhaft verhalten, wenn sie im Ramadan trinken oder essen“. Wenn er fragte, woher denn so ein Wissen komme, lautete die Antwort regelmäßig: „Das haben wir in der Moschee gehört.“ Und es gebe eine „gewisse Feindseligkeit gegenüber Juden und der Mehrheitsgesellschaft“.

Koran gilt als religiöse Rettungsinsel

Wenig verwunderlich in einer Moschee, die den westlichen Lebensstil oft als bedrohliches Szenario darstellte und den Islam als religiöse Rettungsinsel. Für die Senats-Innenverwaltung ist die Al-Nur-Moschee eine von „Salafisten dominierte Einrichtung“. Die Predigten der Imame „machen Angst vor der Mehrheitsgesellschaft und ihren Werten“, sagt Mansour. Auch der Verfassungsschutz hat die Moschee im Auge, weil die Moscheebetreiber wiederholt salafistischen Predigern eine Plattform für frauenfeindliche, homophobe und antisemitische Positionen geboten hätten.

Im Juli 2014 zum Beispiel hatte ein Gastredner in seinem Gebet gefordert, Allah möge die israelischen Soldaten bis zum letzten Mann töten. Sechs Monate später erklärte ein anderer Gastredner, eine Frau dürfe sich sexuell nie ihrem Ehemann verweigern. Solche radikalen Botschaften sind seither allerdings nicht mehr bekannt geworden. Die Al-Nur-Moschee war für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.

Doch für den Psychologen Mansour ist die Al-Nur-Moschee nur ein Symbol für Versäumnisse.

Denn das Gotteshaus gehört für ihn nicht mal zu den radikalsten Moscheen in Berlin. „Es gibt andere, die sind viel näher an den Salafisten, die Ibrahim-Al-Kahlil-Moschee in Tempelhof zum Beispiel.“ Das relativiere natürlich nicht die Gefährlichkeit der Al-Nur-Moschee. „Die muss man sich anschauen, da passieren viele problematische Sachen.“

"Die Politik schaut seit Jahren nicht genau hin"

Und problematische Sachen könnten in ganz Berlin nur passieren, sagt Mansour, weil Gesellschaft und Politik in Berlin halt seit Jahren nicht genau hinschauten. Weil vor allem die Politik nicht konsequent gegensteuere. Seit 2015 etwa liegt der Antrag auf die Schließung der Al-Nur-Moschee, beschlossen von der Bezirksverordnetenversammlung Neukölln, bei der Senats-Innenverwaltung. Doch im riesigen Gebetsraum der Moschee wird noch immer gepredigt. Neuköllns Jugendstadtrat Liecke fordert nachdrücklich, das Verbot durchzusetzen.

Dabei ist für Mansour eine Moschee erst mal „nur ein Gotteshaus, in dem Menschen beten“. Damit „habe ich kein Problem“. Das Problem beginnt bei den Inhalten. „Wenn Ideologien vermittelt werden, die nicht auf der Basis des Grundgesetzes stehen, ist das problematisch.“

Ein Problem ist für Mansour auch, dass in der Moschee Kinder und Jugendliche den Koran auswendig lernen müssen. Eine stupide Geschichte ohne nachhaltigen pädagogischen Wert. Doch für Eltern aus der Community, sagt Mansour, „ist das eine Art Statussymbol“.

Sie zeigten damit, dass sich ihre Kinder zu gläubigen Muslimen entwickelten, obwohl sie in einer sündhaften Umgebung lebten. Für Mansour hat diese Lernerei mehr den Charakter einer Gehirnwäsche. „Die Kinder und Jugendlichen dürfen sich keine eigene Meinung bilden, sie werden unmündig gemacht. Da ist der Radikalisierungsfaktor groß.“

Kinder und Jugendlichen fehlen Alternativen

Natürlich, das betont Mansour auch, müsse man differenzieren. „In die Al-Nur-Moschee gehen ja auch viele einfache Leute. Die beteten da nur, die wissen vielleicht nicht mal, was Salafismus bedeutet.“ Die Problemzone seien der Vorstand des Moscheevereins und die religiösen Kreise, „die sich nicht bloß ums reine Beten kümmern“. Die sich zusätzlich intensiv um religiöse Indoktrinierung kümmerten.

Doch genau diese Zielgruppe, so sieht es Mansour, wird durch die Passivität der Mehrheitsgesellschaft und der Politik in diese Moschee-Zirkel getrieben. Der Psychologe schätzt, dass ein Drittel der Eltern, die ihre Kinder in den Moschee-Unterricht schicken, gar nicht in erster Linie an religiöse Erziehung denken.

„Die haben erst mal das Bedürfnis, dass die Kinder die Muttersprache der Eltern lernen.“ Vor allem aber „wollen die gar nicht, dass ihre Kinder radikal werden“.

Die große Zahl von Flüchtlingen verstärke die Tendenz zur Bewahrung der Muttersprache. „Flüchtlinge wissen ja nicht, wie lange sie in Deutschland bleiben werden, sie wollen nicht, dass ihre Kinder zurück in ihre Heimat gehen und dann besser Deutsch als die Sprache ihrer Eltern können.“

Hier, sagt Mansour, könne man zum Beispiel ansetzen. „Mehr Angebote einer säkularen Sprachvermittlung, das wäre eine Methode, Kinder aufzufangen. Ich bin sicher, dass dann ein Drittel von ihnen nicht mehr in die Moschee ginge.“ Mit sakulären Sprachangeboten, sagt Mansour, „ersparen wir uns zumindest den religiösen Fanatismus“.

In Berlin gibt es Angebote für Arabisch-Unterricht

Es gibt in Berlin ja durchaus solche Sprachangebote. Die arabische Sprachschule „Gibran“ in Schöneberg existiert seit 20 Jahren. Lehrkräfte sind überwiegend Frauen. Und die Koalitionsfraktionen haben sich dafür ausgesprochen, die Herkunftssprache bei Prüfungen als erste oder zweite Fremdsprache anzuerkennen. Arabisch wird bisher aber nur an wenigen staatlichen und privaten Grundschulen unterrichtet.

Für Mansour ist das Gesamtangebot dieser säkularen Sprachvermittlung viel zu dürftig. Natürlich bieten auch diverse Träger Arabischunterricht an, aber viele von ihnen seien unter religiösem Einfluss, sagt Mansour.

Bloß, solche Angebote allein genügten nicht. Denn die Eltern dieser Kinder sind ja auch den Predigten der Imame ausgesetzt, sie formen ihr Weltbild ja auch nach den Vorstellungen, die sie in der Moschee hören. Deshalb plädiert Mansour gleichzeitig eindringlich für „eine Aufklärung der Eltern“.

Eltern haben mit Zwangsehe keine Probleme

Oft vermischten sich Tradition und Religion zur Geisteshaltung dieser Eltern. Die beiden Faktoren bildeten das geistig-moralische Gerüst fürs eigene Leben und die Erziehung der Kinder. „Selbst wenn Eltern nicht extrem religiös sind, wollen sie aus Tradition nicht, dass ihre Töchter selbstbestimmt leben. Es gibt auch Eltern, die das Thema Zwangsehe akzeptieren.“ Für sie sei es völlig normal, dass man Töchtern vermittele, sie dürften keinen Freund haben, sie dürften nicht freiwillig ihren Partner aussuchen, sie müssten zudem als Partner jemanden aus ihrem eigenen Kulturkreis suchen. Mansour will das „nicht verallgemeinern“, aber der Kreis der Muslime, die so denken, sei groß.

Deshalb, sagt Mansour, „verstehen viele Eltern auch die Aufregung gar nicht, die gerade um diesen Islamunterricht gemacht wird“. Also helfe nur eins: „Diesen Menschen muss klargemacht werden, was das Problem ist. Wenn wir akzeptieren, dass Menschen ihre Töchter zwangsverheiraten, hat das mit interkultureller Toleranz nichts mehr zu tun. Da müssen wir sagen, das ist die rote Linie.“

Und unkontrollierter Kinder- und Jugendunterricht in Moscheen? Für ihn unvorstellbar. Wo blieben denn die Vorgaben und Vorschriften, die für andere Einrichtungen gelten? Er würde „Moscheen, in denen undemokratische Werte vermittelt werden, massiv kontrollieren. Ich vermisse in Berlin ein selbstbewusstes Auftreten des Staats“.

Natürlich, es gebe auch Gruppen, in denen die westliche „Vielfalt angekommen ist“, keine Frage. Aber, sagt Mansour mit düsterem Unterton, „es gibt auch eine Gruppe, die noch viel radikaler als die traditionellen Muslime ist“.

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