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Das Engagement unter dem Radar sollte anerkannt werden, fordert Daniel Büchel.

© Patricia Kalisch

Interview zur Berliner Engagementstrategie: „Es gibt das laute und das stille Engagement“

Ehrenamt gilt als Sache des Bürgertums. Doch arme Menschen helfen oft in ihrem Umfeld. Das muss sichtbar werden, findet Daniel Büchel vom Unionshilfswerk Berlin.

Am 22. Oktober ging es im Roten Rathaus mit einer Auftaktveranstaltung los, nun folgen verschiedene Debattenforen, und bis zum Sommer 2020 soll dem Berliner Abgeordnetenhaus der Entwurf einer Engagementstrategie vorgelegt werden. Ziel ist es, das ehrenamtliche Engagement in den verschiedensten Lebensbereichen durch „gute Rahmenbedingungen zu stärken, eine breite Teilhabe an Engagement und Beteiligung zu ermöglichen“, betonte die Staatssekretärin Sawsan Chebli.

Erarbeitet werden soll die Strategie im Dialog mit Freiwilligen, und Vertretern der Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Verwaltung. „Berlin gewinnt so viel durch das Engagement dieser Menschen“, sagte Chebli: „Aber ich sehe auch, dass Engagement kluge Rahmenbedingungen braucht und wir unnötige Hürden abbauen müssen.“

Wie können wir es schaffen, dass sich noch mehr Menschen engagieren? Sorgen die Engagierten unbeabsichtigt selber dafür, dass Menschen abgeschreckt werden, sich einzubringen? Darüber sprachen wir mit Daniel Büchel, dem Leiter des Freiwilligenmanagements in der Stiftung Unionhilfswerk Berlin. Falls Sie sich an der Debatte beteiligen möchten, schreiben Sie unter info@ehrensache.tagesspiegel.de. Vorschläge können auch beim Senat hier eingebracht werden.

In Berlin wird gerade über eine Engagement-Strategie des Landes diskutiert. Gehört dazu auch, dass man Menschen aus allen Bevölkerungsschichten erfolgreicher als bisher dazu ermutigt, sich zu beteiligen?
Ja, die Beteiligung aller Berlinerinnen und Berliner soll erleichtert und Hürden abgebaut werden. Unter anderem durch die verstärkte und niedrigschwellige Ansprache von Menschen, die in Armut leben oder von Langzeitarbeitslosigkeit betroffen sind. Ziel ist es, u.a. den Zugang zum Engagement durch gute Rahmenbedingungen zu erleichtern und das vorhandene oft „unter dem Radar“ stattfindende Engagement sichtbar zu machen

Studien, etwa von Chantal Munsch an der Universität Siegen, zeigen, dass Menschen mit geringem Einkommen, Erwerbslose und Menschen mit niedrigem Bildungsabschluss oft unbewusst vom Engagement ausgegrenzt werden durch engagierte erwerbstätige Menschen mit höherem Einkommen und höherem Bildungsabschlüssen.
Man muss das „laute“ und das „stille“ Engagement unterscheiden. Im lauten Engagement, das wir als bürgerschaftliches Engagement bezeichnen, sind bildungsnahe Menschen engagiert, vor allem jene, die das in ihrem Milieu und ihrer Familie vorgelebt bekommen haben und sich jetzt selbst einbringen in die Gesellschaft. Die es gewohnt sind, sich regelmäßig in Diskussionen einzubringen. Im stillen oder leisen Engagement sind dagegen vielfach Menschen zu finden, die selber von Armut betroffen sind oder Menschen mit Migrationsbiografie. Diese Menschen bringen sich ganz selbstverständlich in ihrem Umfeld ein, aber sagen nicht, ich bin jetzt bürgerschaftlich engagiert. Da müssen wir als Mehrheitsgesellschaft unsere Wahrnehmung schärfen, und feststellen, dass wir es bisher nicht ausreichend geschafft haben, diese Menschen mit den klassischen Engagement-Strukturen zu erreichen.

[Dieses Interview ist zuerst in unserem Tagespiegel Ehrensache-Newsletter erschienen. Den monatlichen Newsletter für Engagierte können Sie kostenlos bestellen unter ehrensache.tagesspiegel.de]

Diese stille Engagement ist das, was Menschen an direkter Nachbarschaftshilfe leisten und zupacken, und der Nachbarin helfen?
Ja, oder dass sie einen Flohmarkt in ihrem Kiez mit auf die Beine stellen oder im Umkreis der Moschee einen Lesekreis oder eine Hausaufgabenbetreuung organisieren. Oder dass sie sich als Betroffener für eigene Interessen einsetzen, etwa als Langzeitarbeitslose, und sich gegenseitig helfen.

Idealerweise wird so getan, dass sich beim bürgerschaftlichem Engagement alle sozialen Schichten und Gruppen der Gesellschaft gleichermaßen beteiligen. Auf welche Weise werden denn Menschen ausgegrenzt oder vom Engagement abgeschreckt?
Oft laufen diese Ausgrenzungsmechanismen unbewusst ab, wie Professorin Munsch in Ihrer Studie sehr prägnant darstellt. Etwa, indem in Räume eingeladen wird, in denen normalerweise ärmere Menschen nicht hinkommen, an offizielle Orte wie ein Rathaus, statt bekannte niedrigschwellige Räumlichkeiten vor Ort zu wählen wie einen Nachbarschaftstreff. Auch Formulierungen beispielsweise in Einladungen spielen eine Rolle. Ist die Sprache verständlich und entspricht sie der Zielgruppe? Gehen in der Kommunikation die Argumente sehr schnell hin und her oder haben auch diejenigen eine Chance sich einzubringen, die vielleicht mehr Zeit brauchen, um ihre Gedanken zu formulieren, oder die die Sprache nicht so gut beherrschen? Und haben die eine Chance, gehört zu werden, die die oft übliche schnelle Ping-Pong-Kommunikation nicht gewohnt sind? Auch die Moderationsform spielt eine Rolle. Wenn man eher die sogenannten „Lautsprecher“ und Wortführer zu Wort kommen lässt, gehen die „Leisen“ unter.

Also die Gebildeten reden in einer abstrakteren Sprache, können sich besser ausdrücken und besser argumentieren und die anderen Menschen fühlen sich nicht wohl in dieser Atmosphäre.
Ja, diese Menschen fühlen sich dann nicht wahrgenommen und nicht gebraucht und kommen kein zweites Mal zu solchen Treffen wie der Vorbereitung eines Stadtteilfestes. Deswegen gibt es Initiativen, die ihre Angebote und Einladungen konsequent in einfacher Sprache formulieren.

Die meisten Menschen müssen das bürgerschaftliche Engagement neben Beruf und Familie organisieren. Je reibungsloser das funktioniert, umso besser. Effektivität ist aber auch ein unbewusster Ausgrenzungsfaktor, hat Chantal Munsch festgestellt. Das führt dazu, dass bestimmte Kommunikationsformen als störend empfunden werden: wenn Menschen emotional argumentieren, nicht direkt auf den Punkt kommen, oder sich nicht gut ausdrücken können.
Die Engagierten gehen beim Planen und Durchführen von Projekten häufig von einem Effektivitätsdenken aus. Partizipation ist aber nicht für alle Menschen gleichermaßen selbstverständlich. Deswegen ist das Bewusstsein so wichtig, dass diese Kommunikationsschleifen für Menschen aus anderen sozialen Schichten für deren Engagement bedeutend sind, dass diese Betroffenen mit ihrer Lebensbiografie gehört werden und sich damit einbringen wollen. Gerade Menschen mit Migrationsbiografien haben häufig bereits abschreckende Erfahrungen gemacht. Das müssen wir ernst nehmen und der offenen Kommunikation Raum geben, damit es zu einem gemeinsamen Engagement kommen kann.  Wer das nicht berücksichtigt, produziert unbewusst Ausschließungsmechanismen.

Kann man auch sagen, wo es unkonkret zugeht, wo es um große Ideen und abstrakte Konzepte geht, werden Menschen still, die konkret mit helfen möchten?
Dem ist so. Wir müssen Menschen deswegen ganz niedrigschwellig zum Mittun einladen, etwa um ein Stadtteilfest zu organisieren, ohne Formalitäten, ohne von Engagement zu sprechen und ohne ein regelmäßiges Engagement zu erwarten oder einzufordern. Gerade damit kann es gelingen, dass diese Menschen dann andocken.

Das bedeutet: mehr aktives Handeln statt Debatten über große Ideen und mal einen Tanzabend statt eines Vortrags?
Ja, alles was konkret ist, wie ein Stadtteilfest oder einen Flohmarkt im Kiez, gemeinsam zu organisieren. Oder Dinge, die mit den Menschen vor Ort zu tun haben, mit Aktivitäten, in denen die Menschen ihre Fähigkeiten einbringen können, etwa bei handwerklichen Aufgaben oder beim gemeinsamen Kochen. Wichtig ist auch, zu unterstützen bei teils existentiellen Nöten der Menschen. Damit wird auch eine Basis für ein Engagement gelegt.

Ist die unbewusste Ausgrenzung auch der Grund, warum Frauen seltener Führungsaufgaben etwa in Sportvereinen übernehmen?
Nach meiner Erfahrung liegt es eher daran, dass Frauen nur dann Führungsaufgaben übernehmen, wenn sie davon überzeugt sind, diese auch hundertprozentig ausfüllen zu können. Wenn es nur achtzig Prozent sind, weil es familiäre oder berufliche Verpflichtungen gibt, dann nehmen Frauen von Führungsaufgaben eher Abstand. Das bedauere ich sehr. Männer hingegen sagen bei solchen Aufgaben zu, selbst wenn sie diese Aufgaben nur zu sechzig Prozent erfüllen können. Da wünsche ich mir für diese Funktionen von Frauen mehr Zutrauen in ihre Fähigkeiten. Deswegen ist es auch mein Ziel, mehr Frauen für ehrenamtliche Vorstandsarbeit zu gewinnen.

Sind sie optimistisch, dass sich dies in einer Engagement-Strategie wiederfindet, damit nicht immer nur ein bestimmter Teil der Bevölkerung sich engagiert?
Ich bin optimistisch – gleichzeitig bin ich auch Realist. An den Debatten-Foren für die Strategie wird sich eher das „laute“ bürgerschaftliche Engagement beteiligen. Aber die Engagement-Strategie soll ja nicht nur ein Papier sein, sondern auch substanzielle Veränderungsziele beinhalten. Finanzielle Mittel werden nötig sein, um die Rahmenbedingungen zu verbessern und das Engagement barriereärmer zu gestalten oder Hürden ganz zu beseitigen, damit sich alle Menschen in der Berliner Stadtgesellschaft einbringen und engagieren können.

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